: Kleine Männer
■ Anmerkungen zur Ungerechtigkeit der Natur
Colombo
Der kleine Mann weiß nicht
daß er klein ist
und fürchtet es zu wissen. Wilhelm Reic
Er mag alles mögliche gewesen sein, aber keiner hat je behauptet, daß er ein netter Kerl war. Männer sind auf ihn hereingefallen: Goethe - selber klein - sah sein Leben als „das Schreiten eines Halbgottes von Schlacht zu Schlacht und von Sieg zu Sieg“. Frauen nicht: „Ohne alle Mäßigung“ sei dieses kleine Monster, schrieb Königin Luise 1806 an den Vater, „er und sein unangemessener Ehrgeiz meint nur sich selbst und sein persönliches Interesse“.
Vom Prototyp ist die Rede, vom kleinen Korsen Napoleon Bonaparte, dieser Zusammenballung von Männlichkeitswahn auf kleinstem Raum, die sich selbst zum Kaiser krönte. „Little Boney“, wie die Engländer spotteten, jagte, klein und zunächst auch schmächtig, seinem Komplex mit aller Brutalität bis nach Kairo, Madrid und Moskau hinterher, stets auf der Suche nach Größe. Es war der spektakulärste Zwergenaufstand der europäischen Geschichte.
Charlie Chaplins Mutter hat dem kleinen Charlie eine Szene vorgespielt, die ihm sehr gut gefallen hat: „Napoleon geht auf Zehenspitzen in seiner Bibliothek herum und versucht dann, ein Buch aus dem Regal zu nehmen. Marshall Ney will ihm dabei helfen (Mutter spielte beide Rollen): 'Sire, erlauben sie mir, es ihnen zu reichen, ich bin größer.‘ Darauf Napoleon mit grimmigem Gesicht: 'Größer? Länger!'“
Sie hassen es, an ihre Kürze erinnert zu werden. Sie können es nicht ertragen, auf Brusthöhe der anderen zu verkehren und schaffen sich Ersatz. Fragt man Frauen nach kleinen Männern, huscht meist ein wissendes Grinsen übers Gesicht. „Die stampfen oft störrisch mit den Füssen auf wie Rumpelstilzchen“, erzählen sie, „die haben diesen eckigen Trippelschritt“. Übermäßig eitel (Beispiel: Otto Schily) sind die lieben Kleinen und etablieren beim Versuch der Selbstverwirklichung ebenso gerne ausbeuterische Beziehungen zu arbeitenden Männern (Beispiel: Rudolf Augstein) wie zu liebenden Frauen (Beispiel: Bertold Brecht).
Erfolg entschädigt sie nur wenig. Der Fernseh-Journalist Stefan Aust, von nagendem Ehrgeiz gebeutelt, hat mit „Spiegel-TV“ nun endlich seine eigene Sendung. Macht ihn das gelassener? Nein. Noch immer hat er „diesen Nähmaschinenschritt“ (das war wieder eine Frau), er regiert, nach napoleonischer Manier - „mit Stiefeln und Sporen“. Obendrein müssen noch Pferde und ein Porsche mit beheizbarebn Sitzen her. Dabei ist der Mann eigentlich fähig.
Oder Friedrich Nowottny, begabt, sogar charmant, dem mit dem WDR gleich eine ganze Anstalt Untertan ist. Es reicht ihm nicht. Er, der einst als Publikumsliebling so reizend mit dem Klein-Sein kokettierte, ist nur noch selbstverliebt, egozentrisch, machtbesessen. Oder Johannes Gross, vielschreibend nach Bedeutung haschend, unaufhörlich und paradox der Herrschaft der Großen über die Kleinen das Wort redend. Das ist das Schicksal kleiner Männer. Sie streben in den Himmel und geben, dort angekommen, noch immer keine Ruhe. So bedeutend, machtvollkommen, scharfsinnig, unanfechtbar überragend sie auch sind - sie bleiben klein. Und diese unverrückbare physische Realität terrorisiert sie auf ewig.
Fast magisch werden sie von den oberen Etagen angezogen auf daß bloß keiner auf sie herabschaue. Hart und rastlos arbeiten sie an der Aura der Unnahbarkeit. Aufhören würde Abstieg bedeuten. Ein Exempel: Helmut Schmidt, der Nußknacker-Preuße, der nach dem Kanzleramt noch „Die Zeit“ haben mußte, von wo aus er - Beweis seiner überragenden Weisheit - gnadenlos gute Ratschläge an die Menschheit absondert. Immerhin ist er von Plateausohlen auf ausgelatschte Mokassins herabgestiegen.
Sicher, sicher, kleine Männer haben's schwer. Schon die Sprache bietet einen überreichen Fundus an kleinen Schweinereien über Wichte, Zwerge und Männlein. Der Spott ist billig zu haben. Da wimmelt es von zu kurz gekommenen kleinen Fischen, die kleinmütig klein beigeben, von kleingläubigen Kleinbürgern aus Kleinkleckersdorf, deren Kleingeist kurzgehalten werden muß. Vernichtender noch das Pseudo-Große - jene großsprecherischen, gernegroßen Großkotze, die großtuerisch und -schnäuzig auf großem Fuße zu leben versuchen.
