: „Dann geht die Rennerei erst richtig los“
Petra Altwilisch arbeitet seit zehn Jahren im Einzelhandel / Viele Verkäuferinnen sind erst zur „Tagesschau“ zu Hause ■ P O R T R A I T
Wenn eine Gewerkschaftskollegin, die in der Fabrik arbeitet und vielleicht zur IG Metall gehört, ihr sagt: „Für mich wäre der Dienstleistungsabend natürlich von Vorteil, dann könnte ich nach der Arbeit mal mit mehr Ruhe einkaufen gehen“, braucht Petra Altwilisch nicht lange über ihre Antwort nachzudenken. „Na, da erzähle ich doch erstmal, was hier bei uns im Einzelhandel so los ist.“ Und davon weiß die 29jährige ein langes Lied zu singen: Zehn Jahre als Einzelhandelskauffrau lasten auf ihren schmalen Schultern, seit zwei Jahren ist die aktive Gewerkschafterin, organisiert in der DGB-Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen, Betriebsrätin in der Ladenkette Coop in Berlin.
„Stell dir vor, du sitzt seit Stunden an der Kasse. Der Kunde hinter dir sagt: 'Frollein, ich brauch‘ noch 'ne Tüte‘, der Kunde, der grade durch die Kasse ist, hat doch noch was im Wagen gefunden, und der, den du grade abkassierst, sagt: 'Frollein warten Sie mal, ich hab‘ noch ein paar Pfennige passend.'“ Da bedarf es dann allerdings starker Nerven, zumal „das Kassieren an sich schon durchgängig hohe Konzentration erfordert“, schildert Petra Altwilisch eine alltägliche Arbeitssituation.
Hinzu kommt, daß die Kunden, so sie denn endlich bis zur Kassiererin vorgedrungen sind, oftmals schon reichlich entnervt sind. „Wegen der immensen Personaleinsparungen in den vergangenen Jahren sind eben viel zu oft zu wenig Kassen geöffnet, und die Kunden müssen Wartezeiten in Kauf nehmen, das macht viele natürlich sauer.“ Jede günstige Gelegenheit, wenn sich nicht gerade 20 Kunden an der Kasse drängeln, müssen die Kassiererinnen nutzen, um ihre anderen Aufgaben zu erfüllen: „In der Regel ist es so, daß die Frauen neben der Kasse noch eine eigene Abteilung zu betreuen haben.“ Das bedeutet, sie müssen stets im Blick haben, ob die Regale auch noch gefüllt sind, und diese gegebenenfalls schnellstens wieder mit Ware bestücken.
Dabei geht es dann nicht nur darum, die Ware auszupacken es fallen auch jede Menge Kilo zu tragen an. „Ganz schlecht dran sind natürlich die Frauen, die eine Konservenabteilung zu bestücken haben. Da heißt es Schleppen.“ Und auch, wenn die Ware angeliefert wird, haben die Verkäuferinnen zuzupacken, selbst wenn es um Paletten mit Getränkekisten geht. „Die müssen dann mühsam gezogen werden, und jeder weiß ja, was eine Cola-Kiste wiegt.“
Zwischen Kasse, Regalbestückung und Warenanlieferung müssen en passant auch noch die Bestellungen erledigt werden. „Spätestens ab nachmittags ist man schon gar nicht mehr in der Lage, noch zu registrieren, was für ein Kunde da eigentlich vor einem steht“, sagt Petra Altwilisch, „ich funktioniere dann eigentlich nur noch wie eine Maschine.“
Wann denn der Arbeitstag beginnt? „Na, bei uns um halb acht, da wird die Frischware einsortiert. Also Milch, Obst, Fleisch und so weiter. Das schafft man, wenn überhaupt, grade mal so, bis der Laden um acht geöffnet wird. Und dann geht die Rennerei erst richtig los.“ Wenn um 18 Uhr Ladenschluß ist, müssen die Verkäuferinnen die Kasse abrechnen und können dann - nachdem sie noch aufgeräumt haben - im Schnitt gegen viertel vor sieben den Heimweg antreten.
„Bei uns schafft man es dann mit etwas Glück vielleicht noch zur Abendschau„ - der Berliner Regionalsendung, die kurz vor halb acht beginnt. „Aber je nachdem wie weit sie es nach Hause haben, sind viel auch erst zur Tagesschau daheim.“
Für die Gewerkschafterin ist daher gar keine Frage, daß ein Ladenschluß um 18.30 Uhr das äußerste der Gefühle ist. „Und einer Kollegin aus der IG Metall, die das nicht einsehen will, der würd‘ ich natürlich auch noch sagen, daß das Gezerre um den Dienstleistungsabend in den Komplex Flexibilisierung der Arbeitszeit gehört. Dagegen wehren sich die Metaller doch auch, und bei uns gibt es schon jetzt ein einziges Geschiebe bei den Arbeitszeiten - je nach Betriebsbedarf.“ Im übrigen seien die Läden schon jetzt 56 Stunden in der Woche geöffnet. Und sie fügt hinzu: „Wir finden es ja auch richtig, daß die Drucker und Metaller um ihren freien Samstag oder das Wochenende kämpfen, obwohl wir samstags arbeiten müssen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen