Selbstgerechter Antifaschismus

■ Betr.: Kundgebung auf dem Marktplatz am 20.04.

Ohne Frage war die Kundgebung in Bremens guter Stube lautstarker Ausdruck berechtigter Empörung über das Anwachsen nationalistischer und neonazistischer Aktivitäten. Aber auf welche Realität reagiert die Erklärung des Marktplatzes zur „antifaschistischen Zone“? Etwa auf die vorherige Umbenennung in „Adolf-Hitler-Platz“? Was hat dieser Antifaschismus damit zu tun, daß Zehnjährige in der Neustadt einen fast Gleichaltrigen bedrohen, um ihm den Umgang mit seinem besten Freund, einem Schwarzen, zu verbieten? Was trägt er dazu bei, daß Neonazi-Aktionen und -übergriffe, wie sie fast täglich irgendwo vorkommen, aufhören?

Angesichts solcher Vorfälle kann man sich doch nicht damit begnügen, Verbote zu fordern und die Bekämpfung der „Faschisten“ einzuklagen. Wer sind diese „Faschisten“ eigentlich? Sind das die über 40% der Bevölkerung, die meinen, ohne Gaskammern und Krieg wäre der Nationalsozialismus ganz akzeptabel gewesen? Oder diejenigen, die angesichts der europäischen Integration deutsche Identität und Souveränität bedroht sehen? Oder die, die in den Stadtrandsiedlungen räumlich und sozial ausgegrenzt sind. Vielleicht sind es die, die - bewußt oder unbewußt - merken, daß sich diese Gesellschaft nur um sie kümmert, wenn sie sich rechtsradikal verhalten oder so wählen? Oder sind es gar die vielen anständigen BürgerInnen, die „nur“ Recht und Ordnung wollen und ansonsten tun, was ihnen gesagt wird? Und sind wir uns selbst eigentlich sicher, daß wir nicht anfällig sind für Ausgrenzung, Ignoranz und latente Feindbilder?

Nimmt man diese Fragen ernst, wird klar: in jedem Lebens und Politikbereich gibt es Ansatzpunkte für praktischen Antifaschismus. Diese zu nutzen, erfordert aber die Offenheit, zunächst zu akzeptieren, daß die sogenannten „Faschisten“ zumeist nicht einfach die Bösewichte sind, die man prügeln muß, wo man sie trifft. Und es erfordert die Bereitschaft, sich auf Experimente einzulassen, die gerade den sozialen Gruppen mehr Verantwortlichkeit und Beteiligung am gesellschaftlichen Leben ermöglichen, die immer wieder davon ausgeschlossen werden. Sonst besteht die Gefahr, daß der gutgemeinte Antifaschismus selbstgerecht in Bremens guter Stube steckenbleibt.

Günter Warsewa, Sprecher des LaVo der Grünen Bremen

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