Wie edel dagegen die Kunde von den großherzigen Großtaten großartiger grosser Männer, die, großzügig durch die große Welt schreitend, ganz offenbar das große Los gezogen haben. Die Sprache verhöhnt die Shorties, prägt das Bild vom lächerlichen kleinen Piefke, der, unterhalb durchschnittlicher Kinnhöhe, permanent über seinen mangelnden Überblick hinwegzukläffen sucht.
Ausnahmen bleiben rar. Es gibt sie, die bekennenden kleinen Männer, die lachen können - auch über sich selbst. Eine ganze Reihe guter, kleiner Zirkusclowns. Oder der Kleine -Leute-Liebling Hans Rosenthal, der sich mit kleinen, kurzbeinigen Dalli-dalli-Hopsern selbst parodieren konnte. Aber sie leiden alle. Selbst Humphrey Bogart, Symbol melancholisch gebrochener Männlichkeit, litt an seinem kurzen Wuchs. In „Casablanca“, so wird erzählt, mußte für eine Szene sogar ein Zeitungsstapelher, um den Höhenunterschied zu Ingrid Bergmann zu vertuschen.
Die Toleranz kleiner Männer wurde getestet, das Ergebnis war katastrophal. Als Randy Newmann seinen Song „Short people“ 1977 auf Platz 1 der US-Hitparade plazierte, blies er einen Hurrikan des Kleinmuts los.
Der Song ging so:
Short people got no reason
To live...they stand so low
They got to come up
Just to say hello
Und dann sang Newman über „die schmierigen kleinen Finger / und die kleinen Niederträchtigkeiten / die winzigen kleinen Füsse / und die gepfefferten Lügen / die sie verbreiten...
Es war als ironischer Beitrag zum herrschenden Groß-Klein, zur Bigotterie made in USA gemeint. Aber es wurde bitter ernst genommen. Nur im „Rolling Stone“ hatte ein kluger Kleiner einen Geistesblitz, als er ausgerechnet Newmans versöhnliche Zeile in Strophe zwei - „Kleine Menschen sind genauso wie du und ich“ - aufs Korn nahm: „Nein, wir sind einfach kleiner. Zieh einen Stuhl ans Fenster, reck dich hoch und brüll hinaus: 'Ich bin klein wie der Teufel und ich hab die Schnauze voll.'“
Der Rest war blanker Haß. Organisationen wie „Little people of America“ und „Shorties are smarter“ setzten den Radiostationen solange zu, bis der Hit aus dem Programm verschwand. 400 stinkwütende Klein-Amerikaner konferierten im Ball-Saal eines Washingtoner Hotels und machten sich durch Eierwürfe auf ein Großfoto des Künstlers Luft. Newman, über Wäschekörbe voller Schmähbriefe gebeugt, reagierte gelassen auf das biestige Gefauche: „Einige Leute sind sehr zornig, aber es handelt sich um eine winzige Minderheit.“
Wer ist Schuld? Wohl, wie üblich, vor allem die Mütter. Aber auch jene Kinderbuchautoren, die den ganz Kleinen ausgerechnet damit trösten, daß viele Kleine doch schließlich ganz groß rausgekommen seien. Mäxchen Pichelsteiner, der Junge aus der Streichholzschachtel in Erich Kästners „Der kleine Mann“, repetiert seine Lektion: „Immer wieder erzählst du mir, wie viele berühmte Männer klein gewesen sind. Napoleon, Julius Caesar, Goethe, Einstein und ein Dutzend andere. Du hast auch gesagt, lange Menschen seien nur ganz selten große Menschen.“
Das ist natürlich Bullshit. Kann man kleine Kinder mit Heinrich Lummer trösten, diesem sadomasochistischen Choleriker, der keine Chance ungenutzt läßt, den schrecklichen Komplex niederzustrecken und dabei doch nur immer gruseliger wird. Mit der italienischen Polit-Schlange Giulio Andreotti, mit dem rumorenden Giftzwerg Yitzhak Shamir? Das bringt sie doch allenfalls um den Schlaf.
Vielleicht tröstet der mächtigste aller kleinen Männer, der Chinese Deng Xiaoping. Kein Kleiner ist wohl je so verhöhnt worden. Die Roten Garden machten den Anderthalb-Meter-Mann als „Spottgeburt“ nieder, schon als junger Mann wurde die „kleine Kanone“ als „pfeffriger Napoleon“ verspottet. Trotzdem ist er seit über zehn Jahren der kleine Weise on the top. „Obwohl er in seinem riesigen Sessel fast verschwindet“, berichtet die Süddeutsche Zeitung, “ ist er in einer Gesprächsrunde stets der Mittelpunkt“.
Ein später Triumph. Selbst der Grosse Vorsitzende Mao Tse -tung wollte dem kleinen beständig ans Leder - zweimal warf er Deng aus allen Ämtern. Einmal, auf einer Sitzung des Politbüros, forderte Mao alle Genossen, die mit seinem Vorschlag nicht einverstanden waren, auf, doch einfach aufzustehen. Deng erhob sich. O-Ton Mao: „Ich sehe niemanden, der steht. Die Sache ist einstimmig beschlossen.“
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