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Blinde Projektionisten

■ Die drei italienischen Wettbewerbsfilme bei den Festspielen in Cannes

In der Schlußapotheose von Liliana Cavanis Francesco empfängt Mickey Rourke (als der Heilige Franz von Assissi) als äußerste Zeichen göttlicher Gnade Jesu-Christi-Stigmata. Nicht, daß wir sie ihm nicht gönnen.

Auch die beiden anderen italienischen Wettbewerbsfilme, Ettore Scolas Splendor und Nuovo Cinema Paradiso von Giuseppe Tornatore, spielen in einer weit entlegenen Vergangenheit: Sie handeln vom italienischen Kino.

Splendor heißt der Kinopalast in einer kleinen italienischen Stadt, dessen Besitzer von Marcello Mastroianni dargestellt wird. Arbeiter räumen es aus; es soll - Achtung: Symbol! - in ein Fernsehgeschäft umgebaut werden. Mastroianni sitzt auf dem Süßigkeitentresen, macht eine traurige Miene und erinnert sich in schwarzweißen und farbigen Rückblenden an die Glanzzeit des Kinos - Stummfilm, Tonfilm, Farbfilm - und seinen Niedergang. Am Ende wird es durch ein Wunder gerettet.

Das Nuovo Cinema Paradiso steht in einer sizilianischen Kleinstadt. Die Mama ruft Salvatore in Rom an, Alfredo ist gestorben. Hier erinnert sich also Salvatore (Jacques Perrin) an Alfredo (Philippe Noiret), den Projektionisten, der so etwas wie ein Vater für ihn war. Bei einem Feuer im Vorführraum - damals war das Material noch brennbar - war Alfredo erblindet und Salvatore hatte seine Stelle übernommen, bevor er Sizilien und dem Nuovo Cinema Achtung: Symbol! - Paradiso für immer den Rücken kehrte und in Rom ein erfolgreicher Filmregisseur wurde.

Beide Filme sind gespickt mit denselben nostalgischen Witzen und sentimentalen, mit soßiger Musik versetzten Genreszenen: erste sexuelle Annäherungen im Schutz der Dunkelheit, offene Münder, Filmrisse, tränennasse Taschentücher, hysterisches Männergeschrei beim Anblick des nackten Hintern von Brigitte Bardot, Regen in der Freiluftvorstellung, Pfaffen, die zur Zensur schreiten, und andere Originale, und viele viele Filmzitate aus besseren Zeiten.

So muß man solche Filme wohl sehen. Sie zitieren das Kino mehr herbei, als daß sie es noch sind, sie richten die Objektive gegen sich selbst und höhlen sich damit von innen aus, sie spielen den Clown für ihren neuen Geldgeber: das Fernsehen - denn selbstverständlich steht auf beiden Produzentenlisten das italienische Fernsehen an erster Stelle -, über das sie zugleich unermüdlich lamentieren. Splendor und Nuovo Cinema Paradiso sind nicht einfach ihres Objekts unwürdige Liebeserklärungen, es ist schlimmer: sie bescheinigen ihm den Tod und halten Leichenschmaus Sonntagabend im RAI.Thc

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