: Die Domina in der Downing Street
■ Margaret Thatcher regiert seit zehn Jahren Großbritannien / Aus London eine Bilanz von Rolf Paasch
Zehn Jahre nach dem Beginn der wirtschaftlichen Radikalkur weist die Leistungsbilanz ein Rekorddefizit auf, die Inflationsrate liegt bei 8 Prozent, die beschönigte Arbeitslosenzahl bei knapp zwei Millionen, das durchschnittliche Wachstum bei 2 Prozent. Dies hätte, so der 'Observer‘, „auch ein Affe am Steuer unserer Wirtschaft erreicht“. Kein Wunder, daß selbst die Briten ihrer langsam überdrüssig werden: 58 Prozent plädierten für ihren Rücktritt vor den nächsten Wahlen.
Sie ist schon Geschichte, noch bevor diese geschrieben ist. Am Donnerstag den 4. Mai 1989 wird Margaret Thatcher zehn Jahre an der Spitze der konservativen Regierung stehen und damit der am längsten dienende britische Premier des 20.Jahrhunderts sein. Doch Maggie, die Eiserne Lady, „La Passionara der Privilegierten“ und Schrecken der Armen, Krämerstochter und Missionarin des Laisser-faire, sie wird am Donnerstag wie an den bisher 3650 Tagen ihrer Herrschaft keine Zeit zum Feiern haben. Es gibt noch viel zu tun im von ihr gespaltenen Königreich: Parlament und Kirche sind noch nicht privatisiert, der lokale Sozialismus ist noch nicht vollständig ausgemerzt, und die mit schwächlichen Liberalen bevölkerten Medien sind immer noch nicht gleichgeschaltet. Sie wird - darauf können sich die Briten verlassen - auch diese Probleme noch anpacken.
Maggies heißer Draht
zu „Joe Public“
Lebte Gramsci noch, so würde er in diesen Tagen zu Feldstudien nach Großbritannien aufbrechen; schließlich gibt es hier eines der besten Beispiele für sein „hegemonisches Projekt“ in der Praxis zu bewundern: die Ersetzung der Grundpfeiler des Nachkriegsbritanniens und die Veränderung der sozialen Blöcke, kurzum: den Thatcherismus. Die Premierministerin, so ist zu hören, mag diesen Begriff nicht. Sie glaubt mit ihrer Politik keine Theorie, sondern lediglich die Ansichten des britischen Normal-(bzw. Klein -)bürgers, Joe Public, auszudrücken. „Tief in ihrem Instinkt“, so Frau Thatcher 1980, „glauben die Leute, daß das, was ich sage und tue, richtig ist; ich selbst weiß dies, weil ich so erzogen worden bin. Ich betrachte mich als eine sehr normale und gewöhnliche Person, mit dem richtigen Instinkt, der richtigen Antenne.“
In der Tat hatte das „Girl von Grantham“ seine hausbackene Lebensphilosophie schon auf dem Schoß des Vaters gelernt. Der sparsame Krämer und strenge Bürgermeister der kleinen Gemeinde in Mittelengland war gleichzeitig das ideologische Idol der späteren Premierministerin. „Meine Politik“, so faßt sie die Essenz des frühen Thatcherismus zusammen, „beruht nicht auf einer ökonomischen Theorie, sondern auf den Dingen, mit denen ich wie Millionen andere groß geworden bin: ein ordentlicher Lohn für ein anständiges Tagewerk; nicht über die Verhältnisse leben; einen Notgroschen für schlechte Tage beiseite legen; die Rechnungen pünktlich bezahlen; die Polizei unterstützen“. Der Thatcherismus benannt nach einer Frau, die in ihrem ganzen Leben noch nie eine eigene oder gar originelle Idee gehabt hatte - ist bis heute jene eigenartige Mischung aus puritanischen Lebensweisheiten und provinzieller Hausfrauenökonomie geblieben, gespickt und eklektizistisch aufgepeppt mit den reaktionären Theoriefragmenten ihrer ausschließlich männlichen Gurus.
Monetarismus
und Masochismus
Margaret und die Männer. Trotz ihrer unbestrittenen Qualifikationen als ausgebildete Chemikerin und studierte Juristin erlangte die heute 63jährige ihre ersten Staatssekretärs- und Ministerposten vor allem aufgrund ihres Geschlechts. Immer wenn die Tory-Regierungen der 60er und 70er Jahre eine Frau zur Auflockerung der ausschließlich maskulinen Kabinettsriege brauchten, war die arbeitswütige und humorlose Margaret - konkurrenzlos - zur Stelle. Ihre überraschende Wahl zur Parteivorsitzenden 1975 war dagegen ein Betriebsunfall. Mit chauvinistischer Herablassung und in völliger Unterschätzung ihrer Ambitionen benutzten die konservativen Hinterbänkler den weiblichen Emporkömmling, um ihrem unbeliebten Parteivorsitzenden und Oppositionsführer Edward Heath einen Denkzettel zu verpassen. Als sich die Partei im zweiten Wahlgang nicht auf einen Kandidaten einigen konnte, war sie plötzlich da. „Die werden wir nicht mehr los“, gab sich der später von ihr geschaßte Arbeitsminister Jim Prior über ihre Wahl entsetzt.
Frau Thatchers glatter Durchmarsch von der konservativen Studentenaktivistin in Oxford zur Parteivorsitzenden und Premierministerin wäre ohne die Unfähigkeit des männlichen Parteiestablishments, mit ihrer dreifachen Außenseiterrolle fertigzuwerden, nicht denkbar gewesen. Die aus der Mittel und Oberschicht stammenden Traditionstories hatten für die soziale Aufsteigerin aus der unteren Mittelschicht - die im Gegensatz zu ihrem Vorgänger Heath auch noch stolz auf ihre niedrige Herkunft war - nichts als Spott übrig. Dem zu über 95 Prozent in Geisteswissenschaften ausgebildeten Partei und Beamtenestablishment war zudem der Faktenhunger dieser arbeitsbesessenen Naturwissenschaftlerin ein Greuel. Und mit ihrem Geschlecht konnten diese verklemmten Produkte britischer Privatschulen - für die Frauen entweder „a bit of fun“ oder MÜtter, aber nie Partner oder gar Konkurrenten sein konnten - schon gar nicht umgehen. So umgab Margaret Thatcher von Anbeginn ihrer politischen Karriere eine gewisse Unangreifbarkeit des ungewohnt Weiblichen. Daß sie als Frau später zur „Nanny“, zur Internatsleiterin der britischen Nation emporsteigen konnte, war danach gar nicht mehr so überraschend. Und in einem Land, wo das viktorianische Public-school-Ideal des „Gelobt sei, was hart macht“ und „Besser Schmerz als gar kein Gefühl“ bis in alle Gesellschaftsschichten vorgedrungen ist, war es auch kein Zufall, daß die bittere politische Pille nach Jahrzehnten der Weigerung am Ende nicht von einem Mann an der Spitze der Labour Party, sondern von einer Frau an der Spitze der Konservativen akzeptiert wurde. In der Figur der Margaret Thatcher, Nanny und Eiserne Lady zugleich, gingen „sex and politics“, Monetarismus und Masochismus Anfang der 80er Jahre eine einzigartige Symbiose ein.
„Unregierbarkeit“ - Panik des Establishments
Margaret Thatchers (Wahl-)erfolge beruhten von Anfang an auf dem Scheitern der Linken, die letzte konservative Regierung ihres von den Gewerkschaften weichgeklopften Vorgängers Edward Heath eingeschlossen. Was Heath und Labour-Premier Callaghan vor ihr nur halbherzig versucht hatten, ging sie mit dem ihr eigenen missionarischen Eifer an: die Beseitigung allen ökonomischen Übels, die Zähmung der Gewerkschaften und die Wiederherstellung der staatlichen Autorität. Statt der versäumten Reformen der verbürokratisierten Staatsbetriebe und des zutiefst undemokratischen Systems industrieller Beziehungen von links gab es nun eine Radikalkur von rechts. Die Thatcher -Regierung war das Resultat einer einsetzenden Panik in der herrschenden politischen Klasse Großbritanniens angesichts der konstitutionellen und industriellen Krisen Ende der 70er Jahre und der durch sie drohenden „Unregierbarkeit“. „In der Staatskunst“, so schreibt der Politologe David Marquand, „markiert der Thatcherismus die Renaissance der erschreckten, aber immer noch intakten alten Ordnung.“ Empört über den geschmacklos empfundenen Streik der britischen Totengräber auf dem Höhepunkt der Arbeitskämpfe im „Winter der Unzufriedenheit“ 1978/79 machte sich die zur Hilfe gerufene Regierung Thatcher nun daran, dem Sozialstaatskonsens der Nachriegszeit sein Grab zu schaufeln. Nachdem die neokonservative Gegenrevolution in der ökonomischen Sphäre Keynes durch Adam Smith und Milton Friedman ersetzt hatte, trat an die Stelle des korporatistischen Ideals des für alle verantwortlichen Wohlfahrtsstaates die Hobbessche Weltsicht: Freiheit für die Kräfte des Marktes und Unterwerfung der Subjekte unter den Leviathan, das souveräne Parlament, dessen zweite Kammer in Großbritannien ja nicht einmal gewählt wird. „So etwas wie eine Gesellschaft gibt es gar nicht“, erklärte Margaret Thatcher den verdutzten Anhängern der Sozialstaatsidee, „nur einzelne Männer und Frauen und deren Familien“.
Der Falkland-Streich
So wurde in der ersten Legislaturperiode die Inflation durch die Tolerierung einer hohen Massenarbeitslosigkeit bekämpft. Die sozialen Kosten wurden - wenn überhaupt - durch die Einkünfte aus dem Nordseeöl bestritten. Als einige der zaghafter veranlagten Minister nach dem zweiten, brutal verordneten monetaristischen Budget 1981 angesichts von 3,5 Millionen Arbeitslosen das Gewissen packte, wurden sie von Maggie zur Ordnung gerufen oder in die Wüste geschickt. Von da an umgab sich die Premierministerin im Kabinett, wie es Oppositionsführer Neil Kinnock einmal ausdrückte, nur noch mit männlichen „Speichelleckern und Fußabtretern“. Nur noch drei Minister ihrer gegenwärtigen Riege politischer Waschlappen sind heute von der ersten Regierungsmannschaft übriggeblieben.
Nur der Sieg im Falklandkrieg von 1982, jene operettenhafte militärische Expedition zur Befreiung der von der argentinischen Junta besetzten Schafzüchterinseln im Südatlantik, rettete die Regierungschefin vor der im darauffolgenden Jahr drohenden Wahlniederlage. Das anachronistische Krieglein gegen General Galtieri verschaffte ihr nicht nur vier weitere Regierungsjahre; von nun an war Margaret Thatcher nicht nur Verabreicherin bitterer volkswirtschaftlicher Medizin, sondern auch heroische Figur, die mit den Kriegspremiers Lloyd George und Winston Churchill auf einer Stufe stand. Der Falklandsieg war die militärische Feuertaufe der Staatsmännin Margaret Thatcher. „Wir haben Großbritannien wieder stark gemacht“, lautete jetzt ihre psychologische Zauberformel für die noch unter der Schmach von Suez leidende imperiale britische Seele. Der Thatcherismus versucht, das Ende der einstigen britischen Großmachtstellung durch nationale Flottenabenteuer und eine 150prozentige Nato-Mitgliedschaft zu verdrängen. Doch der insulare Nationalismus Frau Thatchers zeugt eher von einer verschrobenen europäischen Optik statt von visionärer Sicht eines vereinten Europas.
Gnadenschuß für
die Gewerkschaften
Aufgrund des Falklandstreichs und der anhaltenden Spaltung der Opposition in eine lernunfähige Labour Party und eine wacklige sozialliberale Allianz zum zweiten Mal von rund 40 Prozent der Wähler an der Macht bestätigt, forderte die neokonservative Revolution neue Opfer. Der mit Milliardenverlusten und dem Abbau demokratischer Grundrechte erkaufte Sieg der Regierung Thatcher im einjährigen Bergarbeiterstreik brach den Gewerkschaften endgültig das Genick. Wer in den meist labourkontrollierten Rathäusern im Lande gegen die finanziellen Budgetbeschränkungen der Regierung aufmuckte, wurde von den Gerichten diszipliniert oder wie die linke Londoner Stadtverwaltung kurzerhand abgeschafft. Ausgerechnet die Regierung, die in der ökonomischen Sphäre den Rückzug des Staates predigte, organisierte die wohl straffeste Zentralisierung der Macht in der englischen Geschichte.
