piwik no script img

Schlimm, daß man nichts Genaues weiß“

■ Interview mit Dr.Mechthild Leutner vom Ostasiatischen Institut (OAS) der FU zu der aktuellen Situation in Peking / Die Peking Universität ist seit sieben Jahren Partneruniversität der FU / Von FU-Studenten in Peking noch keine Nachricht

taz: Die Peking Universität ist seit 1981 Partneruniversität der FU-Berlin. Haben Sie aktuelle Informationen vom Universitätsgelände?

Leutner: Man weiß nichts Genaues. Es gibt unterschiedliche Gerüchte und Meldungen. Die letzten Informationen der wenigen ausländischen Studenten, die noch da sind, lauteten, daß sie kein Militär bemerkten und daß es relativ ruhig sei. Den chinesischen Studenten in Berlin, die Kontakte zu Kommilitonen haben, wurde gesagt, die Studenten könnten ihre Wohnheime nicht verlassen. Es würde sofort scharf geschossen. Es gibt auch Gerüchte, daß z.B. vom Fachbereich Politische Wissenschaft mehrere Dozenten getötet worden sind.

Nach unbestätigten Informationen sind noch während der Räumung des Platzes auch gezielt Studentenführer getötet worden. Viele Studenten glauben demnach, daß keiner ihrer Sprecher mehr am Leben ist.

Das ist mir von meinen Informationsquellen auch gesagt worden. Das Schlimme ist, daß man nichts Genaues weiß. Ich habe keine Ahnung, was mit den Freunden dort ist. Man sitzt hier hilflos vor dem Fernseher und versucht die Informationen zusammenzukriegen.

Welche Rolle haben die Studenten dieser Uni bei den Protesten der letzten Wochen gespielt?

Die Peking Universität ist eine der ältesten und renommiertesten sozialwissenschaftlichen Universitäten des Landes. Durch die Aktivitäten ihrer Studenten hat sie in der Vergangenheit wie in der Gegenwart eine führende Position in politischen Bewegungen eingenommen. Die ersten Kommunisten haben dort unterrichtet. Mao selbst hat dort auch einmal gearbeitet. In der Protestbewegung der 30er Jahre gegen die Japaner oder in den 40er Jahren gegen die Diktatur der Kuomintang ist diese Uni führend gewesen. Das gilt auch für die aktuellen Proteste.

Also eine Art Vorreiterrolle?

Ja, diese Uni ist ein Seismograph für die politische Situation - auch für die Zufriedenheit oder Unzufriedenheit der Intelligenz mit der politischen Situation. Die Parteispitze hat immer besonders darauf geachtet, diese Uni im Blick und letztlich auch unter Kontrolle zu haben.

Wie haben sich die Kontakte zwischen FU und der Peking -Universität in den letzten Jahren gestaltet?

Die Peking Uni war in den 80er Jahren sehr auf eine Öffnung zum Westen hin orientiert - sicher eine der liberalsten Unis in der Richtung. Anfangs betraf das Abkommen den Austausch von Sinologen der FU und Germanisten der Pekinger Uni sowie Einladungen an Gastprofessoren der Pekinger Uni, die am OAS gelehrt haben. Das Abkommen wurde im April 1988 verlängert und der Austausch auf alle anderen Fachbereiche ausgeweitet. Der Austausch hat sehr gut funktioniert.

Wie reagieren die Studenten am OAS?

Die Situation in der Volksrepublik ist natürlich Thema in den Seminaren. Wir versuchen auch, etwas ausführlicher zu analysieren und zu erklären, wie es zu einer solchen Protestbewegung kommen konnte. Konkrete Diskussionen gibt es vor allem unter Studenten, die sich für Stipendien beworben haben. Ein Kommilitone, der bereits ein Stipendium für das Herbst-/Wintersemester hatte, hat das jetzt mit einem Protestbrief an die chinesische Botschaft zurückgegeben.

Haben Sie Informationen, wie es den FU-Studenten geht, die zur Zeit in Peking sind?

Nein, über deren Situation wissen wir momentan noch nichts.

Interview: Andrea Böhm

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen