: „Der Senat steht vor einem Scherbenhaufen!“
■ Die Berliner CDU und die „Republikaner“ machen den Senat für die Ausschreitungen in Kreuzberg verantwortlich / Kritik an „Deeskalationstrategie“ geübt / Bundesregierung sieht sich in Verschärfung des Demonstrationsstrafrechts bestätigt
Die schweren Krawalle in Kreuzberg und Neukölln sind von allen im Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien verurteilt worden. Der rot-grüne Senat wurde aber wegen seiner Deeskalationspolitik von der CDU, der FDP und den „Republikanern“ scharf kritisiert. So erklärte der Landes und Fraktionsvorsitzende der CDU, Eberhard Diepgen, die SPD/AL-Koalition stehe schon wenige Wochen nach ihrem Amtsantritt „vor einem Scherbenhaufen“ ihrer Politik. Gleichzeitig forderte er den Senat auf, „seine Position zur Gewalt zu korrigieren“. Die Deeskalationsstrategie nannte Diepgen eine „falsche, von der politischen Führung veranlaßte“ Polizeitaktik der Zurückhaltung. Der neue Senat habe „Verständnis für Gewalttäter“ aber „stets Mißtrauen gegen die Polizei formuliert“.
Der Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Wolfgang Bötsch, wertete die Krawalle als Zeichen dafür, daß der neue Berliner Senat seine „erste große Bewährungsprobe“ nicht bestanden habe. An die Adresse der Sozialdemokraten sagte Bötsch gestern in Bonn: „Wer mit Kräften koaliert, die ein ungeklärtes Verhältnis zur Gewalt haben, braucht sich über solche Ereignisse nicht zu wundern.“
Mit den Krawallen ist nach Ansicht von FDP -Generalsekretärin Cornelia Schmalz-Jacobsen die Politik der Appelle gescheitert. Diese Ereignisse seien eine Herausforderung an alle Parteien, erklärte sie in Bonn. Sie verlangte Härte und Entschlossenheit, aber auch „gemeinsames Nachdenken über politische Wege aus der Gewalt“.
Die „Republikaner“ forderten auf einer Pressekonferenz den Rücktritt von Innensenator Pätzold. Die Ausschreitungen seien ein „Auswuchs der Regierungspolitik des neuen Senats“ meinte der Landes-und Fraktionsvorsitzende der REPs, Bernhard Andres. Gleichzeitig behauptete der Rechtsradikale, das AL-Vorstandsmitglied Christian Ströbele habe am Montag „teilweise Chaoten angeführt“. Die Chaoten und die AL wiesen das als „unverschämte Unterstellung“ zurück. Ströbele will nun gegen die „Republikaner“ eine Gegendarstellung erwirken.
Als „bewußte Randale gegen den SPD/AL-Senat“ wertete der DGB die Ausschreitungen am Montag. Hierbei habe es sich nicht wie 1987 um einen „spontanen Ausbruch als Ausdruck sozialer Nöte und Ängste“ gehandelt. Der Senat müsse „den Randalierern im Interesse seiner eigenen Ziele entgegentreten“, heißt es in einer Presseerklärung. Gleichzeitig bedauerte der DGB, das „viele Kolleginnen und Kollegen der Polizei gesundheitliche Schäden durch diese Gewalttäter erlitten“.
Die Vereinigung türkischer Sozialdemokraten hat sich in einem zweisprachigen Appell an die Kreuzberger Bevölkerung gewandt. Darin appellieren sie an diejenigen Jugendlichen, „die sich gestern nacht haben zu Ausschreitungen mitreißen lassen, auf solche Wege der Auseinandersetzung zu verzichten“. Statt dessen solle man sich für die Gleichberechtigung der BerlinerInnen ohne deutsche Staatsbürgerschaft einsetzen. An den Krawallen am Sonntag und Montag haben sich auch viele türkische Jugendliche beteiligt. Meisner: „Schnelle Hilfe für Geschädigte“
Der Finanzsenator Norbert Meisner hat den durch die Ausschreitungen geschädigten AnwohnerInnen Kreuzbergs „schnellstmögliche Hilfe“ zugesichert. Soweit keine anderweitige Entschädigung oder Ersatzmöglichkeit durch eine private Versicherung möglich sei, würde die öffentliche Hand für die Schäden aufkommen. Eine Entschädigung sei nur für Sachschäden möglich, in der Regel bis zu 10.000 Mark in voller Höhe und darüber hinaus zu 75 Prozent. Betroffene können sich unter der Telefonnummer 212 321 93 oder 212 32 280 bei der Senatsverwaltung melden.
Die Kreuzberger SPD lobte in einer Presseerklärung die Veranstalter des Festes, die „angemessen reagiert“ hätten, als sie das Fest am Montag um 17.20 Uhr abgesagt hätten. Die Gewaltaktionen seien eine „gezielte Kampfansage“ an den rot -grünen Senat, heißt es weiter. Die destruktive Gewalt der Randalierer nütze nur der politischen Rechten. Die politische und soziale Isolation der Gewalttäter sei jetzt Aufgabe des politischen Kreuzberg, 'meinen die Sozialdemokraten.
Bundesregierung: „Niederlage für rot-grün“
Die gewalttätigen Ausschreitungen weckten bei der Bundesregierung „größte Besorgnis“, erklärte Kanzleramtsminister Rudolf Seiters gestern in Bonn. Sie appelliere an die politische Führung in Berlin, „alles zu tun, um die Straße nicht Chaoten und Kriminellen zu überlassen“. Die rot-grüne Koalition müsse sich fragen lassen, ob sie mit der Abschaffung der polizeilichen Sondereinsatzgruppe der Bevölkerung wirklich gedient habe. Der Schutz der Bürger gegen gewalttätige Straftäter erfordere eine schlagkräftige Polizei, erklärte Seiters und zollte den Beamten namens der Bundesregierung Respekt für ihren „aufopferungsvollen Einsatz“.
ccm
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