piwik no script img

Aus dem Inneren des Wortes „bald“

mit Dr. W. Mentrup, Sprachwissenschaftler am Institut für Deutsche Sprache, Mannheim  ■ I N T E R V I E W

taz: Im sogenannten Raketenstreit hat das Wort „bald“ eine besondere Bedeutung. Von Bonner Regierungsseite wurden im April „baldige Verhandlungen“ mit den USA über einen Abbau der Kurzstreckenraketen gefordert. Verteidigungsminister Stoltenberg meinte am Freitag in Washington: „Bald heißt nicht jetzt und sofort, aber auch nicht Vertagung um viele Jahre.“ Was sagt der Sprachwissenschaftler dazu?

Wolfgang Mentrup: Zunächst muß man generell sagen, daß „bald“ wie weitere Zeitadverbien Bezug nimmt auf das zeitliche Eintreten eines Ereignisses. Es steht dabei in verschiedenen Beziehungen zu anderen Wörtern dieser Art. Innerhalb der Zeitwörter, die auf Zukünftiges ausgerichtet sind, gibt es Differenzierungen insofern, als die Zeitstrecke oder der Zeitraum, in dem das Ereignis eintritt, unterschiedlich gekennzeichnet werden kann. „Bald“ hat innerhalb der Kategorie „Zukünftiges“ die engste Zeitgrenze. Natürlich könnte man den Zeitraum noch mit „möglichst bald“ oder „sehr bald“ verkürzen. Stoltenberg hat recht, daß „bald“ nicht „sofort“ meint und auch nicht „gleich“. „Bald“ heißt in kurzer Zeit, in Kürze, und läßt eine Frist zu, die wenige Stunden, Tage und Wochen umfassen kann, jedenfalls relativ kurz ist. Die Bundesregierung hat sich mit „bald“ auf eine recht kurze Zeitdefinition festgelegt. Hätte man „später“ oder „künftig“ gesagt, hätte man zeitlich gesehen einen viel größeren Handlungsspielraum gehabt. Schauen wir uns das Beispiel „künftig“ an: Der Zeitpunkt des Eintretens des Geschehens ist irgendwann, recht unbestimmt in der Zeit, relativ weit weg und vage, ja selbst die Wahrscheinlichkeit bleibt infrage gestellt.

Nun wurde aber auf der Suche nach einer Kompromißformel mit den Amerikanern der Beginn „baldiger“ Verhandlungen über Kurzstreckenraketen in einen anderen Kontext gestellt, nämlich an „bedeutsame Fortschritte“ bei den Wiener Verhandlungen über konventionelle Waffen gekoppelt. Ist das lauter?

Nun ja, lauter... Da wurde eine Vorbedingung eingebaut. Es wird eine Frist vor jene „bald„-Zeitspanne gesetzt. Erst dann, wenn diese Bedingung erfüllt ist, läuft die Zeituhr für die mit „bald“ gesetzte Spanne. Da unklar ist, wann diese Bedingung erfüllt ist, ist das „bald“ zeitlich nachgeordnet. Damit ist die unbedingte Aussage mit „bald“ stark relativiert.

Gibt es dafür ein Wort?

„Später“ trifft den von Ihnen beschriebenen Sachverhalt genauer. Es schiebt meist etwas auf unbestimmte Zeit hinaus, wobei oft etwas anderes vorher noch getan werden muß. Ich hätte der Bundesregierung ein „später“ empfohlen.

Dazu ist es jetzt wohl zu spät.

Interview: Andrea Seibel

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen