: Atolle aus Atommüll
■ In der Südsee kämpfen amerikanische und japanische Atomindustrien um Abfallhalden nicht nur für atomaren Schutt.
Eckart Garbe
Gefährliche, hochsensible und schmutzige Fracht kutschiert ständig auf den Ozeanen herum. Eskortiert durch die Navy und satellitenüberwacht, befahren Schiffe wie die japanische „Seishin Maru“ mit radioaktivem Strahlengut die Route zwischen dem fernöstlichen Land und den demnächst zwei WAA -nahen Häfen Barrow (Sellafield/Windscale) in England und Cherbourg (La Hague), Frankreich. Auch transozeanische Plutoniumflüge in Großraumjets zwischen Europa und Japan mit wiederaufbereiteten Brennstäben an Bord sind schon für die Zeit nach 1992 geplant. Tödliches Gut, atomare Abfälle, umweltbelastende Stoffe, strahlendes Gift: Die Südsee droht erneut mißbraucht zu werden, ihre Inseln tauschen vielleicht bald das Image von Palmenkulissen gegen den Ruf eines Schutthaufens ein.
Die Absicht, die Südsee als Mülltonne zu benutzen, so wie dies die japanische Atomlobby trotz des regelmäßigen Dementis mit ihrem Unrat plant, ist beileibe nicht neu. Die Industriemacht Japan, die 1990 fast eine Million Tonnen Atommüll verwaltet und diese bequem nebenan im Pazifischen Ozean verklappen möchte, mußte solche Pläne schon mehrere Male verschieben. Deutlich bekam sie den Unmut auch von kleinsten pazifischen Inselstaaten zu spüren, die ihren Fischreichtum und ihre Umwelt bedroht sehen. Das Südpazifik -Forum etwa, die Regionalorganisation von Australien, Neuseeland und inzwischen 13 weiteren Inselnationen, erhob nun Einspruch, als Japan seinen nuklearen Abschaum in die Südsee kippen wollte. Tiefseegrab?
Die japanische Atombehörde, die Science&Technology Agency, kündigte 1979 erstmals an, leicht radioaktive Reaktorabfälle in betongefüllten, bleiummantelten 55-Gallonen-Behältern, in auszementierten metallenen Kanistern und Tonnen, testweise erst einmal 10.000 Faß, ab Herbst 1981 in einem Gebiet von 100 Quadratkilometern, 30 Grad Nord und 147 Grad Ost, im westlichen pazifischen Seebett, etwa 900 Kilometer von Maug Island in den Nördlichen Marianen entfernt, 550 Meilen südöstlich Tokyos, in 4.600 bis 6.000 Metern in den Weiten und Tiefen des Marianen-Grabens auf dem Meeresboden zu versenken. Hunderttausende Faß radioaktiven Mülls sollten folgen.
Die Kunde von diesem Atommüll-Massengrab im Marianen-Graben löste eine Welle des Widerspruchs aus. Das Experiment wurde vorerst abgeblasen.
Japan und die USA reagierten auf die lebhaften Proteste, indem sie ihre unpopulären Pläne offiziell suspendierten, sich jedoch zukünftige Optionen ausdrücklich offenhielten. Expertenteams wurden eingesetzt, PR-Firmen beauftragt: Deren Pläne und Studien drücken den radioaktiven und toxischen Gehalt des Mülls und damit die Gefahren und Risiken propagandistisch nach unten. Eine wilde Suche nach unverbotenen Möglichkeiten begann.
Japan und die USA ließen untersuchen, ob sich auf pazifischen Inseln gemeinsam mit Taiwan und Südkorea Lagerstätten für verbrauchte Brennelemente errichten ließen. Diese Suche nach den begehrten Giftmülldepots auf Inseln im Pazifischen Ozean führte an einige drollige Plätze. Die Vereinigten Staaten wollten zum Beispiel das heute unbewohnte, von Kokospalmen bewachsene Palmyra Atoll, etwa 1.000 Meilen südlich Hawaiis, als Halde für verbrauchte Brennstoffe nutzen.
Palmyra aber ist Privatbesitz, und es gelang den USA nicht, es den traditionsbewußten Brüdern Leslie, Dudley und Ainslie Fullard-Leo abzuluchsen. Die nahe Honolulu residierenden begüterten Atollbarone weigerten sich, das Kleinod als Schrottplatz zu verkaufen. Auch die Inseln Midway und Wake, selbst das Kingman-Riff, kamen als mögliche Standorte ins Gespräch, doch bislang wurde aus alledem nichts. Die Resultate dieser Studien blieben bis heute streng unter Verschluß.
Bedenkenlos hatten die Vereinigten Staaten schon bis 1970 ihren schwachaktiven Atommüll, insgesamt 47.500 Faß, nahe San Francisco im flachen kalifornischen Küstenschelf versenkt. Zum Teil bereits gebrauchte Öltonnen und darin in Zement und Bitumen eingegossene Giftmoleküle kamen am Grund oft schon beschädigt, zerbeult, ramponiert, demoliert an. Im Laufe von wenigen Jahren platzten, implodierten, zerrissen und zerbarsten etliche Tonnen. Andere verrotten und rosten dort noch heute als Zeitbomben vor sich hin.
Wie Korallen bilden sie künstliche Riffs, ideale Wohnstätten für Algen, Plankton, Schwämme und Meerestierchen. Strahlende Substanzen aus diesen Mülltonnen verseuchen Seegurken und Krabben, Larven und Grundfische, die sich im Sediment des Seebodens nähren. Tintenfische, Dorsche, Barsche fressen sie auf. Schwertfische und Thun ernähren sich davon und verbreiten die restradioaktiven Substanzen über weite Strecken. Wo man sie fischt, gelangt Radioaktivität zurück an Land, direkt in Magen und Darm des Konsumenten. Motto: Gesunde Spurenelemente und Fisch als Genuß.
Selbst die Universität Hawaii versenkte damals ihren Strahlenabfall in Containern im Norden und 30 Meilen östlich des Touristenzentrums von Honolulu. Trotzdem ist dies keine Angelegenheit von gestern. Die US-Navy plant zum Beispiel bis 2020 einhundert ausrangierte Atom-U-Boote im Pazifischen Ozean zu versenken, mitsamt deren Atomreaktoren und Restradioaktivität. James Grant, Chef der Umweltschutzbehörde auf Guam, bestätigte das erst kürzlich. Hammer deRoburt, seines Zeichens Präsident des kleinen Südseestaates Nauru, dazu: „Niemand wünscht sich tödliche Substanzen in seinem Hinterhof.“ Doch Nauru, reich durch seine Phosphatvorkommen, ist vielleicht die einzige Inselnation, die eine solche Absicht auch wirtschaftlich durchsetzen kann. Versenken verboten
Die pazifischen Inselstaaten Nauru und Kiribati plädierten schon 1983 auf der Ozeanmüllkonferenz in London für ein totales Verbot, um damit die offene See zu schützen, nicht als Kloake für Atomschrott zu enden. Japan, die USA und Großbritannien unterminierten solche Initiativen jedoch von Anfang an. Die Mitgliedsstaaten der „London Dumping Convention“ schlossen deshalb einen Kompromiß. Ihre Konvention legte bestimmte Spielregeln fest für das Verklappen von Müll, Klärschlamm, Harzen, verseuchten Gegenständen, etwa auch aus Akws. Dann wurde für zunächst zwei Jahre untersagt, gefährliche Stoffe und hochaktiven Abfall, also auch Atommüll, gebrauchte Brennstäbe und Plutoniumreste in den Meeren zu versenken.
Das weltweite Moratorium wurde 1985 erneuert, diesmal auf unbestimmte Zeit. 1988 schließlich einigte sich die Konferenz darauf, das Verbrennen von Industrierückständen und ätzenden Molekülen auf See Ende 1994 auslaufen zu lassen. Doch die Pointe des Abkommens ist: Es ist völlig unverbindlich. Großbritannien etwa ignoriert die Auflagen ungeniert und ganz offiziell. Auch Japan und die USA rüsten sich, das Abkommen zu umgehen.
