Raffinierte Aktionen gegen Ölmultis

■ Drei Tage lang wurde Shell in Amsterdam blockiert / Happenings gegen die Hauptstütze der Apartheid

Wer mit Öl handelt, hat selten eine weiße Weste. Den Mineralölkonzernen stehen schwere Zeiten ins Haus: nicht nur, daß selbst die unverbesserlichen Autofahrer sauer auf die Preiserhöhungen sind; nicht nur, daß die amerikanischen Konsumenten zum Boykott von Exxon, dem Alaska-Killer aufrufen - jetzt wurde auch die Royal Dutch/Shell-Gruppe in Amsterdam von der holländischen Anti-Apartheid-Bewegung lahmgelegt, mit Schiffsblockaden, Zapfsäulen-Attentaten und Ölfässer-Steeldrumming.

Trotz aller Deiche breitet sich seit drei Tagen eine Springflut aus in Holland. Eine schäumende Woge bäumt sich vor dem Shell-Forschungskomplex auf; schwarze Wolken am Horizont und das Shell-Signet, die gelbe Muschel mit rotem Rand, zerspringt in Stücke - mit diesem Plakat hatte das niederländische Komitee „Shell uit Zuit-Afrika„/„Shell raus aus Südafrika“ (SUZA) das dreitägige Blockade-Spektakel vor den Toren Amsterdams angekündigt. Wie eine Welle flutet das Spektakel durch die Stadt. Drei Tage lang Aktionen, Informationen und Seminare zu Apartheid und Shell-Konzern; drei Tage lang Straßentheater, Musik, Clowns und Jongleure; drei Tage lang Tamtam und Trommeln vor den Werkstoren.

Seit dem Wochenende ist das Spektakel Gesprächsthema in der Stadt, die Zeitungen berichten regelmäßig, jeden Tag sendet das Fernsehen einen wohlwollenden Bericht über den Stand der Kampagne in den Abendnachrichten.

Die Dramaturgie sah eine Kulmination der Ereignisse vor: am Mittwoch begann die erste Blockadeaktion noch spielerisch. Grell geschminkt, mit Trommeln und Transparenten zogen 3.000 Leute vom Königlichen Palast am Dam zum Shell -Forschungskomplex. Im Het Ij, dem großen Kanal vor dem Shell-Gebäude, kreuzten 20 Boote, Trommelchöre an Bord und Anti-Shell-Parolen am Mast. Am Stahlzaun um das Konzerngelände Clowns auf Einrädern und Rollschuhen. Ein Pandämonium gegen die Apartheid. Der gesamte Komplex ist umringt, nur ein Werkstor blieb offen. Die Polizei hielt sich im Hintergrund.

Der sozialdemokratische Bürgermeister Ed van Thijn hatte die symbolische Blockade genehmigt und den Blockierern Sonderfähren beschafft, die vollständige Absperrung des Werks verboten.

Gestern nun wurden bereits vor Morgengrauen alle Zufahrtswege, zu Lande und zu Wasser, vollständig blockiert. Rund tausend Shell-Mitarbeiter haben das Angebot ihrer Firma angenommen und machten frei. Die restlichen 400 werden unter Polizeischutz nach drinnen gebracht: eine Fähre bricht sich ihren Weg durch die Schiffskette von über zwanzig, auch größeren Booten. Als die Angestellten an Land gehen, kommt es zum Polizeieinsatz gegen die Blockierer. Tränengas wird eingesetzt. Am Hintereingang räumt die „Mobile Einheit“ mit Knüppeln den Weg frei, während Tänzer, Feuerspucker und Ölfässer-Trommler die Stimmung anheizen: „Shell raus aus Südafrika.“

Spektakel als Philosophie

Der niederländisch-britische Konzern ist in den Niederlanden zum Synonym für Apartheid geworden. Grund genug gibt es dafür (s.nebenstehenden Artikel). Anschläge auf Einrichtungen des Konzerns insbesondere auf Tankstellen häufen sich. Das Durchschneiden der Benzinschläuche hat geradezu Konjunktur. Die Revolutionäre Antirassistische Aktion (RARA) hat in dieser Woche vier Shell-Einrichtungen derart heimgesucht.

Seit 20 Jahren arbeitet die Anti-Apartheid-Bewegung der Niederlande (AABN) und das Komitee Südliches Afrika (KZA) gegen den Rassistenstaat. Einen vorläufigen Höhepunkt fand die Kampagne in der großen Amsterdamer Anti-Apartheid-Demo im Juni letzten Jahres. 50.000 Menschen zogen gegen Südafrikas Rassismus auf die Straße.

Die „Spektakel-Tage“ dieser Woche haben eine neue Qualität. Zum ersten Mal distanzieren sich die großen bürgerlichen Komitees AABN und KZA nicht von illegalen Aktionen und rufen zur Blockade des Shell-Konzerns auf.

„Der Aktionismus ist unser Grundelement. Jeder ist Akteur, keiner ist bloßer Zuschauer: Das Spektakel wird zum kollektiven Ereignis“, definiert ein SUZA-Veranstalter die „Philosophie des Spektakels“. Die Idee der Spaßguerilla entwickelte sich aus der Sackgasse, in der die Häuserkämpfe Mitte der Achtziger geendet hatten. Die Polizei hatte die Militanz der Demonstrationen mit taktischer und militärischer Aufrüstung beantwortet: Sondereinheiten, Schlagstockorgien, CS-Gas. 1985 starb Hans Kok bei der Räumung eines besetzten Hauses. „Das war der Bruch. Die Konfrontation mit der Polizei war total. Vermittlungsmöglichkeiten für unsere politischen Ideen gab es nicht mehr. Die Bewegung stand mit dem Rücken zur Wand“, resümiert der SUZA-Veranstalter.

Im März 1986 erlebte Amsterdam sein erstes „Spektakel“. Als eine Vertreterin der rechtsextremen Partei CP in das Amsterdamer Stadt-parlament gewählt wurde, belagerten 10.000 Menschen das Rathaus mit Tamtam und Trommeln - ein politisches Festival.

In der niederländischen Politszene kam es zeitgleich mit dem Aufleben der Spektakel-Philosophie zum großen Bruch. 1984 spaltete sich die starke antimilitaristische Bewegung „Onkruit“ in die Spaßguerilleros und einen antiimperialistischen Flügel(der keinen Spaß versteht? d.K.). Die Anti-Shell-Aktionstage spiegeln diesen Konflikt wider. Die RARA, Teil des antiimperialistischen Spektrums, distanzierte sich vom Spektakel. Durch die polizeiliche Anmeldung der Aktionen und die Teilgenehmigung der Blockade verliere das Spektakel an Brisanz. Sie könne sich an keiner Aktion beteiligen, an der auch die Stadt durch Leistungen wie den Einsatz zusätzlicher Fähren mitwirke.

Die SUZA setzt dagegen: „Wir wollen das Illegale, die Blockade, offensiv in die Öffentlichkeit tragen. Wir wollen die Medienrealität besetzen. Wir wollen raus aus der Repressionsschraube. Dieses Spektakel funktioniert nur in einem gewaltfreien Rahmen und in einem breiten Bündnis.“ Der politische Schlüsselbegriff des Spektakels ist die „Rufschädigung des Shell-Konzerns“. SUZA weiß, daß das Spektakel nicht zum Rückzug Shells aus Südafrika führt aber zur Image-Schädigung: „Wer Shell tankt, tankt Apartheid“.

Katja Diefenbach/Geert Lovink/Corinna Gekeler