: Bei China sind sich alle Parteien einig
■ Kohl hat „herzliche Sympathie“ für die Arbeiter und Studenten / Weizsäcker fordert zu Gebeten auf / Grüne wollen Rüstungsexport und Entwicklungshilfe kappen lassen / Wirtschaft hält nichts von Sanktionen, spricht aber von „Vertrauensverlust“ und „zerschlagenem Porzellan“
Bonn (afp/ap) - Bundesregierung und Parteien haben am Montag einhellig in schärfster Form die chinesische Führung und den Einsatz von Kampftruppen gegen die Bevölkerung kritisiert. In seiner Eigenschaft als CDU-Bundesvorsitzender sagte Bundeskanzler Kohl, es bleibe zu hoffen, daß der barbarische Einsatz brutaler Gewalt nicht das Signal für die zukünftige Entwicklung in der Volksrepublik sei. Kohl betonte seine „herzliche Sympathie“ für die Studenten und Arbeiter, die auf ganz natürliche Weise ihre Menschenrechte eingefordert hätten. Unterdessen hat Bundespräsident Richard von Weizsäcker in New York den „mutigen Kämpfern und den Opfern“ der bewaffneten Repression seine Reverenz erwiesen und dazu aufgerufen, dafür zu beten, daß die „Perversion der Gewalt“ in China umgehend ein Ende findet.
Der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, Volker Rühe, machte die chinesische Führung um Deng Xiaoping für die blutigen Massaker verantwortlich. Der Bundestag werde sich mit den Vorgängen in China und deren Auswirkung auf die Weltpolitik befassen. Die SPD -Bundesgeschäftsführerin Anke Fuchs betonte die Solidarität ihrer Partei mit der Volksbewegung. Die chinesische Führung müsse sich darüber im klaren sein, daß die brutale Unterdrückung sozialer Forderungen die neu erworbene Stellung Chinas nicht unberührt lassen werde. Der SPD -Abgeordnete Norbert Gansel forderte Bonn auf, Peking unverzüglich mit dem Abbruch der wirtschaftlichen Zusammenarbeit zu drohen. Als „barbarischen Akt der Freiheitsunterdrückung“ wertete der FDP-Vorsitzende Otto Graf Lambsdorff die Ereignisse. Die Brutalität, mit der gegen Demonstranten und unbeteiligte Frauen und Kinder vorgegangen worden sei, isoliere die chinesische Regierung.
Die Grünen forderten den Rückruf des deutschen Botschafters aus Peking. Hannspeter Hellbeck solle Auskunft über die blutigen Vorfälle geben, verlangte Fraktionssprecher Helmut Lippelt in einem Brief an Außenminister Genscher. Zudem drängten die Grünen auf den sofortigen Stopp der Lieferung von Rüstungsgütern nach China sowie die Einstellung der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit. Auch forderten sie eine Sondersitzung des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages noch in dieser Woche.
Die bundesdeutsche Wirtschaft spricht nach einer 'dpa' -Umfrage von „einem schweren Vertrauensverlust“ durch das Massaker. Die Folgen des „Vertrauensverlusts“ scheinen jedoch eher kurzfristige und nicht allzu schwerwiegende zu sein. Der Vorsitzende des Ostausschusses der Deutschen Wirtschaft, Otto Wolff von Amerongen, sprach sich nachdrücklich gegen „Wirtschaftssanktionen aus dem hohlen Bauch heraus“ aus. Karl-Hermann Fink, Geschäftsführer des Ost-Ausschußes, glaubt, daß deutsche Firmen künftig bei Investitionen zurückhaltend reagieren werden. Langfristige, schon vertraglich vereinbarte Projekte, wie beispielsweise der Bau einer U-Bahn in Schanghai mit Hilfe eines deutschen Firmenkonsortiums, würden wohl nicht rückgängig gemacht werden.
Nach Ansicht der deutschen Großbanken habe die Führung in Peking „erhebliches Porzellan zerschlagen“. Ihr Ansehen in Europa, Japan und Nordamerika sei schwer angeschlagen. Zunächst würden alle Großbanken und die Industrie sicher zögern, „mit der derzeitigen chinesischen Führung ins Geschäft zu kommen“, hieß es in Frankfurt. Die Regierung in Peking sei jedoch gezwungen, wegen bestehender Wirtschaftsprobleme „das Ausland bei Laune zu halten“.
Die große China-Euphorie sei schon vor zwei Jahren abgeklungen. Einige Großaufträge seien mangels Devisen und aufgrund anderer Probleme nicht in Gang gekommen. Die Niederlasssung der Deutschen Bank in Peking hat ihre „moderaten“ Geschäfte völlig auf Kooperationen mit Banken abgestellt.
Das gesamte Handelsvolumen mit China betrug 1988 nach Angaben des Statistischen Bundesamtes 9,3 Milliarden DM, das ist nur rund ein Prozent des bundesdeutschen Außenhandels.
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