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Halbwöchig geschlossen

Zum Protest gegen andere Ladenschlußzeiten  ■ K O M M E N T A R

SPD-Männer wissen offenbar genau, was Frauen wünschen: Der in Bonn beschlossene Dienstleistungsabend sei nicht nur eine bürokratische Mißgeburt, sondern auch eine frauenfeindliche Entscheidung, meinte der parlamentarische Geschäftsführer der SPD, Hans-Joachim Kern. Wir wissen nicht, wann Herr Kern einkauft, aber wir wissen von vielen berufstätigen Frauen, die nicht wissen, wann sie einkaufen gehen sollen. Die Hochzeiten der Kleinfamilien, wo die Frau während der Ladenöffnungszeiten zu Hause war, sind vorbei, und Arbeitlose und StudentInnen bilden noch nicht die Mehrheit der Bevölkerung. Da Berlin den langen Donnerstag nicht einführen wird, dafür aber den langen Sonnabend um 16 Uhr enden lassen will, werden Berufstätige demnächst noch mehr bestraft und müssen sich weiter in die anachronistischen Schlangen vor Lebensmittelkassen einreihen. Aber seine vermeintliche Frauenfreundlichkeit entlarvt der gute Mann von der SPD sehr schnell selber. Ihm tun vor allen Dingen die Beschäftigten leid, die Donnerstagsabend nicht zu ihrem Sportverein können. Ob das nun gerade der Wunschtraum aller Frauen ist, wage ich zu bezweifeln.

Was aber noch viel ärgerlicher ist: Ausgerechnet in einer Großstadt wie Berlin wird auf Provinzialität beharrt. Die Familien sollen doch alle schon freitags einkaufen, schlägt beispielsweise die HBV vor. Das vorgezogene Wochenende, das damit zwangsweise verbunden ist, ist tödlich für jede Großstadt, die was auf sich hält. Wenn in Berlin folgerichtig von freitags bis montags nirgendwo gearbeitet wird, weil alle einkaufen gehen, kann man jedem, der einen Hauch von Urbanität spüren will, nur zum Besuch anderer Hauptstädte raten. Walter Momper wußte beispielsweise die Vorzüge des langen Ladenschlusses in Washington sehr wohl zu schätzen. An einem Thema, an dem der neue Senat endlich mal anfangen könnte, Phantasie zu entwickeln für eine Stadt mit mehr Lebensqualität und gleichzeitiger sozialer Sicherung für die Betroffenen, fällt den Genossen nur Altbackenes ein. Die Gewerkschaften wiederum verpaßten die Chance, mit der Einführung längerer Ladenschlußzeiten günstige Manteltarifverträge herauszuschlagen, die individuellen Lebensentwürfen von Verkäuferinnen mehr Raum zubilligen. Das wäre eine wahrhaft frauenfreundliche Lösung.

Rita Hermanns

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