Die Realität ist ohnehin noch weit von einem völligen Giftmüllbann entfernt. Bestimmt soweit wie geheime Depots auf den Ozeanen von Kontrollinstanzen. Da ist zum Beispiel Johnston Island, ein kleines US-Territorium, etwa 715 Meilen West-Südwest von Honolulu, Hawaii. Auf Johnston, wo durch die Vereinigten Staaten einst Raketen und Atomwaffen getestet wurden, gibt es ein Gelände für oberirdische Tests, das noch heute in Bereitschaft ist. Doch das Eiland ist auch ein Chemiewaffendepot, Sperrzone. Äußerst selten gelingt ein Blick in diese offiziell nicht existente Realität. Sperrgebiet Johnston
Johnston hat die Form eines Flugzeugträgers. Früh morgens friedliche Szenen: Eine Kolonne von Joggern sprintet den sandigen Hauptweg entlang. Etwa 320 Mann, meist Zivilisten, sind augenblicklich auf Johnston stationiert. Alle kommen aus den USA, zumeist entsandt durch private Unternehmen wie die Firma Holmes. Seit 1963 ist das schon so. Bis zum Mittag ist es ziemlich heiß, von Jahreszeiten merkt man in diesem Seewinkel nichts. Doch eine komische Sitte fällt auf. Viele laufen mit roten Mützen auf dem Kopf herum, manchmal auch mit Gasmasken. Am Inselrand ist ein von Zäunen und Stacheldraht umsäumtes Gebiet, da kommt niemand außer den Rotmützen hinein.
Es ist das Depot für chemische Munition, die teils aus Okinawa, teils von anderswo nach Johnston Island gelangte. Tausende Faß Agent Orange, die vom Vietnamkrieg übrigblieben, lagerten in dem Depot. Jahrelang hat die US -Navy etwas abseits von Johnston das Zeug verbrannt. Giftige Dämpfe aus schwimmenden Verbrennungsöfen für Altchemikalien und Waffengift zogen durch einen kurzen Schornstein ungefiltert und verpesteten die Luft im ansonsten so freundlichen Südseeparadies. Im noch jetzt bis zum Rande gefüllten Depot seipert heute eine gefährliche Brühe aus Rissen, Löchern und Lecks. Sirenen sind auf den Hallendächern neben den Silos zu sehen. Tausende durch salzige Seeluft längst korrodierte Tonnen und Tanks stehen da rum. In Gasbehältern Senfgas und das langlebige VX, von dem ein Tropfen auf die Hand schon tödlich ist. Doch wohin bloß damit?
1939 baute die US-Navy ihre erste Landepiste auf diesem Eiland, das aus den beiden Inselchen Johnston und Sand und sonst noch aus vielen Riffs bestand. Die Navy änderte das. Korallengestein wurde losgebaggert, Geröll und Kies wurden herangeschafft und aufgeschüttet, eine etwas größere Fläche entstand. Jagdflugzeuge nutzten im Zweiten Weltkrieg das Gelände als Piste. Danach baute es die Navy nochmals aus. Häßliche Wohnblocks für 3.000 Mann, Hallen, ein Abschußzentrum und die Radiostation, die die Küstenwacht auf Sand Island betreibt, entstanden. Die Streitkräfte lassen jetzt auf Johnston eine stattliche millionenteure Verbrennungsanlage bauen, um tonnenweise das giftige alte Nervengas und andere chemische Kampfstoffe zu vernichten.
Doch diese Öfen könnten ihre Abgase ozeanweit Tausende von Meilen versprühen und nichtsahnende Siedlungen, die in Richtung des Passatwindes liegen, in Mitleidenschaft ziehen. Das Projekt bedeutet auch flüssige Rückstände wie Kadmium und Dioxin. Deren Verklappen auf See verbietet seit 1986 die „Südpazifische Umweltkonvention“, die auch von den USA angenommen ist. Und das abermalige Verbrennen auf See ist ab Ende 1994 verboten. Wie gesagt, die Navy beeilt sich, obwohl sie sich selbstredend auch an Verbote nicht hält.
Aus Neuseeland ist zu hören: Ocean Combustion Services, Tochterfirma des großen amerikanischen Müllkonzerns Waste Management Incorporation, bot 1987 neuseeländischen Betrieben an, ihnen ihre giftigen Chemikalien abzunehmen, um sie in Ozeanien zu verbrennen. Die Firma, deren Name sich mit den beiden Ofenschiffen „Vulcanus“ I und II verknüpft, blitzte dort allerdings bislang ab.
Australien meldet 1988: Die staatliche australische Forschungsorganisation für Wissenschaft und Industrie meint, der fünfte Kontinent könnte die von den USA und der Sowjetunion abgeschafften Atomwaffensprengköpfe aufnehmen und endlagern. Die Behörde hat ausgerechnet, daß das Land damit jährlich eine Milliarde Mark verdienen könnte.
