: Erinnerungen an das schreckliche Bremen
■ Auf Einladung der Abrüstungsinitiative Bremer Kirchengemeinden und der Deutsch-Sowjetischen Gesellschaft sind zum erstenmal sowjetische Zwangsarbeiter in Bremen zu Gast / Von 1943 bis 1945 arbeitete W. Trebuschnoj im Bremer Holzhafen
„Die Zeit in Bremen hat einen großen Makel in unserem Lebensn,“ Dina Trechnaja lächelt freundlich, als sie dies sagt. Ihr Mann Wladimir sitzt tief bewegt daneben, er kann die Tränen kaum zurückhalten. Das russische Ehepaar ist zum ersten Mal wieder in Bremen, seitdem nach Kriegsende die Zwangsarbeiter des Naziregimes zurück in die sowjetische Heimat geschickt wurden.
Gestern vormittag war „Ortstermin“ im Holz-und Fabrikenhafen. Wladimir Trebuschnoj war dort bis 1945 zusammen mit 1100 anderen Zwangsverschleppten aus der Sowjetunion Insasse des „Admiral-Brommy-Lagers“. Wladimir war als Siebzehnjähriger im Jahr 1943 aus der Ukraine nach Bremen verschleppt worden.
Drei Öfen standen, spärlich beheizt, in dem riesigen Schuppen,
erinnert sich der heute 63Jährige. Daran hätten die weit über tausend Zwangsarbeiter versucht'sich aufzuwärmen oder etwas Eßbares zu kochen, sofern sie irgendwo eine Kartoffel oder Küchenabfälle auftreiben und ins streng bewachte Lager schmuggeln konnten. Schließlich reichte die „Versorgung“ im Lager längst nicht aus. Meist gab es nur eine Wassersuppe nach dem Aufstehen, wenn die Arbeiter mit
Gummiknüppeln um fünf Uhr früh aus den Betten getrieben worden waren: „Vernichtung durch Arbeit lautete das Prinzip,“ ergänzt Pastor Drewes von der Abrüstungsinitiative Bremer Kirchengemeinden die Erzählungen seines Gastes.
Pastor Drewes war in der Sowjetunion zufällig auf das Ehepaar Trebuschnoj gestoßen. Eine Delegation der Abrüstungsinitiative Bremer Kirchengemeinden
hatte 1987 bei einer Reise durch die Sowjetunion das Ehepaar kennengelernt und seine Einladung in die Hansestadt initiiert. Damit sind zum ersten Mal sowjetische Zwangsarbeiter zu Gast in Bremen.
Mehr als 100.000 Zwangsarbeiter müssen während des Naziregimes in Bremen eingesetzt gewesen sein. Dies haben Hochrechnungen der verschiedenen Forschungsprojekte und Initiativen ergeben, die sich mit dem Problem der Zwangsarbeiter auseinandersetzen. Wesentliche Hinweise finden die Forscher dabei auch in Augenzeugenberichten wie denen der Trebuschnojs. Wladimir Trebuschnoj ließ vor der Presse gestern noch einmal den Arbeitstag im Lager Revue passieren, über den Akten und Fotodokumente sonst wenig aussagen: Von den 700 Zentner schweren Zellstoff-Ballen, die zu schleppen waren, sprach er. Aber auch von den Hinrichtungen im Lager vor den Augen der Kameraden, von den Bombenangriffen, die die Zwangsarbeiter in Erdhöhlen oder unter Sandhaufen verbrachten, weil für sie Bunkerverbot galt. Und er erzählte von den Aufräumaktionen zerfetzter Körper, die wegen der befürchteten Blindgänger Sache der ver
schleppten „Untermenschen“ war. Als Folge der Zwangsarbeit war Trebuschnoj übrigens vier Jahre lang krank ans Bett gefesselt.
Und erst die Perestroika ließ überhaupt ein „Komitee der Veteranen des Krieges“ entstehen, das über Hilfen für Leute wie Trebuschnoj nachdenkt. Empfangen wurden die Zwangsarbeiter aus Deutschland im stalinistischen Russland „als Verräter“. Sie wurden geächtet, mußten wie die Familie Dina Trebuschnajas nach Sibirien umziehen. Die Quasi -Hauptstadt Leningrad, eigentliche Heimat von Dinas Familie, war ihnen versprerrt.
Als einen Akt der Völkerverständigung sehen deshalb sowohl die Einladenden in Bremen (die Abrüstungsinitiative Bremer Kirchengemeinden und die Deutsch-Sowjetische Gesellschaft) als auch die einst in Bremen geknechteten Russen diesen Besuch in der Hansestadt. Zu Hause in Kasachstan warten die 13 Kinder und 21 Enkel auf die Berichte der Reisenden. Damit will Dina Trebuschnaja das angefangene Dokumentationsheft über die Zeit in Deutschland, das sie ihren Nachkommen hinterlassen wird, beschließen.
Birgitt Rambalski
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