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Sonderbehandlung abgelehnt

■ Senat uneinig über Räumung des besetzten Hauses am Fränkelufer 30 / Es steht seit Anfang der achtziger Jahre leer - und der Besitzer „modernisiert“ es ganz alleine

Große Unsicherheit herrscht seit gestern nicht nur unter den 50 BesetzerInnen des Fränkelufer 30. Ob sie geräumt werden oder nicht, das beschäftigte gestern auch den Senat. Dort hatte eine Diskussion über die Räumung keine Einigkeit zwischen SPD und AL ergeben, so daß das Thema noch einmal als Dissenspunkt an die Fraktionen zurückgeleitet wurde. Bei Redaktionsschluß lag die Entscheidung der SPD-Fraktion noch nicht vor. Die AL hat sich einstimmig gegen eine Räumung ausgesprochen. Erst am Montag war das Räumungsbegehren, daß der Besitzer des Fränkelufers, Hans-Joachim Gertig, gestellt hatte, durch ein Moratorium der Kreuzberger Baustadträtin Franziska Eichstätt bis gestern abend ausgesetzt worden. Einstimmig hatte das Bezirksamt gestern morgen jedoch einem weiteren Räumungsaufschub zugestimmt, in der Hoffnung, daß sich der Senat anschließen werde. Dessen Okay blieb bislang aus, so daß die BesetzerInnen ab sofort mit einer Räumung rechnen müssen. Großer Unmut über die bisherige Räumungspolitik des Senats herrscht in der AL-Basis. So war am Sonntag auf einer Mitgliedervollversammlung eine Resolution gegen „die gegenwärtige Senatspolitik der unbedingten Räumung in kürzester Frist“ verabschiedet worden.

Seit Anfang der achziger Jahre steht der Seitenflügel des Fränkelufer 30, den Eigentümer Gertig mit öffentlichen Förderungsmitteln in Eigenarbeit zu modernisieren versucht, leer. Der Förderungsvertrag war von seiten des Bezirksamts bislang nicht kontrolliert worden, so daß Gertig seiner kuriosen „Lebensaufgabe“, den Seitenflügel allein instand zu setzen, ungehindert nachgehen konnte. „Der Bausenat muß prüfen, ob nicht ganz schnell ein Baubetreuer für das Fränkelufer eingesetzt werden kann“, erklärte die Baustadträtin Franziska Eichstätt gegenüber der taz. Vertragsverstöße, wie sie durch die Modernisierungsverzögerung vorliegen, könnten eine Übernahme der Instandsetzungsarbeiten durch die öffentliche Hand gewährleisten, so Eichstätt. „Ein Problem ist, daß die Mieter des Vorderhauses mit den Besetzern überhaupt nicht einverstanden sind.“ Wäre dies nicht der Fall, würde sie, falls das Fränkelufer durch einen Baubetreuer übernommen würde, Vorverträgen für die jungen Leute zustimmen. Ihr Alternativvorschlag: statt dessen Vorverträge für den Seitenflügel in der Obentrautstraße 69, der ebenfalls Gertig gehört und wegen seines ähnlich baufälligen Zustands am Samstag von den Besetzern „zur Besichtigung“ freigegeben worden war. Voraussetzung für diese Lösung, so die Baustadträtin, wäre ein Treuhandmodell, bei dem ähnlich wie im Fränkelufer 30 die öffentliche Hand die Instandsetzung übernehmen würde.

Eine Sonderlösung wollen die BesetzerInnen am Fränkelufer jedoch nicht. „Das ist eine moralisch gerechtfertigte Besetzung wie alle anderen auch“, erklärte ein Vertreter. Wenn für sie eine Lösung, wie die von der Baustadträtin angebotene, gefunden würde, dann müsse das gleiche auch für die ehemals besetzten Häuser in der Oranienstraße, Mariannenstraße oder am Einsteinufer gelten. „Die haben doch Angst, daß dann der gesamte Leerstand in der Stadt ebenfalls besetzt wird“, so einer der BesetzerInnen. Dazu die Kreuzberger Baustadträtin: „Die Angst vor weiteren Besetzungen existiert nicht bei uns, aber im Senat!“

cb

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