: Kunstfehler kosten wenig
Siebentausend Mark Geldstrafe für Orthopädieprofessor Bernbeck in Hamburg / Empörung im Gerichtssaal / Opfer fühlen sich überfahren / Revision angekündigt ■ Aus Hamburg Gabi Haas
Mit Empörung reagierten die betroffenen Patienten gestern auf das Urteil im Hamburger Kunstfehlerprozeß gegen den Orthopädieprofessor Rupprecht Bernbeck. Wegen fahrlässiger Körperverletzung in zwei Fällen wurde der 72jährige Ex -Chefarzt zu lediglich 7.000 Mark Geldstrafe verurteilt.
Doch nicht nur das niedrige Strafmaß gegen den prominenten Angeklagten sorgte für Überraschung, sondern vor allem auch der Freispruch im Fall des Hauptgeschädigten Reiner Janke, der im Prozeß als Nebenkläger aufgetreten war. Nach der Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen hatte Staatsanwalt Wolfgang Arnold die Anklage in diesem Fall sogar auf den Vorwurf der vorsätzlichen gefährlichen Körperverletzung erweitert.
Nach der Urteilsverkündung machten einige der Bernbeck -Geschädigten ihrer Wut und Enttäuschung vor dem Gerichtssaal lautstark Luft. „Dieses Urteil ist eine Aufforderung für die Ärzteschaft zum Pfusch!“ rief einer: „Das zahlt der doch aus der Westentasche.“
Im Scheinwerferlicht und Blitzgewitter der Kameras erklärte der auf Krücken gestützte Rainer Janke, daß er Revision gegen das Urteil einlegen wolle, „damit diese Kumpanei, diese Seilschaft unter den Ärzten endlich aufhört“. Janke erinnerte an die über zweihundert Bernbeck-Patienten, die Anspruch auf Schadenersatz gestellt hätten, deren Leidensgeschichten aber in diesem Prozeß nicht mehr verhandelt worden seien, weil sie verjährt waren. Zuvor hatte der Vorsitzende der Großen Strafkammer des Hamburger Landgerichts, Hans Joachim Röhse, die Urteilsbegründung mit einem Exkurs über die Rolle der Justiz während und nach der NS-Zeit eingeleitet. Keiner der an Sondergerichten und am Volksgerichtshof tätigen Juristen sei nach dem Kriege verurteilt worden. Das mache klar, warum sich Richter heute bei der Verurteilung anderer Berufsgruppen äußerste Sorgfalt aufzuerlegen hätten.
In seinen weiteren Ausführungen stützte sich Röhse im wesentlichen auf die Aussagen der drei Sachverständigen, die in diesem Prozeß als Gutachter bestellt worden waren. Eine Schlüsselfunktion schob das Gericht dabei dem Tübinger Professor Hans Mau (68) zu, den es quasi als neutrale Instanz zwischen dem von der Verteidigung benannten Homburger Professor Heinz Mittelmeier (61) und dem von der Staatsanwaltschaft benannten Lindauer Dr. Klaus Zobel (68) schob. Während des Prozesses war Mau von seinen für Bernbeck ungünstigen Aussagen in einem vorher angefertigten schriftlichen Gutachten abgerückt, weil er - wie er vor Gericht erklärte - sich von seinem Kollegen Mittelmeier habe „belehren lassen“.
Gerade im Fall Janke (siehe S.5) hatte Mau ursprünglich die von Bernbeck angewandte Operationstechnik als mit dem Krankenbefund „nicht vereinbar“ und „mit nennenswert erhöhtem Risiko“ charakterisiert. In seinem Rückziehen sprach er dann nur noch von einer Methode, die ihm zwar „Unbehagen“ bereite, von der älteren Literatur aber gedeckt sei. Entsprechend wertete auch das Gericht den von Zobel scharf kritisierten Bernbeckschen Schrägschnitt als „nicht abwegig“.
Zwar sei Janke vorher auch nicht umfassend über die Risiken aufgeklärt worden, seine schriftliche Einverständniserklärung mit der Operation also unwirksam. Da Janke aber nach übereinstimmenden Zeugenaussagen unbedingt wegen seiner O-Beine habe operiert werden Fortsetzung Seite 2
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wollen, sei von einem „mutmaßlichen Einverständnis“ auszugehen. Fehlerhaftes Verhalten erkannten die Richter im Fall Janke nur bei der Nachbehandlung, als Bernbeck eine beginnende Knocheninfektion nicht bemerkt und deshalb wichtige therapeutische Maßnahmen unterlassen hatte. Doch auch diese Unterlassung reichte für das Gericht zur Verurteilung nicht aus: Es sei nicht nachzuweisen, daß der Schaden bei rechtzeitiger Behandlung nicht eingetreten wäre. Diesen Nachweis sah das Gericht nur im Fall der heute 27jährigen Corinna Hoffmann erbracht, die der von seinen früheren Mitarbeitern als unbelehrbar geschilderte Ex -Chefarzt 1981 wegen einer X-Stellung an beiden Beinen operierte, obwohl die
Diagnose allenfalls den schweren Eingriff an einem Bein gerechtfertigt hätte.
Nach Ansicht des Gerichts ist dem Skandalorthopäden auch fehlerhaftes Verhalten im Fall der 30jährigen Gabriele Fromheim nachzuweisen. Bei der Operation der Hüfte hätte er eine „Über-Überkorrektur“ vorgenommen. „Im Zweifel für den Angeklagten“, so lautet im Strafrecht der Grundsatz, der auch Bernbeck zu so großer Milde verholfen hat. Daß die Richter solche Zweifel durchaus hatten, machte Röhse im Fall der 26jährigen Martina Kuhlmann deutlich, in dem Bernbeck ebenfalls freigesprochen wurde: „Auch der Kammer ist es schwergefallen, die Äußerungen der Sachverständigen zu akzeptieren. Überzeugt ist sie nicht, aber sie muß sich auf das Urteil der Sachverständigen Gutachter verlassen.“
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