: Nazistischer Verteidiger hat Gericht voll im Griff
Vergebliche Anklage wegen Volksverhetzung vor dem Landgericht in Nürnberg: Der einschlägig bekannte Rechtsanwalt Jürgen Rieger schlägt für seinen gleichermaßen nazistisch gesinnten Mandanten Edgar Geiß einen Freispruch heraus ■ Aus Nürnberg Bernd Siegler
Der noch in der Nacht zuvor vom Notarzt aufgesuchte rechtsradikale Edgar Geiß (59) aus Hechthausen bei Stade schlendert nach dem Urteil in bester Laune durch die Gänge des Nürnberger Landgerichts: „Das Gericht hat sich nicht von marxistischen Verleumdungen beirren lassen.“ Soeben hat Richter Kriegel von der 4.Strafkammer den Gründer der „Bürgerinitiative gegen Kriegsschuld und antideutsche Greuellügen“ nach zwei Verhandlungstagen vom Vorwurf der Volksverhetzung, Beleidigung und des Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz freigesprochen. In der ersten Instanz war Geiß noch als „geistiger Kopf“ der neonazistischen Krawalle anläßlich der „Internationalen Konferenz zum 40.Jahrestag der Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse“ zu zehn Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt worden.
Damals, am 23.November 1985, standen die etwa 400 Konferenzteilnehmer beim Verlassen der Nürnberger Meistersingerhalle einer Gruppe von etwa 25 Neofaschisten aus dem ganzen Bundesgebiet gegenüber. Mit von der Partie war Edgar Geiß. Der Pulk skandierte „Rotfront verrecke“, „Juda verrecke“ und drohte „Wir bringen euch um“ und „Wir werden euch vergasen“. Auf Flugblättern wurden die Kriegsverbrecherprozesse als „alliierte Lynchjustiz“ und „Greuellügen gegen das deutsche Volk“ bezeichnet. „Zeigen wir den ungebetenen Gästen, daß sie auf deutschem Boden nicht willkommen sind.“ Unterzeichnet hatte diese deutliche Aufforderung die neonazistische „Freiheitlich Deutsche Arbeiterpartei“ (FAP). Als presserechtlich Verantwortlicher firmierte Edgar Geiß. Die Polizei vor Ort ließ die Neonazis gewähren. Konferenzteilnehmern, die sich bedroht fühlten, antworteten die Polizisten lapidar: „Was wollen Sie denn, noch ist Ihnen ja nichts geschehen.“ Nur widerwillig nahm die Polizei Anzeigen auf, von Volksverhetzung wollten die Beamten trotz des leicht abgewandelten Hitlergrußes mit gespreizten Fingern nichts mitbekommen haben. Dementsprechend forderten sie im Falle einer Anzeigeerstattung von den empörten Konferenzteilnehmern den Nachweis, was jeder einzelne der Neonazis konkret skandiert hätte.
Im Juli 1987 schließlich verurteilte das Nürnberger Amtsgericht den Neonazi Uwe Börner (27) wegen Volksverhetzung, Beleidigung und Leitung einer nicht angemeldeten Demonstration zu acht, einen Monat später Edgar Geiß zu zehn Monaten. Nach dem Selbstmord von Börner steht nun Geiß allein vor Gericht. Mit Jürgen Rieger aus Hamburg hat er einen Verteidiger engagiert, der selbst an einer Vielzahl von FAP-Veranstaltungenn teilgenommen hat. Entsprechend „kameradschaftlich“ fällt die Begrüßung von Michael Kühnen aus, der als Besucher am ersten Prozeßtag für Aufsehen sorgte.
Landauf landab verteidigt Rieger Rechtsradikale und Skins. Seinen guten Ruf in diesen Kreisen hat sich Rieger selbst geschaffen. Im Jahr 1969 gab er im „Eigenverlag“ die Schrift „Rasse - auch ein Problem für uns“ heraus, die wenig später wegen ausländerfeindlicher Hetze als jugendgefährdend indiziert worden ist. Rieger war lange Jahre Funktionär des rechtsextremen „Bundes Heimattreuer Jugend“ und Vorsitzender der rassistischen „Gesellschaft für Anthropologie, Eugenik und Verhaltensforschung“. Als Rechtsanwalt blieb Rieger seiner Linie treu. In einem Verfahren gegen den SS -Obersturmführer des Distrikts Warschau vertrat er 1981 im Plädoyer die Auffassung, das Warschauer Ghetto wäre doch nur aus „seuchenhygienischen“ Gründen eingerichtet worden. Zudem wäre es fraglich, „ob auch nur ein Jude an Hunger gestorben wäre, wenn es ein bißchen mehr Solidarität unter den Juden gegeben hätte“. Während das Hamburger Landgericht den Rechtsanwalt deswegen zweimal zu hohen Geldstrafen verurteilt hatte, sprach der Bundesgerichtshof im Herbst 1987 Rieger frei. Er habe doch die Dinge nur aus der damaligen historischen Sicht des Angeklagten wiedergegeben. Noch im Dezember 1986 finden in der 'Deutschen Nationalzeitung‘ die Taten der Wehrmacht und der Waffen-SS die Zustimmung des Hamburger Anwalts.
In Nürnberg versteht es Rieger glänzend, sich als Herr des Verfahrens aufzuspielen. Er unterbricht Richter, Staatsanwalt und Nebenkläger nach Belieben, ohne daß der Vorsitzende eingreift. Die Ausforschung der politischen Einstellung und Vergangenheit des einzigen Belastungszeugen läßt Richter Kriegel „des lieben Friedens willen“ zu. So muß sich der Hamburger Rechtsanwalt Dammann, der das Mitwirken von Geiß an den Krawallen bestätigt hatte, Riegers Fragen gefallen lassen, ob er Mitglied der VVN sei, ob er wisse, daß die VVN eine „kommunistische Tarnorganisation“ sei und ob er bereits vor zehn Jahren „antifaschistisch organisiert“ gewesen sei. Im Plädoyer unterstellt Rieger dem Zeugen dann, aufgrund dessen VVN- und DKP-Mitgliedschaft durch Falschaussagen den Kampf gegen Neonazis führen zu wollen. Das macht Eindruck auf Richter Kriegel. „Ich kann es nicht vom Tisch wischen, daß der Zeuge extrem von der anderen Seite ist“, führt Kriegel in seiner Urteilsbegründung aus und unterstellt dem Belastungszeugen eine dementsprechend gefärbte Wahrnehmung der Vorfälle.
Die politische Vergangenheit von Geiß und seine 13 einschlägigen Vorstrafen interessieren Richter Kriegel bei der Urteilsfindung nicht. Nicht daß Michael Kühnen zeitweise seinen offiziellen Wohnsitz zu Geiß verlegt hatte, auch nicht, daß Geiß zum Führergeburtstag in seinem Anwesen eine Flaggenparade abgehalten hat und daß er beste Beziehungen zu Alt- und Neonazis unterhält. Im Gegenteil. Kriegel glaubt sogar Geiß‘ Beteuerungen, daß dieser sich nur zur Meistersingerhalle begeben habe, um dort abzuwiegeln und die „jungen Leute“ vor der Begehung von Straftaten zu bewahren. Gleich nach dem Urteil kündigt die Staatsanwaltschaft ihre Revisionsabsicht an. Für den Nebenklagevertreter ist der Freispruch „die letzte Konsequenz aus dem Versagen der Polizei vor Ort“.
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