Mit den Milliardenerträgen aus einer ganzen Serie von Mammutprivatisierungen der Staatsbetriebe (Telephon, Gas, Öl) finanzierte die Regierung einen künstlichen Konsumboom, der einer aufsteigenden Mittelklasse und den qualifizierten Arbeitern suggerierte, daß es ihnen unter Maggie materiell besser ging als je zuvor. Die eineinhalb Millionen Haushalte, die gerade ihre Sozialwohnungen erstanden hatten, und die acht Millionen Volksaktionäre der privatisierten Staatsbetriebe (die mit einem eingebauten Diskont politisch bestochen wurden) rannten mit ihren Gewinnen in die Shops und kauften wie die Verrückten: vor allem Importe, denn der in der Rezession 1980/81 kaputtgeschrumpfte Produktionssektor konnte die Güternachfrage schon längst nicht mehr stillen. Alleinstehende Mütter, Arbeitslose, Sozialhilfeempfänger und Niedrigverdienende, für die weder Aktien- noch Grundbesitz erschwinglich waren, wanderten unterdessen in die neue Unterklasse ab. Mit einem Anteil von 20 bis 25 Prozent an der Bevölkerung waren sie im anachronistischen Mehrheitswahlrecht für einen konservativen Wahlsieg überflüssig geworden. Mit 32 Prozent der Stimmen aller Wahlberechtigten Briten sicherte sich Margaret Thatcher im Juni 1987 ihren dritten aufeinanderfolgenden Wahlsieg - und eine Unterhausmehrheit von 100 Sitzen.
Das Thatcher-Regime
Spätestens seit Juni 1987 ist es angemessen, von einem Thatcher-Regime zu sprechen. Ohne nennenswerte Opposition Labour war demoralisiert, und die Allianz spaltete sich erneut in Sozial- und liberale Demokraten - machte sich Margaret Thatcher daran, auch ihre letzten Gegner in den altehrwürdigen Institutionen des Landes aufzuspüren und auszurotten. Was folgte, waren Bemühungen zur endgültigen Etablierung der konservativen Hegemonie. In den Künsten und Medien ersetzten ihre neureichen Neokonservativen die moderaten Tories der alten liberalkonservativen Schule. Im März diesen Jahres ernannte Frau Thatcher gar einen Grundstücksspekulanten zum Vorsitzenden des „Arts Council“. One of us - so der Titel der jüngsten Thatcher -Biographie, ist zum bezeichnenden Schlagwort für ihren autokratischen Herrschaftsstil geworden. Was den Sponsoren der Industrie nicht gefällt, soll auf der Bühne nicht mehr gespielt werden; was der Regierung nicht paßt, soll im Fernsehen nicht mehr gesendet werden. So verhinderte die Polizei im letzten Jahr die Ausstrahlung des Zirkon -Programms, in dem die Regierung der Irreführung des Parlaments bei der Mittelbewilligung für den geheimen Spionagesatelliten beschuldigt wurde. So sind mittlerweile Fernsehinterviews mit den gewählten Mitglieder der nordirischen Sinn-Fein-Partei nicht mehr erlaubt, weil sie der IRA zu nahe stehen. Und so wurden dem „investigativ journalism“ mit dem verschärften Geheimhaltungsgesetz neue, von der Regierung definierte Grenzen gesetzt.
All dies - die konservative Eroberung unabhängiger Institutionen, die Zerstörung demokratischer Strukturen und Traditionen und die Einschränkung der Pressefreiheit durch das Thatcher-Regime - ist nur möglich, weil die konstitutionelle Verfassung des Vereinigten Königreiches auf dem Stand von 1688, der oligarchischen, aber noch nicht demokratischen Revolution, stehengeblieben ist. „Wir Briten“, so formuliert es der linke Autor Anthony Barnett, „sind Subjekte, aber keine Citoyens.“ Großbritannien, die Mutter der Demokratie, ist in Wirklichkeit immer noch eine Stammesgesellschaft von „Lords“ und „Natives“, einer in der Revolutionsverhinderung wohltrainierten herrschenden Klasse und an die Demokratie von oben gewohnten Eingeborenen. Und so haben Teile der Labour-Bewegung nach 10 Jahren immer noch nicht begriffen, daß Frau Thatcher nicht auf dem engen Terrain der industriellen Beziehungen, sondern auf dem Feld demokratischer Auseinandersetzungen zu bekämpfen ist. In einer modernen Demokratie wäre dagegen aus den Thatcher -Jahren keine Dekade geworden. Ohne den Mangel an demokratischen Traditionen von unten, das Fehlen einer geschriebenen Verfassung und positiv formulierter Bürger und Arbeitnehmerrechte, ohne den englischen Hang zum Masochismus („Was weh tut, muß gut für uns sein“) und die politische Hilflosigkeit der loyalen britischen Untertanen wäre der Aufstieg des „Girls von Grantham“ zur Domina von Downing Street nicht möglich gewesen.
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