1.Mai - zurück an die Arbeiter

■ Die polnische PVAP verzichtet auf die offiziellen Massenaufmärsche zum 1.Mai

Aus Kostengründen, so schreibt das Zentralorgan der PVAP, werde es in diesem Jahr keine Aufmärsche zum 1.Mai geben. Seit die Partei es aufgegeben hat, „ihre“ Arbeiter mit Druck auf die Straße zu bringen, kostete es die Fabrikdirektoren immer mehr kleine Geschenke und Vergünstigungen, um ihre Untergebenen zum Absingen der Internationale zu verlocken. Doch der Verzicht auf das längst zur Groteske verkommene jahrmarktähnliche Politspektakel ist mehr als nur eine Sparmaßnahme: Langsam stellt sich die Partei der Erkenntnis, daß sich ihr Einfluß in den Betrieben auf die Direktoren und einige Funktionäre beschränkt. Mehr und mehr gibt sie den Anspruch auf, eine Klasse vertreten zu wollen. Die Slogans, mit denen die PVAP in den anstehenden Wahlkampf ziehen will, haben denn auch mit der reinen Lehre des Marxismus -Leninismus nicht mehr viel zu tun. „Wir wollen klarstellen, daß wir die Partei der Stabilität und der Reformen sind“, erklären hohe Parteifunktionäre öffentlich. Von „Sozialdemokratisierung“ der PVAP ist offen die Rede, und davon, nur die Partei garantiere die „Stabilität nach außen“, will sagen gegenüber der Sowjetunion.

Die Szenerie des 1.Mai in Warschau wird denn voraussichtlich geradezu typisch sein für Polens nun geklärte Fronten: Auf dem Siegesplatz General Jaruzelski, wie er die PVAP zur Partei der nationalen Sache, zum Symbol des Gemeinwohls und der Vertretung des ganzen Volkes ausruft, ein paar Straßen weiter die offiziellen Gewerkschaften, die mit ihren Klassenkampfveteranen Stimmung machen gegen den „Ausverkauf der Interessen der Arbeiterklasse“, und im Norden, vom Popieluszko-Grab zum Danziger Bahnhof, die Demonstration von Solidarnosc.

Und zum guten Schluß gibt's dann das, was es auch bisher schon jedes Jahr gegeben hat - aber jetzt heißt es erstmals ganz offiziell so: ein Volksfest. Bei dieser Art von Veranstaltung kann die Regierung noch allemal auf Unterstützung im Volk rechnen...

Klaus Bachmann