„Auch die Atompolitik muß europäisch sein“

Frankreichs führender Atomstratege über die neugefundene deutsch-französische Freundschaft in Sachen Entsorgung / Ein Gespräch mit Remy Carle  ■ I N T E R V I E W

Remy Carle ist Vize-Generaldirektor des weltweit größten Stromproduzenten, der staatlichen französischen EdF (Electricite de France). Doch nicht der Titel, erst seine erbrachten Leistungen lassen in Carle den vielleicht wichtigsten Mann im französischen Atomstaat erkennen. Er bastelte bereits in den fünfziger Jahren an Frankreichs Atombombe, galt später als „Ziehvater“ des ersten französischen Schnellbrüters und leitete dann ein Jahrzehnt lang das ehrgeizigste AKW-Bauprogramm der Welt.

taz: Wenn Wackersdorf gestoppt wird, steht Frankreich mit der Wiederaufarbeitung in Europa allein auf weiter Flur. Bereitet Ihnen das Grund zur Sorge?

Remy Carle: Warum denn? Wir bereiten seit fünf Jahren große Mengen ausländische Brennstoffe auf.

Wie beurteilen Sie die Quasi-Aufgabe von Wackersdorf?

Es ist sehr gut, wenn sich Frankreich und die Bundesrepublik über den Ausbau und die Nutzung der Wiederaufarbeitungsanlage in La Hague einigen. Wenn der Sinn solcher Verträge allerdings darin besteht, Wackersdorf zu schließen, dann handelt es sich um einen Rückschlag für die Atomkraft im allgemeinen und im besonderen in der Bundesrepublik.

Warum ist Frankreich heute zur Kooperation im AKW-Bereich mit der Bundesrepublik bereit? Gilt denn nicht mehr die gaullistische Prämisse, nach der Atompolitik national und unabhängig zu sein hat?

Wir müssen heute Europa aufbauen. In diesem Europa muß auch die Atompolitik europäisch sein. Das eine geht nicht ohne das andere.

So internationalistisch sind Frankreichs Nukleokraten bisher nur selten dahergekommen?

Aber sicher doch. Der Schnelle Brüter „Superphenix“ an der Rhone ist ein durch und durch europäisches Produkt.

Sind das nicht nur große Worte? Letztlich war es die nackte Effizienz, die Veba zur Vernunft brachte: Das zivile Atom beim Schnellen Brüter und der Wiederaufarbeitung - ist nicht mehr rentabel?

Das stimmt so nicht. Richtig ist nur, daß wir heute eine neue, die europäische Phase in der AKW-Politik betreten. Wir werden uns also im wachsenden Maße mit der internationalen Konkurrenz aus den USA oder Japan auseinandersetzen müssen. Deshalb nimmt heute die Frage der Rentabilität des Atoms eine noch größere Bedeutung ein als zuvor.

Siemens und Framatome haben für den AKW-Export in die Dritte Welt ein Kooperationsabkommen geschlossen. Nach Experteneinschätzung gibt es diesen Markt garnicht...

Der Exportmarkt für Atomkraftwerke ist tatsächlich nicht sehr groß. Umso besser, wenn sich Deutsche und Franzosen dann nicht gegenseitig kaputt machen. In Drittländern sollten wir nun lieber zusammenarbeiten.

Wenn bundesdeutsche und französische Atomindustrie enger zuammenrücken, müssen Sie dann nicht in Frankreich Angst haben, es bald auch mit bundesdeutschen Atomkraftgegnern zu tun zu haben?

Vor dem Hintergrund unseres deutsch-französischem Bündnis im AKW-Bereich wissen wir natürlich sehr gut, daß die Lage der Atomkraft in der Bundesrepublik sehr schwierig ist, während es in Frankreich keine Probleme gibt. Wir wollen nicht, daß diese Situation so fortdauert. Wir wissen doch genau, wie schwierig es ist, alleine zu bleiben, selbst wenn man als einziger recht hat. Es gibt die Notwendigkeit, der Öffentlichkeit ein beruhigenderes Image von der Atomkraft zu geben. Wir wollen, daß die Atomkraft auf dem Weg der Internationalisierung - beispielsweise auf dem Weg der Entwicklung internationaler Sicherheitsnormen - zu neuem Wachstum, neuer Jugend und neuer Unschuldigkeit gelangt.

Es ist nicht lange her, vor zwei Jahren, da sagten Sie, Sie wären nicht der „Dr. Freud“, der den Deutschen die Atomkraft schmackhaft machen könnte?

Das Europa von morgen wird mehr und mehr auch eine europäische Öffentlichkeit herstellen. Wir werden uns dann gegenseitig stärker beeinflussen. Deshalb erscheint es in Zukunft unverständlich, wenn die Menschen auf der einen Seite des Rheins schwarz und auf der anderen weiß sehen, nur weil sie nicht das gleiche Fernsehen, nicht die gleichen Zeitungen und nicht die gleiche Regierung haben. Wie schlecht sich ein solcher Zustand auswirkt, haben wir bei Cattenom gesehen, über das wir damals sprachen. Da hat man die alten, nationalistische Dämonen wiedererweckt, die man schleunigst vergessen sollte.

Sind Sie heute bereit, gemeinsam mit ihren bundesdeutschen Partnern neue europäische Sicherheitsnormen für Atomkraftwerke auszuarbeiten?

Die Öffentlichkeit versteht in der Tat nicht, daß es bei den Sicherheitsbestimmungen nach wie vor kleine Unterschiede gibt. Die Entwicklung eines gemeinsamen Reaktormodells für den Export (Framatome/Siemens) ist heute ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer homogeneren Sicherheitsphilosophie. Man muß vom Aufbau Europas profitieren, um gemeinsame AKW-Normen zu entwickeln.

Also wären Sie dann einverstanden, die von bundesdeutscher Seite bemängelten Sicherheitsvorkehrungen in Cattenom zu verbessern?

Cattenom ist genauso sicher wie jedes deutsche Atomkraftwerk. Wir sollten nur das Beste aus beiden Ländern vereinen.

Interview: Georg Blume