: Einlenken im Strobl-Prozeß?
Gericht deutet mögliche Änderung der Rechtslage an / Struktur der „Revolutionären Zellen“ steht im Mittelpunkt einer Fülle neuer Beweisanträge der Verteidigung / Wurde Ingrid Strobl seit Mai 1985 beschattet? ■ Von Gitti Hentschel
Vage Hoffnung machte sich am Mittwoch im Prozeß gegen die Journalistin Ingrid Strobl unter den BesucherInnen breit. Richter Arend, der Vorsitzende des 5. Strafsenats vom OLG Düsseldorf, hatte am Ende dieses 15. Verhandlungstags einen „rechtlichen Hinweis“ für die Verteidigung gegeben: Eine Verurteilung von Ingrid Strobl nach §129a sei auch wegen „Unterstützung“ der „Revolutionären Zellen“ denkbar. Bisher ist die engagierte Feministin wegen „Mitgliedschaft“ bei den RZ angeklagt - und darauf steht ein erheblich höheres Strafmaß.
Zuvor hatte die Verteidigung eine Reihe von Beweisanträgen gestellt. Unter anderem soll danach Generalbundesanwalt Kurt Rebmann als Zeuge geladen werden. Verteidiger Hartmut Wächtler zufolge wird Rebmann als Experte darlegen, daß die RZ aus „sich ad hoc bildenden Kleinstgruppen und Einzeltätern im Sinne einer „guerilla difusa“ bestehe und damit in ihrer Struktur keine „terroristische Vereinigung“ im Sinne des §129a sei. Derartige Ausführungen habe Rebmann bereits im März 1982 vor dem Rechtsausschuß des Bundestags gemacht. Auch Staatsanwälte aus früheren RZ-Verfahren und ein BKA-Sachbearbeiter sollen als Zeugen geladen werden. Mit ihnen wollen die VerteidigerInnen eine Grundvoraussetzung der Anklage gegen Strobl widerlegen: daß die RZ nach außen abgeschottet arbeiten und sämtliche Tatmittel nur von Gruppenmitgliedern beschafft würden.
Bisherige Urteile gegen vermeintliche RZ-Mitglieder, in denen auch Behauptungen über die Struktur der RZ aufgestellt wurden, stützten sich wesentlich auf Aussagen von Hermann Feiling aus dem Jahr 1986. Damals verlor Feiling, der den RZ zugeordnet wird, durch einen Sprengsatz beide Beine und wurde blind. Noch in Lebensgefahr und unter Medikamenteneinfluß wurde er direkt nach einer Operation von Polizeibeamten vernommen. Der Verteidiger beantragte, Feilings Anwalt zu hören. Dieser werde bezeugen, daß alle Erkenntnisse aus diesen Vernehmungen unter Mißachtung der Menschenwürde und unter Verletzung der Strafprozeßordnung zustande gekommen seien. Deshalb hätten sie nicht verwertet werden dürfen.
Auch Ingrid Strobl ging in einer Erklärung auf die Anklagehypothese zur RZ-Struktur ein. Sie kam anhand der verlesenen Artikel insbesondere aus dem „Revolutionären Zorn“ - laut Gericht das „Verbandsorgan der RZ“ - zu dem Ergebnis, daß ihnen nichts über die RZ-Struktur zu entnehmen sei. Über den „Revolutionären Zorn“ hätten die RZ politische Einschätzungen und Tips für die gesamte, also auch „legale“ Linke verbreitet, aus denen die Anklagekonstruktion nicht nachzuvollziehen sei. Der Bundesanwaltschaft (BAW) hielt Ingrid Strobl vor, Zitate aus dem „Revolutionären Zorn“ für die Anklage aus dem Kontext gerissen und damit verfälscht zu haben. Dabei gehe es der BAW nicht um sie „als Person“, sondern darum, durch eine Verurteilung einen „Präzedenzfall“ zu schaffen, mit dem die RZ-Struktur gerichtsverwertbar festgeschrieben würde.
Zusätzlich will die Verteidigung durch die Ladung weiterer Zeugen, darunter die beiden Leiter des Landesamts für Verfassungsschutz in Hessen und in NRW, beweisen, daß die engagierte Feministin Strobl schon länger als von BKA -Beamten bisher zugegeben, nämlich seit Mai 85, vom VS observiert wurde, ohne daß dabei Verbindungen der Journalistin zur RZ festgestellt wurden.
Die BAW wies die meisten Anträge kurz und bündig als „unerheblich“ zurück oder wollte eine Entscheidung darüber bis zur Klärung einzelner Fragen zurückstellen. Der Prozeß wird am Dienstag fortgesetzt
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