März 1989: Die Giftmüllkonferenz in der Chemiemetropole Basel befaßte sich mit Kontrollen des grenzüberschreitenden Transports von Sonderabfällen, doch ein generelles Verbot des Exports von gefährlichem Müll kam auch diesmal nicht zustande. Man einigte sich lediglich auf eine weltweit gültige Alibi-Konvention, die äußerst lückenhaft ist. Vergraben erlaubt
Japan und die USA sehen im Pazifischen Ozean bis heute einen Müllabladeplatz für hochradioaktives Material und hochaktiven Müll. Als geeignetste Stelle betrachten amerikanische Tiefseeingenieure die gleiche Region nördlich der Marianen, die auch Japan bereits als Versenkungsgebiet eingeplant hat. Bis vor kurzem galt diese Zone noch als eine unbeaufsichtigte, unkontrollierbare Tiefenbiosphäre, so unbekannt wie die Oberfläche von Mars und Mond, doch Forschungsschiffe der USA haben dieses Gebiet in den letzten Jahren ausgiebig durchkreuzt und mit Liebe zum Detail daraufhin untersucht, ob dort nukleare Brennstoffe und ausgebrannte Brennelemente aus Atomkraftwerken im Boden eingebracht werden können.
Die Prognosen scheinen äußerst positiv. Man denkt offensichtlich auch an die umstrittene und teurere Torpedomethode: Die Abfallstoffe sollen, in geschoßförmigen Behältern verstaut, in den Meeresboden einkatapultiert werden. Wie gefüllte Projektile rammen sie sich dort in 30 bis 100 Metern Tiefe fest. Eine andere Variante wäre, Tonnen in gebohrten Tiefseelöchern einzusenken, mit fünf Kilometern Wassersäule darauf. Und das alles ausgerechnet im Marianen -Graben, einem Gebiet mit unterseeischen Erdbeben und Vulkanen. Weltweite Arbeitsteilung
Da gab es schon vor zwei Jahrzehnten die Projekt-Idee eines aus Pisa stammenden Physikers. Cesare Marchetti wollte das gesamte Risiko der Atomkraftzivilisation in den Stillen Ozean verfrachten. Nach seinen Entwürfen sollten Atomkraftanlagen in nuklearen Südseeparks konzentriert werden. In solchen Atomfestungen könnte man den ganzen Brennstoffkreislauf ablaufen lassen. Von den Schnellen Brütern bis zu Plutoniumfabriken, von Wiederaufarbeitungsanlagen bis zu nuklearen Mülldeponien sollte alles was dazu gehört aus dichtbesiedelten Gebieten in die Weiten der Weltmeere verschoben werden. Und auch die Stelle für ein solches globales Energiezentrum stand schon fest. Um das Jahr 2.000 sollte es auf der Pazifikinsel Canton, etwas südlich des Äquators, entstehen.
Marchetti wollte kilometertief in den Basalt- und Granituntergrund der Korallenatolle Schächte bohren, durch die Kapseln mit in Glaskugeln eingeschmolzenen radioaktiven Restbeständen hinuntergelassen werden sollten. Von etwa 2.500 Metern ab, so die Vorhersage, würden sich diese Müllkapseln bis auf fast tausend Grad Celsius erhitzen und ihren Weg nach unten bahnen. (Und dann, siehe „China -Syndrom“, an der entgegengesetzten Ecke der Welt wieder herauskommen, wa? Sehr nette Idee! Den Müll denen zurück, die ihn produzieren! d. Äzzerin) Irgendwo würde sich das Felsgestein dann härten, die Passage wäre zu Ende, und die Abfälle wären für alle Ewigkeit eingesiegelt.
Von Canton Island aus würde man schon ein paar Jahrzehnte später, so Marchetti, nicht Atomstrom verschicken, sondern großvolumig flüssigkalten Wasserstoff. Im kleinen ist das schon erprobt, vielleicht rechnet es sich demnächst auch im Großen. Den durch die bis dahin gebrauchsreife Hydrolyse des Meerwassers gewonnenen Stoff könnte man nach Marchetti in Supertankern an die Industriestaatenküsten schaffen, von wo ihn spezielle Pumpstationen und Rohrleitungen weitertransportieren. Das Ganze wäre dann mit einem Ölfeld zu vergleichen, das niemals versiegt. Folgen des Ölschocks
Ausgelöst durch den Ölschock 1973, dachte man auch in Japan und den USA nach, wie sich gesicherte Erdölreserven aufbauen lassen. Nissho Iwai und Bechtel, die große kalifornische Consultingfirma, machten einen Vorstoß: Sie wollten einen riesigen Ölhafen mitsamt Industriekomplex errichten, auf Babeldaop im Südseeterrain Belau. Die Pläne des Konsortiums gehen auf einen Entwurf des New Yorker Industrieberaters Robert Panero zurück, eines Mitglieds des Hudson Instituts, der Denkfabrik des amerikanischen Zukunftsforschers Hermann Kahn.
