: „Tonnenweise TNT für Terroristen“
In der früheren Eifeler Munitionsfabrik Hallschlag liegt noch immer unbewacht Sprengstoff herum / Hier wurde früher Giftgas abgefüllt / Von versprochener Sanierung keine Spur: Chemische und politische Altlast ■ Von Fabian Fauch
Hallschlag (taz) - Der Ober Kyller Verbandsbürgermeister Otto Friedrich (CDU) traute seinen Ohren nicht: Da berieten doch die fünf Ratsherren im Eifeldorf Hallschlag, ob sie nicht die stillgelegte Munitionsfabrik „Op Kehr“ als Gewerbegebiet ausschreiben sollten. „Unlogischer“, warf Friedrich ein, könne der Gemeinderat wohl nicht handeln. Welchem Betrieb sei es denn zuzumuten, sich auf einem Gebiet anzusiedeln, wo „früher Giftgas produziert wurde“. Friedrich setzte sich durch - der Rat schrieb's fest: Auf ein Gewerbegebiet „Op Kehr“ wolle man auch künftig verzichten.
Noch heute liegen - für jeden erreichbar und erst seit kurzem umzäunt - Munitionsreste aus dem Ersten Weltkrieg auf und unter dem verkommenen Gelände der Munitionsfabrik in Hallschlag. Dort schufteten vormals bis zu 2.000 Menschen. Sie aßen Speck gegen den gelben Gifttod - oft vergeblich. Auch kriegsgefangene „Fremdarbeiter“ waren damals unter den Opfern. Das war vor und während des Ersten Weltkriegs.
Die Ruinen der Fabrik „Op Kehr“ liegen brisanterweise auf der Wasserscheide zwischen zwei Flüssen, nahe bei Nordrhein -Westfalen und nur wenige hundert Meter von der belgischen Grenze entfernt. Welche Arten von Munition birgt die Fabrik „Op Kehr“? Bei ersten - und laut Anwohnern einzigen offiziellen Proben wurde Sprengstoff in Reinform gefunden. Ein besorgter Bürger zur taz: „Da oben liegt tonnenweise TNT für Terroristen!“ Außerdem fanden die Behörden entschärfte großkalibrige Granaten, nach Meinung des Innenministeriums für Giftgas geeignet. „Op Kehr“ war berüchtigt für sogenannte Gelbkreuzgranaten, die das Giftgas Yperit enthielten.
Mittlerweile durchkämmten auch zwei Privatleute die Munitionsfabrik auf eigene Faust. O-Ton bei den Grabungen: „Bowh, watt riecht datt!“ Es roch nach bitteren Mandeln Blausäure. Der Kieler Toxikologe Otmar Wassermann hatte einem der heimlichen Besucher geraten, nur mit Handschuhen zu buddeln - wegen einer weißen, klebrigen Masse, die auch Arsen enthalten könne. Inzwischen ist ein erstes Hallschlag -Gutachten zwar fertig, dem Sprecher des Mainzer Innenministeriums, Jürgen Dietzen, allerdings noch nicht bekannt.
Obwohl Innenminister Geil schon im Mai letzten Jahres die „Sanierung für immer und ewig“ versprochen hatte, ist noch kein Spatenstich getan. Einen „normalen“ Sanierungsauftrag mußte Geil um die Jahreswende zurückziehen: Der Verdacht auf Giftgas wuchs. Geil ging lieber „auf Nummer sicher“.
Die Kölner Chemieanlagenfirma Josef Meissner, der „Op Kehr“ gehört, wundert sich jetzt, warum es in Hallschlag wieder so ruhig geworden ist. Meissner-Sprecher Willi Kraus zur taz: „Die Behörden lassen uns als Eigentümer ganz schön schwimmen. Ich habe bis heute noch keinen Bericht erhalten und von der Sache erst aus dem Fernsehen erfahren.“ Die Räumung sei Angelegenheit des Landes. Die Firma Meissner werde keinen Pfennig dafür zahlen, da sie das Gelände erst in den 70er Jahren erworben und nie genutzt habe. Laut Kraus hätte das Land schon viel früher „Op Kehr“ sanieren können und müssen: „In den 60er Jahren wurden dort die Höckerlinie und die Bunker der Wehrmacht beseitigt.“ Die Munitionsfabrik indes blieb links liegen.
Ministeriumssprecher Dietzen sieht „noch nicht abschätzbare Kosten“ auf das Land zukommen, das Bonn um Unterstützung bittet. Experten schätzen die Kosten der mehrjährigen Sanierung auf zehn Millionen Mark. Gäbe es den Heilpraktiker Gunther Heerwagen aus Birgel nicht - die Mainzer Landesregierung hätte die Altlast in Hallschlag verschwiegen. Erst Heerwagen prangerte die Munitionsfabrik an. Denn das Gelände fehlte in der Kartierung der Altlasten.
Jürgen Dietzen gesteht gegenüber der taz Versäumnisse vorangegangener CDU-Landesregierungen ein. Hallschlag wurde so von der chemischen zur politischen Altlast. Das Land trifft's diesmal unvorbereitet. Der Kampfmittelräumdienst kann zwar mit Sprengstoff hantieren, nicht aber chemische Kampfstoffe aus dem Ersten Weltkrieg beseitigen. Seine Räumer, so Geil, müßten erst noch in „den fachgerechten Umgang mit Kampfmitteln und chemischen Kampfstoffen“ eingewiesen werden. Strittig ist die Vergabe des Räumungsauftrags: Während der Grüne Harald Dörr und die Sozialdemokratin Evi Linnerth auf eine „öffentliche Ausschreibung“ drängen, sagte Dietzen der taz bereits, es komme nur die „freihändige Vergabe an eine der wenigen Spezialfirmen“ in Frage. Sollte die Munition unsachgemäß geräumt werden, so befürchten die Grünen, könne dadurch das Grundwasser verseucht werden. Sie weisen darauf hin, daß in Hessen und Niedersachsen vor solchen Räumungen ein Ingenieurgutachten erstellt worden ist. Auch die Belgier horchen beim Namen „Op Kehr“ auf: Die belgische Zeitung 'Grenz-Echo‘ fragt bereits nach den Gefahren für den Grenzfluß Our.
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