: EINSUMPFEN MIT URIN
■ Ausstellung „Keramik und Bauhaus“ im Bauhaus-Archiv
Ein Schwein wird geschlachtet. Mit einem langen Messer in der Hand macht sich der Metzger ans Werk. Das quiekende Tier halten zwei Gesellen fest und drücken es in den Trog, damit es nicht abhaut. „Hausschlachten 1925“ heißt der Holzschnitt von Wilhelm Löber und ist einer von sechs aus der Serie „Dornburger Straßen- und Familienbilder“. In den anderen geht's weniger rabiat zur Sache, aber genau so physisch. Harte Gesichter, fast wie gegerbt, knorrige Hände, Bauerntracht, Matsch und Holz, eine Katze schleckt Milch, nach Feierabend wird gesoffen, daß es kracht, drei Frauen am Hohlweg.
Dornburg, das Nest mit Schlößchen, liegt an der Saale, „anmutig“, wie Goethe feststellte und am Arsch der Welt. Handwerker, Bauern, eine Kirche. Mittendrin - 1920 bis 1925
-steht die Keramikwerkstatt, besser Abteilung Töpferei, des Staatlichen Bauhauses Weimar, ausquartiert aus dem ideologischen Zentrum, verbannt in die ländlich-konservative Idylle. Der Formmeister, ehemals Bildhauer, der Thüringer Töpfermeister und anfangs vier Studenten, drei Gesellinnen und ein Geselle, leben dort draußen, beinahe alternativ. In einem ehemaligen Stall werden die Drehscheiben eingerichtet und der Ofen gemauert, darüber liegen die Zimmerchen mit Küche, bunt gestrichen und die Fenster offen, der Landluft wegen.
Elektrisches Licht gibt's nicht, der Brunnen steht vorm Haus zum Wasserholen. Hinten ist das Gärtchen fürs selbstgepflanzte Gemüse, „wer kocht?“, gegessen wird gemeinsam, „ich hab‘ gestern schon gespült!“. Dann wieder Ton drehen, abends ist Tanz und Singsang. Internathaftes, fast klösterliches Leben, romantisch und hart zugleich, die Alternativen der Avantgarde. Und Weimar ist weit, rund dreißig Kilometer entfernt, ohne direkte Bahnverbindung. Die Peripherie koppelt sich langsam ab vom Zentrum: „Vom Bauhaus höre ich nur halbverschollene Sagen“, notiert Gerhard Marcks, der künstlerische Chef der Enklave, schon nach einem Jahr Dornburg in einem Brief.
Sie handwerkeln wie's im Programm steht, entwerfen, drehen Töpfe, glasieren und brennen. Heiße Wangen bei 1.200 Grad. Der Ofen geht kaputt, nur Scherben, das Holz ist zu naß. Neue Gesellen kommen. Die diskutieren bald nur mehr mit der Drehscheibe. Der Vor- und Hauptbrand erscheinen wichtiger als der Diskurs, Max Krehan, der Töpfermeister, versteht sowieso nur Bahnhof. Eilt Walter Gropius, das intellektuelle und industrielle Gewissen der Schule, deshalb immer ängstlicher nach Dornburg, um nach dem Rechten zu sehen, weil er fürchtet, daß aus dem Ofen nur Unikate im Stil thüringischer Bauernkeramik herauskommen? Marcks und seine Gesellen haben übers Bauhaus schon laut gehöhnt, daß dessen „Karre über kurz oder lang im Dreck des Formalismus sitzt“. Wo sind die schnittigen Formen bei Tassen und Tellern? Gropius wird sich wundern.
Zunächst ist Handwerk angesagt, nicht im Ideal des Programms, als Identität von Künstler und Meister a la Bauhütte, sondern in dauernder körperlicher Schwerstarbeit. Der Ofen ist wieder mal zu mauern, „Ton graben, im Wald Bäume ersteigen und zu meterlangen Scheiten sägen und spalten. Den Töpferofen beschicken ... 24 Stunden ein Scheit links, ein Scheit rechts in den Ofen. Dann das Zurichten des Tons. Einsumpfen ... mit Urin, und auf der fußbetriebenen Drehscheibe hochziehen.“ Es erscheinen, neben ein paar bauchigen Wassergefäßen, klobigen Vasen und Schüsseln, feingliedriges Geschirr, Kreis- und Kugelformen, Quadrate. Geraden winkeln in Diagonale mit scharf angesetzten Kanten. Kannen und Deckel verschmelzen zu symmetrischen Proportionen, Tassen und Teller bilden Kontraste aus komplexen stereometrischen Grundelementen und steigern sich zu neuen Formgefügen. Geschirr ist geformt mit kühlem Konstruktivismus, Schälchen und Gefäße sind expressives Design. Henkel wie Kreise, Ausgüsse wie Röhren, die Kugelbäuche fürs Teeservice, zylinder- und ballustradenförmige Kannen. Dazu passen Griffe aus Metall, die halbrunde Bögen schlagen, auf Tellern sieht man abstrakte Chiffren.
1923, nach der großen Bauhaus-Ausstellung und lebhafter Resonanz auf den Messen in Frakfurt und Leipzig, drängt Gropius. Seriell sei zu entwerfen und zu produzieren, maschinell und mit Standarts. Die Industrie warte auf Serien, Varianten, die Nachfrage steige. Doch die Dornburger „Eigenbrötler“ baden in der Saale. „Wie im Paradies tummeln sich die schönen, kräftigen jungen Männer und Frauen im Wasser.“ Manchmal wird bis Sonnenaufgang getanzt, die ersten Kinder matschen im Ton und plärren. Gesellinnen wandern ab von der Drehscheibe in die Küche und zum Stillen. Bei Marcks stößt Gropius auf immer mehr Skepsis. Er will keine Fabrik. Meister Krehan winkt auch ab. Doch die Gesellen Otto Lindig und Theodor Bogler versuchen sich in Gebrauchskeramik, bauen Modelle, konstruieren Gipsformen, machen Musterreihen. Berühmtes Geschirr entsteht: Boglers Küchengarnitur, die „Mokkamaschine“, Teedosen, Lindigs Kakaogeschirr mit der Seriennummer L 15, L 10, L 46. Die technische und sachliche Form wird gefeiert. Aber alles bleibt Ansatz, denn die notwendige Verbesserung der technischen Einrichtungen scheitert am notorischen Geldmangel und verhindert den Ausbau. Material verzögert sich, Aufträge werden nicht rechtzeitig geliefert, Fehlbrände verzögern die Produktion. „Der Zustand der Werkstatt jetzt ist: Lahmheit“, konstatiert Lindig resigniert. Die Alternative, nämlich der konsequente Ausbau zur keramischen Fabrik, die Peripherie klagt nur die Slogans des Zentrums ein, wird fallengelassen.
Als 1924 die konservative Thüringer Landesregierung dem Bauhaus die finanzielle Luft abdrückt und Gropius nach Dessau vertreibt, bedeutet dies das endgültige Aus für die Dornburger Keramikabteilung. Als strittig wird, ob die Töpferei überhaupt den Umzug nach Dessau mitmachen soll, verlieren Marcks und andere jedes Interesse. Verschrien als die „letzten Moholikaner“, in Anlehnung an Moholy-Nagys Opposition gegen den technischen Formalismus und das Übergewicht der theoretischen Debatte am Bauhaus, räumen sie resigniert, sinnentleert, das Feld. Psychosoziale Konflikte brechen auf. Bogler geht ins Kloster und töpfert dort weiter, seine Frau nimmt sich das Leben, und Meister Krehan stirbt unmittelbar nach dem Auszug. Marcks und Marguerite Friedlaender entscheiden sich für die Kunstgewerbeschule in Halle. „Wir machen im August nach Halle. Das Bauhaus geht aus dem Leim, der Hauptteil zieht nach Mannheim oder Frankfurt ... Die Töpferei hier verlasse ich gern - sie hat aufgehört, mich zu interessieren.“ Nur Otto Lindig bleibt in Dornburg, führt die Werkstatt als keramischen Handwerksbetrieb bis 1947 weiter, verwandelt Resignation in Kreativität, wurschtelt, spielt mit den Formen, experimentiert, wird berühmt.
Die Geschichte der Dornburger Keramikwerkstatt, ihrer ProtagonistInnen und Wirkung wird ausführlich in dem schönen Katalog „Keramik und Bauhaus“ zu der gleichnamigen Ausstellung im Bauhaus-Archiv beschrieben. Rund 300 Tassen, Teller, Kannen, Schüsseln, Vasen und halb zerdeppertes Porzellan sowie Zeichnungen und Holzschnitte der Künstler sind zu sehen.
rola
Die Ausstellung „Keramik und Bauhaus“ ist im Bauhaus-Archiv noch bis zum 28.5.1989 zu sehen, täglich außer dienstags von 11-17 Uhr. Der Katalog kostet 38,- DM, im Buchhandel 68, DM.
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