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■ Faits Divers - Vermischte Nachrichten

(Faits Divers - Vermischte Nachrichten, Reihe mit Filmen des französischen Dokumentarfilmers Raymond Depardon, West 3, Samstag, 15. April, 20 Uhr) Der Film beginnt wie ein Krimi. Zwei Polizisten stehen in einem Hinterhof und fragen die Concierge nach einem Mann. Dann gehen sie hinein. Ein dunkler Flur, schummriges Licht. Heftig klopft der eine Gendarm gegen die Tür - kurz, hart und energisch. Das Echo des Klopfens hallt nach, erst dann öffnet sich die Tür einen Spalt weit. Der Zuschauer meint zu wissen, was jetzt kommt, denn er hat es schon in hundert anderen Filmen gesehen. Handschellen, Haftbefehl, vielleicht sogar heftige Gegenwehr. Aber nichts dergleichen geschieht. „Sie sollen Monsieur Mason anrufen. Kennen Sie ihn?“, fragt der Polizist und gibt dem Mann eine Telefonnummer. Es hat sich ein Todesfall ereignet, und da der Mann nicht telefonisch zu erreichen ist, überbringt die Streife die Nachricht.

So kann ein Einsatz der Polizeibeamten des fünften Pariser Arrondissements beginnen - nicht mit einer spektakulären Verhaftung, sondern mit einer ganz normalen Dienstleistung. Der französische Dokumentarfilmer Raymond Depardon stellt gleich in der ersten Einstellung klar, daß er mit seinem Film Faits Divers - Vermischte Nachrichten über das Polizeirevier nicht in irgendeine pittoreske Unterwelt der Gestrauchelten hinabsteigt, um in Bildern von Gewalt und Verbrechen zu schwelgen. Paris bei Nacht mit der Polizei. Das ist die Jagd nach kleinen Gaunern, das ist der Gendarm als Schlichter von Ehestreitigkeiten und Prügeleien, das sind Verhöre mit übermüdeten Ganoven, geführt von übermüdeten Polizisten.

Für die deutschen Zuschauer sind die Filme des Franzosen, die West 3 jetzt in einer Reihe zeigt, eine kleine Entdeckung. In Frankreich wurde Depardons Dokumentarfilm Reporters - Reporter 1982 mit dem „Cesar“ ausgezeichnet und für den „Oscar“ in der Sparte „bester Dokumentarfilm“ nominiert. Fünf von zehn Kritikern der 'cahiers du cinema‘ zählten sein letztes Werk Urgences - Notaufnahme zu den besten des Jahres 1988.

Das Prinzip von Raymond Depardon ist einfach und doch ungewohnt. Wo andere die Tonspur mit Kommentartext füllen und Musik hinzumischen, wenn einmal nichts gesagt wird, sind bei Depardon nur Interviews und Geräusche zu hören. Kein Off -Text, kaum Fragen. „Das Auge, das mich beobachtet, das Auge des Apparates“, sagt ein Patient des italienischen Irrenhauses San Clemente und hat genau erfaßt, worauf es Raymond Depardon ankommt: „Intuition und Geduld sind wichtig, das habe ich als Photograph gelernt. Mich interessiert Bilder zu registrieren, aufzunehmen, nicht zu manipulieren oder zu bearbeiten.“

West 3 zeigt bis Mai noch fünf Filme von Raymond Depardon: Auf Vermischte Nachrichten folgt am 22.April San Clemente, Depardons erster Spielfilm, Une femme en Afrique - Eine Frau in Afrika wird am 29.April ausgestrahlt, ein Filmschnipsel in drei Einstellungen über New York, New York wird am 29.April gesendet. Urgences - Notaufnahme, das Protokoll über die Arbeit in der psychiatrischen Abteilung des Pariser Hotel-Dieu bildet am 13.Mai den Abschluß.

Christof Boy

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