: LOK-VOGEL
■ N.Collins ver-lokt im „Giannozzo“ und im „Unzeit“
Tür auf - es knärzt und brummt metallisch, und ich betrete betreten den Raum, fest überzeugt, soeben eine an die Tür angeschlossene Minimal-Music-Performance ausgelöst zu haben. Doch was mich so liebevoll empfangen hat, ist nichts geringeres als die Spielzeuglokomotive „Santa Fe“, die auf geheimnisvolle Weise diese Geräusche hervorbringt.
Der Raum gehört dem „Kunstverein Giannozzo“, der „zur Förderung der aktuellen plastischen Kunst“ beitragen will. Santa Fe ist Teil einer Klanginstallation mit dem Titel „Under the Sun“ von Nicolas Collins, einem New Yorker Komponisten und Installationskünstler. Durch einen völlig leeren und kalkweißen Raum kriecht Santa Fe unter der Neonsonne über ihre Gleise, die das Zimmer diagonal zerteilen, hin und her. Parallel zu den Gleisen läuft ein Stahldraht, der in zufälligen Rhythmen von einer Magnetspule angerissen wird. Die BesucherInnen können nun durch ein Pedal der kleinen Lok Saft geben, wodurch sie loskriechend ihren Stromabnehmer gegen den Draht drückt. Durch geometrische Teilung der riesigen Stahlsaite werden so die drahtigen Obertöne elektrisch übertragen - ein Experiment, das etwas einfacher zuerst Pythagoras durchführte und in der Variation Collins den anwesenden Kindern einen ohrenbetäubenden Spaß macht. Indem Collins das Transportmittel zum Instrument macht, gelingt ihm der Sprung zur anschaulichen Musik. Diese industrialisierte Kunst zermalmt jede staubige Harmonielehre (nein, sie fürt sie praktisch vor. sezza).
Ähnlichen Einfallsreichtum beweist Collins auch am Sonntag abend beim Konzert im „Institut Unzeit“: Ein Gerät, das mal eine Posaune war, quiekt, stottert und hustet eigenwillige Klänge in die Lausprecher hinein oder aus dem Posaunentrichter heraus. Dabei funktioniert der Posaunenzug, ähnlich wie bei einer „richtigen“ Posaune, als Frequenzregulierer; als Dämpfer benutzt Collins den Saugstopfen eines Ablußreinigers. Verschärfend kommt noch hinzu, daß diese einzigartige Posaune nicht einfach geblasen, sondern mit einem unüberblickbaren Kabelsalat gefüttert wird.
„100 of the World's Most Beautifull Melodies“ ist dieses Konzert betitelt, in dem der englische Gitarrist Peter Cusack Nicolas Collins‘ „Posaunengetriebenes Klang -Processing“ tatkräftig mit Gitarre, Bouzouki und Elektronik unterstützt. Die verkabelte Posaune ist am Zug mit einem Schaltbrett versehen, mit dessen Tastatur Collins beliebig verschiedene elektrische Impulse über eingespielte Kassettenklänge schickt und die Aufnahme so variiert. Die beiden Musiker verkoppeln hervorragend second-hand-Musik mit „Improvisation“. Und ohne fad zu werden, mixen sie witzige Passagen zusammen.
So schnarrt es minutenlang lautleise aus den Boxen und weckt unangenehme Assoziationen an den morgendlichen Wecker. Vom Tape lockt Collins Frakturstücke, die aus Eierschalen -Jazz und afrikanischen Blasinstrumentarium bestehen und unterbricht sie durch mörderische Elektroschocks.
Peter Cusack scheint eine nostalgische Folknummer dagegenzuhalten. Seine Bouzouki klimpert wie beim Griechen um die Ecke, aus den Boxen singen die Vögel, piepsen und tschilpen immer lauter, bis eine zwitschernde Lokomotive draus wird, die stereo durchs Studio rast. Im nächsten Stück befeuchtet er die Finger und veschmiert auf der Gitarrendecke beißende Poliergeräusche; die Posaune beginnt zu reden, während im Hintergrund ein Elefant zur Symphonie brüllt. Und Cusack wird immer experimentierfreudiger. Er zwirbelt einen Stab zwischen die Gitarrensaiten, der ein irrwitziges Tremolo zustandebringt, und dreht eine Saite so locker, daß ein zusätzlicher Steg darunter Platz hat. Dann streicht er die Saite mit einem Geigenbogen, während Collins ein Sendersuchprogramm durch seine Drähte trichtert und schließlich gurgelnd im elektronischen Verdauungstrakt untergeht.
Der neue Brei, den Collins aus dem „Klangkehricht“ kocht, ist mit der Ironie des abfallsammelnden Überlebenskünstlers gewürzt. Und gerade so ist er originär.
Christian Vandersee
„Under the Sun“ noch bis 12.5., Di-Fr 17-19 Uhr, Kunstverein Giannozzo, Suarezstr.28, 1/19
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