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Das Los der „vergessenen Vier“

Nur Polen und die BRD finden die Abstiegsrunde der Eishockey-WM noch spannend  ■  Aus Stockholm Herbert Neuwirth

„Unverschämtheit“ war das Lieblingswort eines verbitterten Xaver Unsinn nach zwei Niederlagen gegen Finnland. Der Bundestrainer trug unterm Hut eine gekränkte Miene und beklagte sich darüber, daß in den Medien so viel „Unsinn“ über die Trainerpolitik des deutschen Nationalteams geschrieben werde. Es wäre müßig, Spekulationen zu Unsinns saurem Gesichtsausdruck anzustellen und sich Gedanken über das Funktionärs- und Spieler-Hick-Hack zu machen. Aber die Frage bleibt: Warum glänzt ein anfangs starkes deutsches Team durch einen sagenhaften Leistungsabrutsch und wird völlig unerwartet zum reellen Kandidaten für den Abstieg?

Läßt man das Interngequatsche mal aus, dann heißt die Antwort: Den Teams in der Abstiegsrunde fehlt jegliche Motivation. Das gilt sicher am extremsten für die deutschen Mannen, und Xaver Unsinn muß sich den Vorwurf gefallen lassen, daß er seine Spieler von den „schlechteren Vier“ am miesesten bei Laune halten konnte.

Aber auch der finnischen Mannschaft geht es nicht viel besser. Sie hatte in Stockholm Heimvorteil, denn die Finnen sind Schwedens stärkste Einwanderergruppe. In den 60er und 70er Jahren waren sie als billige Arbeitskräfte die „Türken Schwedens“. Jetzt haben sie durch einen Asylantenstrom zum Beispiel aus Iran, Irak und Chile zwar an Image gewonnen, doch bei Sportveranstaltungen in Schweden macht sich der Nationalitätenstreit noch immer bemerkbar. Die engagiertesten Fans dieser WM hatten beim mißglückten Einsatz ihres finnischen Teams jedoch keinen Grund zum Jubeln, die Spieler zeigten sich nur schwach von der „finnisch-schwedischen Imagefrage“ berührt.

Mit Fassung, aber ohne spürbare Begeisterung, tragen die USA das Los der „vergessenen Vier“. Polen hat ja immerhin noch Hoffnungsschimmer auf den Klassenerhalt, aber ihre Torbilanz können sich die polnischen Cracks sicher nicht ohne Magenschmerz anschauen. Das einstmals unerreichbare Ziel ist allerdings nicht mehr so weit entfernt, und die Polen sammeln schon Kräfte für das letzte entscheidende Spiel gegen die Deutschen am Sonntag.

Die halbe WM ist gelaufen. Was interessiert, ist allein der Kampf der Giganten. Die WM '89 ist offener als jemals zuvor. Hochspannung herrscht vermutlich bis zu den „Endspielen“ am Nachmittag des 1. Mai.

Dann wird man auch wissen, ob der Plan der schwedischen Organisatoren aufgeht, Gold auf allen Gebieten einzuheimsen. Finanziell hat man den großen Reibach gemacht: Auch wenn der Kartenverkauf bei der langweiligen Vorrunde schlechter lief als geplant, rechnet man mit Rekordzuschauerzahlen auf den Rängen der Globe-Arena. Organisatorisch lief alles wie am Schnürchen. Fehlt für die Gastgeber nur noch das sportliche Gold. Das schwedische Drei-Kronen-Team wird es allerdings schwer haben, den WM-Titel aus Wien zu verteidigen.

Falls sie an diesem hochgesteckten Ziel scheitern, haben die Spieler in den gelb-blauen Trikots jedoch schon einen klingenden Trost parat: Die WM-Platte der Eishockey-Wikinger „Nu tar vi de“ (Jetzt packen wir sie) liegt auf Platz 1 der schwedischen Hitparade. Bei WM-Frust könnte zumindest „Leadsänger“ Hakan Södergren problemlos von Schwedens Nationalsport ins Musikbusineß wechseln.

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