: „Der Repression ist nur organisiert zu widerstehen“
StudentInnen demonstrieren für verhaftete Arbeiter in der VR China / Wachsende staatliche Repression / An den Hochschulen wird der Massenprotest gegen Verhaftungen und Prozesse organisiert / Aktionen vor Gericht angekündigt ■ Aus Peking Th.Reichenbach
An der Peking-Universität schlug am Dienstag abend die Nachricht wie eine Bombe ein: „Drei Mitglieder des provisorischen Arbeiterkomitees Peking sind verhaftet worden.“ Der Vorsitzende des Pekinger Arbeiterkomitees, Shen Yinhan, und die Komiteesekretäre Qian Yuming und Xiang Dongping wurden ohne Angabe von Gründen festgenommen. Das autonome Arbeiterkomitee unterstützt mit seinen Betriebsgruppen durch Spenden, Teilnahme an Demonstrationen, öffentliche Aufrufe und Streikdrohungen die Studentenbewegung und hat in der Arbeiterschaft großen Einfluß. Sofort radelten mehrere hundert StudentInnenen zum „Amt für öffentliche Sicherheit“ im Stadtzentrum und begannen ein Sit-in vor dem Haupttor. In Sprechchören forderten sie die Freilassung der Arbeiterführer.
Auf dem Tiananmen-Platz, auf dem sich auch gestern abend mehrere 10.000 Menschen versammelt hatten, improvisierten Mitarbeiter des autonomen Arbeiterkomitees um 22 Uhr eine Pressekonferenz. Nach Verlesung der Satzung und einer Grußbotschaft aus Großbritannien richteten die Arbeitervertreter drei Forderungen an die Polizeibehörde: „Wir fordern erstens eine unverzügliche Bestätigung oder Dementierung der Verhaftung unserer Komiteemitglieder, zweitens umgehend Auskunft, auf welcher Rechtsgrundlage die Festnahme vorgenommen worden ist und drittens die sofortige Bekanntgabe der Verhaftungsgründe.“ Bis zur Stunde haben die Behörden die Festnahme weder bestätigt oder dementiert noch sind die Angehörigen benachrichtigt worden, wie dies gesetzlich vorgeschrieben ist.
Allgemein wird die Einschätzung geteilt, daß dieser Schlag bewußt nicht die StudentInnenorganisationen getroffen hat, sondern zunächst das Solidaritätsumfeld. Zunächst soll die Stärke des Widerstandes gegen solche Repressionsmaßnahmen in der Bevölkerung getestet werden. Dieser jüngste Verhaftungsfall steht außerdem nicht allein: Elf Mitglieder der Motorrad-Kuriergruppe, die in der Nacht des 19.5. die Nachricht von den Truppenbewegungen in den Stadtteilen verbreiteten und zur Straßenblockade aufriefen, sind inhaftiert. Über zehn Personen aus dem Unterstützerkreis der Studentenbewegung sind „verschwunden“, eine offizielle Bestätigung einer Verhaftung ist auch in diesen Fällen bisher ausgeblieben. Morgen beginnt der Prozeß gegen den Kraftfahrer Yi Jingyao im Gerichtsgebäude des Außenbezirks Shijingshan. „Die Anklage lautet“, so berichtet seine Schwester, „auf schwere Störung der öffentlichen Ordnung, Aufwiegelung der Arbeiter zum Streik und ungesetzlichen Aktionen sowie Verbreitung von Gerüchten.“ Er wurde an dem Tag, an dem das Kriegsrecht verhängt wurde, festgenommen, als er Arbeiter zur Blockade des Militärs aufrufen wollte. Die StudentInnen haben bereits Rechtsanwälte und Journalisten zur Prozeßbeobachtung gewonnen, außerdem sollen möglichst viele PekingerInnen vor dem Gerichtssaal demonstrieren.
Die Repressionswelle kommt zwar nicht ganz überraschend, da seit Tagen bekannt ist, daß das Pekinger Parteikomitee eine schwarze Liste mit Hunderten von Namen aufgestellt hat und auch aus anderen Städten Verhaftungen gemeldet worden sind: 25 Unterstützer der Studentendemos in Chongqing, zwei Intellektuelle in Tianjin, in mehreren Städten stehen StudentInnen unter Arrest, die ohne Fahrkarte zur Unterstützung der Proteste in einen Zug nach Peking eingestiegen waren. Aber die Bewegung hatte noch nicht die Zeit, Vorbereitungen dagegen zu treffen. Etliche Organisatoren und Mitglieder der StudentInnenkomitees sind aus Vorsicht untergetaucht, mutige Rechtsanwälte werden für eine Rechtshilfegruppe gesucht. Professoren der Rechtsfakultät befürchten allerdings, daß durch das geltende Kriegsrecht eine faire Prozeßführung nicht zu erwarten ist. Das Rechtssystem in China ist ohnehin ganz offiziell parteiisch.
Gestern hat sich als neue Organisation das „Bündnis aller Bevölkerungsgruppen Pekings“ gegründet, deren Initiatoren ArbeiterInnen, StudentInnen, MedizinerInnen, EinzelhändlerInnen und StraßenverkäuferInnen angehören. Sie will über die Organisation der StudentInnen und ArbeiterInnen hinaus eine Plattform schaffen, die auch die Koordination von Solidaritätsaktionen aus allen Schichten der Stadtbevölkerung möglich macht. „Der Repression ist nur organisiert und koordiniert zu widerstehen“, ruft der Studentenrundfunk auf und gibt damit zugleich das Motto für die Arbeit der nächsten Tage bekannt.
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