Vorgesehen war, gigantische Öldepots und einen Tiefwasserhafen zu bauen, drei Riffs nördlich von Babeldaop teils auszubaggern, teils aufzuschütten, um ein meilengroßes Hafenbecken zu bilden. Auf dem umliegenden Land sollten die riesigen Tanks für Japans Ölreserven, eine Raffinerie, ein Stahlwerk, petrochemische Schwerindustrien und eventuell ein Akw gebaut werden. Ankerplätze für eine ganze Flotte von Supertankern sollen entstehen, die dort ihre kostbare Fracht aus den Ölstaaten des Golfs deponiert. Kleinere Schiffe holen das Öl dann je nach Bedarf nach Japan heim.
Ganz Understatement nennt Panero die Mammutinvestition eine Fernosttankstelle. Doch das Vorhaben löst auf Belau und andernorts einen Proteststurm aus. Japan gibt den Bau des Superports mit den Riesentankern schließlich auf. Auf Belau freilich wird befürchtet, die fernöstliche Industriemacht könnte die Akte eines Tages erneut aus ihren Schubladen ziehen. Sorgen mit Atom und Müll
In Taiwan und Südkorea sind 13 Atomreaktoren bereits in Betrieb, und neun sind im Bau. Südkorea allein plant als Mammutvorhaben 32 weitere Reaktoren. Auch China hat mit dem Bau von zwei Reaktoren unweit von Hongkong begonnen, großkarätig auf Atomstrom zu setzen. Große atomare Müllhalden entstehen, ohne daß geklärt ist, wo diese Abfälle langfristig bleiben. Das Riesenreich China könnte auch zum Plastikland avancieren. Plastik ist im Reich der Mitte längst auf dem Vormarsch. Schon heute mangelt es dort nicht an Hausmüll, Abfall und Bauschutt.
Mitsubishi, Hitachi und Toshiba, die drei Konzerne, die in Japan bislang 35 Reaktoren bauten, setzen darauf, in Zukunft verstärkt japanische Akws exportieren zu können. Beim Bau ihres ersten Akw 1966 waren diese Firmen noch abhängig von britischem und amerikanischem Know-how. 1974 hatte sich dies soweit geändert, daß das erste rein japanische Werk ans Netz gehen konnte. Heute stehen auf ihren Zeichenbrettern noch 23 Atomschlote bis zum Jahrtausendende für den japanischen Markt. Damit ist Japan das zweitgrößte westliche Atomland nach den USA. Die Bautätigkeit im Inland läßt jedoch nach, die Möglichkeiten scheinen ausgeschöpft. Jetzt gibt es Überkapazitäten, und alle Hoffnungen richten sich auf den Export. Asien und dem Pazifischen Raum steht eine Offensive der japanischen Atomgiganten ins Haus.
Eine zweite Offensive kommt hinzu: Japan versucht, auch sein Mülldilemma durch Export zu lösen. Denn Strahlenschrott aus Krankenhäusern, Firmen und Laboratorien türmt sich in Japan zu einem kaum noch zu überschauenden Abraumgebirge. Doch dem Atomkoloß fehlt ein Klo, um seine plutoniumhaltigen Exkremente auch entsorgen zu können. Leichtaktive Abfälle stauen sich seit 1966, als das erste Atomkraftwerk in Japan seinen Betrieb aufnahm. Endlagerstätten gibt es im Land der Erdbeben und Erdrutsche nicht. Momentan lagert Japan tonnenweise seinen radioaktiven Kot deshalb meist notdürftig in schlichten Schuppen in strikt abgeschirmten Zwischendepots unweit von den Akws. Auch ein etwas größeres Depot, das inzwischen existiert, verkraftet den unaufhaltsamen Atomabfall nicht.
Dubiose Müllbeseitigungsfirmen verschafften sich so Zugang zu den Schaltstellen der Macht auf entlegenen Inseln. Amerikanische Unternehmen, die nach Sondermülldeponien Ausschau hielten, lockten mit Arbeitsplätzen und Geld. Japan mit Wirtschaftshilfe und kostenlosen Tokio-Trips für Regierungschefs und ihre Beamten. Goodwill-Touren von windigen Müllmafia-PR-Leuten durch die Südsee reißen nicht ab. Die japanische Hilfe für die Region ist seit 1979 nach oben geschnellt. Brücken auf Kiribati, Werftanlagen auf den Marshall-Inseln, Hotelkäufe auf Fiji, Land für Land läßt sich nachvollziehen, wie großzügig Japan schenkt. Mit steigenden Entsorgungskosten hat sich ein Graumarkt von Speditionen und Händlern gebildet, die für eine Handvoll Dollars hochtoxische Industrieabfälle in die Südsee verschieben. Denn dort gibt es bislang kaum Gesetze, die dies regulieren und einschränken. Ganz zu schweigen von angemessenen und sachgerechten Möglichkeiten, solchen Müll auch verdauen zu können. Giftmüllpläne abgeschmettert?
Die Salomon-Inseln und Papua Neuguinea haben deshalb gerade ausländische Ansinnen, dort Chemiemüll-Entsorgungsanlagen zu bauen, abgelehnt. West-Samoa, 1986 im Gespräch für Müllkrematorien, wies ebenfalls solche Pläne von Firmen aus Kalifornien zurück, worauf sich diese dem Nachbarstaat Amerikanisch-Samoa zuwandten, sich dort jedoch eine Absage zuzogen.
Auch Tonga lehnte Verbrennungsöfen für amerikanischen Giftmüll ab, obwohl das Projekt dort durch Prinzessin Pilolevu, die daran eigene finanzielle Interessen hat, unterstützt und anfangs auch von König Tupou IV. und seinem Kabinett gutgeheißen wurde. Doch die Beamten des Königreichs machten da nicht mit. Prinzessin Pilolevu schleppte noch aus den USA den potentiellen Müllieferanten Omega Recovery Services an, von dem in schönen Worten die dioxin- und asbestlose Harmlosigkeit des Vorhabens ausgemalt wurde, und annoncierte ganzseitig im Regierungsblatt 'Tonga Chronicle‘. Es half nicht. Des Königs Beamte blieben hart. Nach Intervention des Gesundheitsministers wurde das Ganze 1988 gestoppt. Inzwischen erließ Tupou IV. ein Importverbot für gefährliche und giftige Abfälle.
Ozeanische Postillen signalisierten Entwarnung. Doch weit gefehlt. Etliche Inselstaaten entfernt sieht alles schon ganz anders aus. Dort scheint es, als würde den Hasadeuren des Mülls jetzt glücken, was ihnen anderswo mißlang. Amata Kabua, Präsident der Marshall-Inseln, offerierte Japan schon 1981 das Südseeatoll Bikini, von den ohnehin USA durch 23 Atombombentests gründlich verseucht, als Müllkippe für seinen nuklearen Abfall. Kabua lockt das große Geld für den giftigen Müll. Ein scheinbar lukratives Geschäft, das die Aufnahme des japanischen Abfalls großzügig mit Wirtschaftshilfe entlohnt, ist ganz nach des Präsidenten Geschmack. Für alle Zeiten verseucht
1987 trug Amata Kabua die Marshall-Inseln den USA als Atommüllhalde an. Die USA sollten seine Inseln doch in Betracht ziehen als Depot für industrielle Abfälle und hochradioaktive Stoffe aus amerikanischen Atomkraftwerken. Zu Weihnachten '87 stimmten Senat und Kongreß, als sie ein Areal in den Yucca Mountains, noch auf Indianerland etwa 85 Meilen nordwestlich von Las Vegas, genau zwischen dem Atomtestgebiet Nevada und dem Luftwaffen-Übungsgelände Nellis, als Standort des ersten Endlagers für hochradioaktiven Abfall in den Vereinigten Staaten auserkoren, in den Haushaltsdebatten in Washington zugleich auch zu, die Marshall-Inseln als mögliches alternatives Depot ins Auge zu fassen. Sozusagen falls es in Nevada nicht klappt oder auch zusätzlich.
Genannt wurden Bikini und Enewetok, die Orte, an denen zwischen 1948 und 1958 insgesamt 66 Atomtests der USA stattfanden, das unbewohnte Atoll Erikub, etwa 150 Meilen östlich vom amerikanischen Raketen- und SDI-Testgelände Kwajalein, sowie die verseuchten Inseln Rongerik und Wotje. Western Paci
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