: DREH DICH NICHT UM!!!
■ Teatrodanza Skene aus Bozen/Rom in der Akademie der Künste
Stell dir vor, du wachst morgens auf, und eine Hand liegt auf deinem Gesicht, und du denkst, es wäre deine eigene, und willst sie wegnehmen, und wie du die Armmuskeln anspannst, da entdeckst du noch zwei andere, dir plötzlich fremde Hände am Ende deiner Arme, und die auf dem Gesicht, die ist mitten aus dem Brustbein gewachsen und hält sich an deiner Nase fest.
Du liegst da und willst aufwachen, aber kannst die Augen nicht öffnen, und wie du mit den Händen nach den Augenlidern tastest, um sie endlich aufzuschieben und Licht zu sehen, da fühlst du nur Gips in deinem Gesicht.
Ein großer Panzer trudelt dich zu wie ein Dilldopp. Du hast keine Angst. Aus seinen Schießscharten streckt er zärtlich zwei Arme nach dir aus, und du beginnst, mit ihm zu tanzen wie zwei Kinder im Heimatfilm.
Zu den wiederkehrenden Alpträumen seit meiner Schulzeit gehört, nur im Unterhemd auf dem Schulhof zu stehen. Die Fortsetzung findet in den Toiletten statt, und in den Bildern des Teatrodanza finde ich sie wieder: Irgend etwas stimmt nicht mit den Türen, jemand wirft sich dagegen, was ist dahinter, jemand klettert hinüber, warum ist sie bloß so naß, die Türen muß man mit aller Kraft zuhalten, wo kommt nur das Rauschen her?
Preß du dich in einem dir unbekannten Zimmer mit stockendem Atem an die Wand, dann gibt sie plötzlich nach, greift nach dir, ein Etwas von jenseits der Mauer drückt sich zu dir durch. Du willst fliehen, aber in dem Moment hat der Film einen Riß, die Szene beginnt von vorn, wieder kommst du in das Zimmer und gehst zu der Wand usw. usw. Immer nur steuerst du auf diesen einen grausamen, alles entscheidenden Höhepunkt zu, und nie erfährst du, wie es weitergeht.
Die sechs Akteure (fünf Frauen, ein Mann) von Teatrodanza Skene bieten Tanztheater als Versuchsanstalt: Wie lange hält die physische Einheit des Menschen seiner psychischen Demontage stand?
Nervosität, Verstecken, Verschwinden, die Erregung der Angst, manisches Pendeln, erschöpfendes Auf-der-Stelle -Treten, heftiges Atmen, Zusammenbrechen, Fallen, Fallen, Fallen. Die Gestalten irren zwischen ihren Alpträumen umher, und bei jedem Versuch zu erwachen fahren sie nur in ein anderes Stockwerk im Wolkenkratzer der Visionen ein. Ohne Willen und ohne Ziel bewegen sie sich. Von irgendwoher wird ihnen bis an die Grenzen der Selbstverletzung dieses heftige Schleudern und Klappen der Glieder zudiktiert. Sie gleichen Marionetten, an denen unsichtbare Drahtzieher ihre Wut auslassen.
Katrin Bettina Müller
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