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Das Schiffahrtsabkommen droht an der Flaggenfrage zu scheitern

Bonn (taz) - Streitpunkt Berlin - der Besuch droht zu scheitern; die deutsche Seite kündigt bereits an, es werde kein gemeinsames Schlußkommunique geben. Stundenlang sitzen die Unterhändler zusammen; die Regierungschefs beraten bis tief in die Nacht; nach einem entnervenden Verhandlungsmarathon ist endlich ein Kompromiß gefunden, der die Einbeziehung Berlins sicherstellt: die Sowjetunion gelobt die „volle Einbeziehung“ sowie die „strikte Anwendung“ des Vier-Mächte-Abkommens über die geteilte Stadt.

Das dramatische Gefeilsche fand 1973 statt - die damaligen Kontrahenten: Bundeskanzler Willy Brandt und Staats- und Parteichef Leonid Breschnew. Die damals gefundene Formel erwies sich als Durchbruch in der Frage der Einbeziehung West-Berlins in Vertragswerke mit der Sowjetunion und anderen Ostblockländern.

Eine solche gesonderte Anbindung Berlins ist notwendig, weil auch das Vier-Mächte-Abkommen zu Berlin von 1971 einen von allen vier Siegermächten akzeptierten - und geplanten Geburtsfehler in Form eines Interpretationsspielraums beinhaltet: Einerseits ist davon die Rede, daß Berlin kein konstitutioneller Bestandteil der Bundesrepublik ist. Nur unter dieser Bedingung war die Sowjetunion seinerzeit zur Unterzeichnung des Vier-Mächte-Abkommens bereit. Andererseits sollen die „Bindungen zwischen den Westsektoren Berlins und der Bundesrepublik aufrechterhalten werden“ eine Formulierung, die die Westmächte bei den Verhandlungen durchsetzen konnten.

Auch beim jetzigen Staatsbesuch Gorbatschows stehen für heute die Unterzeichnung etlicher Verträge auf dem Programm, bei denen die Berlin-Klausel kein Problem ist. Eine auf alle Fälle anwendbare Klausel - wie es die Bundesregierung seit langem wünscht - aber lehnt die Sowjetunion ab. Welche Probleme dies mit sich bringt, belegt das Schiffahrtsabkommen, dessen Unterzeichnung voraussichtlich an der Berlin-Frage scheitern wird. Denn die Sowjets lehnen es ab, daß Berliner Schiffe die Bundesflagge zeigen.

In der Vergangenheit hat der trickreiche Außenminister Genscher meist solche Probleme umschifft. Beim „Abkommen über die technisch-wissenschaftliche Zusammenarbeit“ von 1987 erfand er die „personenbezogene Lösung“. Bei gemeinsamen Projekten werden seitdem Berliner Mitarbeiter von Bundesbehörden nur mit ihrem Namen, nicht aber mit der Behördenbezeichnung aufgeführt.

Diese Formel findet auch Anwendung bei dem heute zu unterzeichnenden Weiterbildungsabkommen für sowjetische Manager, weil das federführende „Bundesinstitut für berufliche Bildung“ seinen Sitz in Berlin hat. Im Kulturbereich kreierte Genscher die „Sternchen- und Fußnoten -Lösung“. Bei Berliner Künstlern wird mit Sternchen auf eine Fußnote und dort auf das Vier-Mächte-Abkommen verwiesen.

Der außenpolitische Berater Gorbatschows, Portugalow, hat deswegen auch der Bundesregierung geraten, beim Schiffahrtsabkommen „pragmatisch“ vorzugehen und einfach auf die Flagge zu verzichten.

In der Tat ist der Wert des Abkommens für Berliner Schiffe gering: Es gilt für Binnenschiffer nur für den Unterlauf der Donau kurz vorm Schwarzen Meer; Seeschiffe sind in der Stadt nicht registriert, und Sportschiffer dürfen sowjetische Häfen eh nicht anlaufen. Außerdem: Das Flaggezeigen ist für Lastkähne nach der Binnenschiffahrtsordnung nur eine Kann -Bestimmung.

Mit der DDR und Polen hat es mit dem Führen der bundesdeutschen Flagge noch nie Probleme gegeben. Mit den Tschechen, Bulgaren und Ungarn sind Verträge geschlossen worden, bei denen die Flaggenfrage elegant umrundet wurde. In einem zusätzlichen Begleitbrief zum Vertrag heißt es jeweils, man werde „die Schiffe der anderen Seite nicht daran hindern, die Flagge ihrer Länder zu setzen“.

Daß es wie 1973 auch diesmal wieder zu einer Einigung kommt, wird im Außenministerium nahezu ausgeschlossen. Wie das Auswärtige Amt reagiere, wenn nun ein Berliner Schiffer als Ausdruck der „politisch selbstständigen Einheit West -Berlin“ einfach die Berliner Flagge hisse, wird indigniert beantwortet: das wäre eine „unfreundliche Anbiederung“.

Gerd Nowakowski

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