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Raketen-Blitzbesuch in Washington

■ Außenminister Genscher und Verteidigungsminister Stoltenberg „präsentieren“ heute in Washington die Koalitionsposition in der „Modernisierungs„-Frage / Britische Regierung über deutsche Vorstellungen „alarmiert“

Bonn (dpa) - Die baldige Aufnahme von Verhandlungen fordert der Text, der von der Bonner Regierungskoalition zur Frage der Kurzstreckenraketen ausgearbeitet wurde und der heute der amerikanischen Regierung in Washington präsentiert werden soll. Die vertrauliche Fassung wurde gestern Journalisten zugespielt. Die Tatsache einer Einigung nach einer Serie von Beratungen war am Freitag bekannt geworden.

Gleichzeitig kündigte Bundeskanzler Helmut Kohl nach einem „intensiven“ Telefongespräch mit US-Präsident George Bush an, daß Außenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP) und Verteidigungsminister Gerhard Stoltenberg (CDU) heute nach Washington fliegen werden. Beide Minister werden sich nur wenige Stunden in der amerikanischen Hauptstadt aufhalten, um den Text dort zu präsentieren.

Für diesen Vorgang war ausdrücklich das Wort „informieren“ abgesprochen worden, wie von zuständiger Seite betont wurde. Dabei wurde bedauert, daß der Eindruck erweckt wurde, als ob Bonn um Genehmigung des Textes in Washington ersuchen und danach erst in einer neuen Koalitionsrunde den endgültigen Beschluß fassen könne. Kohl will am kommenden Donnerstag die neue Politik in einer Regierungserklärung vor dem Bundestag erläutern. Die ersten Exemplare des Koalitionspapiers wurden jedoch gestern Journalisten zugänglich gemacht. Die wichtigsten Punkte darin betreffen die „baldige Aufnahme“ von Verhandlungen zur Verringerung der Kurzstreckenraketen auf gleiche, aber niedrigere Obergrenzen, die gleiche Forderung auch für die nukleare Artilleriemunition, den Aufschub einer Modernisierungsentscheidung bis 1992 sowie den Standpunkt, daß 1992 diese Entscheidung im Lichte „aller“ Abrüstungsverhandlungen getroffen werden müsse.

In Washington wurde inzwischen bestätigt, daß Genscher und Stoltenberg mit den Ministern James Baker (Außen) und Richard Cheney (Verteidigung) sowie mit Sicherheitsberater Brent Scowcroft zusammentreffen werden. Eine Begegnung mit Präsident Bush sei nicht geplant. In der US-Hauptstadt wurden die Erfolgschancen der deutschen Mission zurückhaltend beurteilt. Die deutsche Auffassung soll in das Nato-Gesamtkonzept für Abrüstung und Rüstungskontrolle aufgenommen werden, das dem Bündnisgipfel Ende Mai in Brüssel vorliegen wird.

In Washington wurde mit besonderem Interesse vermerkt, daß Bonn nicht nur baldige Verhandlungen über die Kurzstreckenraketen schriftlich fixiert hat, sondern auch für die nukleare Artilleriemunition mit dem Ziel drastisch niedrigerer Obergrenzen. Angeblich wurde in Washington mit einem Spielraum für Veränderungen im deutschen Text gerechnet.

In ersten Reaktionen aus London hieß es, die britische Regierung sei über die deutschen Vorstellungen alarmiert. In der britischen Presse werden scharfe Auseinandersetzungen erwartet, wenn Margaret Thatcher wie seit langem verabredet am 30.April den Bundeskanzler in seinem Haus in Oggersheim bei Ludwigshafen besuchen wird. Für Bonn ergibt sich noch eine weitere Gelegenheit zur Aussprache mit den Amerikanern, wenn USA-Außenminister James Baker nach einem Moskau-Besuch Mitte Mai in Brüssel Station macht, zwei Wochen vor dem Nato -Gipfel.

FDP-Kreise unterstrichen am Wochenende ihre Befriedigung, die eigenen Standpunkte in dem Konzept untergebracht zu haben. Dies betreffe vor allem die Forderung nach „baldigen“ Verhandlungen, die im Westen ohnehin nur in der Hand der USA liegen würden. Die CSU, so hieß es, habe dafür die ausdrückliche Festlegung des Verzichts auf eine dritte Null -Lösung aufgeben müssen. Eine fast gleiche Bedeutung hat aber die Feststellung in dem Koalitionspapier, daß „soweit voraussehbar“, auf Atomwaffen für die Verteidigung Europas nicht verzichtet werden könne.

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