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Bis zum Hals im Wasser

6.000 Menschen in Kedung Ombo auf der indonesischen Insel Java sollen einem Staudamm weichen / Die Energie ist nicht für sie bestimmt / Seit Januar läuft Wasser in das Staubecken / Der Pegel ist inzwischen auf 20 Meter gestiegen / Für die BewohnerInnen des Gebiets gibt es nur lächerliche Entschädigungen und kaum Ersatzland / Die Weltbank hat den Staudamm zu 75 Prozent finanziert / Kritiker des Projekts werden als Kommunisten gebrandmarkt und kriminalisiert  ■  Aus Djakarta R. Alt/M. Prana

Alltag im Staudammgebiet von Kedung Ombo: Bewohner demolieren ihre Häuser und bringen Holz und Ziegel an einen höher gelegenen Ort. Viele schlüpfen bei Bekannten unter, andere bauen ihre Unterkünfte an anderen Orten wieder auf, um sie Wochen und Monate später wieder abzutragen. Denn das Wasser wird bei Einsetzen der Regenzeit weiter steigen. Der Endzustand von 90 Metern Wasserhöhe wird Anfang nächsten Jahres erwartet.

Am 14. Januar 1989 waren an dem neuen Staudamm die Schleusentore geschlossen worden. Seitdem stehen in zunehmendem Maße die Existenz und die Gesundheit von Tausenden von Menschen auf dem Spiel. Im Februar wurde die letzte Ernte eingebracht. Weiterer Ackerbau war angesichts des steigenden Wassers nicht möglich. Die Überflutung der Brunnen führte zu Trinkwasserknappheit und bei vielen Menschen, vor allem Kindern, zu Durchfallerkrankungen.

Nach den Vorstellungen seiner Planer soll der Staudamm von Kedung Ombo, der in den Distrikten Grobogan, Boyolali und Sragen in Mitteljava liegt, ein Gebiet von circa 7.900 Quadratkilometern mit Bewässerungsanlagen, Trinkwasser und Strom versorgen. Außerdem soll er die Überflutungen in der Regenzeit eindämmen und zur Touristenattraktion werden.

Das Gebiet war bisher sehr trocken und unfruchtbar - die Möglichkeiten zur landwirtschaftlichen Nutzung nur spärlich. Teile der drei betroffenen Distrikte waren von der Regierung bereits als Notstandsgebiete bezeichnet worden. Nach Angaben der Weltbank lag das Einkommen von über 60 Prozent der Haushalte unter der Armutsgrenze. Aus diesem Grund waren auch die Pläne für den Damm nicht auf prinzipiellen Widerstand bei der Bevölkerung gestoßen. Im Gegenteil: Man hoffte, davon zu profitieren.

Um den Staudamm, der 750 Millionen Kubikmeter Wasser führen und eine Stromleistung von 22,5 Megawatt erzeugen soll, zu errichten, mußten 6.000 Hektar Land geräumt werden. Betroffen sind Waldgebiete und regierungseigenes Land, aber auch 37 Dörfer und landwirtschaftlich genutzte Fläche. Für 5.359 Familien bedeutet der Staudamm die Umsiedlung.

Drei Eier für ein Stück Land

Bereits 1982 begannen die lokalen Behörden und Dorfoberhäupter die Dorfbevölkerung auf den Staudamm vorzubereiten. Dabei erfuhren die Menschen von Kedung Ombo, daß sie nicht zu den Nutznießern des neuen Projekts gehörten. Ganze 350 Rupiah wurden ihnen für einen Quadratmeter ihres Landes angeboten. Das entspricht in Indonesien dem Preis für 750 Gramm Reis oder drei Eier. Neues Land in der Umgebung des Stausees würde das Zehnfache kosten.

Bis vor kurzem hatte die Regierung auch nur ein lokales Umsiedlungsgebiet bereitgestellt: das Dorf Kayen im Distrikt von Boyolali, wo den von Dammbau und Überflutung Betroffenen billiges und augenblicklich auch fruchtbares Land angeboten wurde. Tatsächlich handelt es sich jedoch um unfruchtbares Ödland mit steinhartem Boden, das ebenso unakzeptabel ist, wie die Entschädigungsbedingungen.

Ein weiteres „Angebot“ der Behörden war die Umsiedlung der Bevölkerung nach Südsumatra, wo sie sich eine neue Existenz aufbauen sollten. Diese sogenannte „Transmigration“, durch die Menschen von den als „überbevölkert“ bezeichneten Inseln Java und Bali auf die dünner besiedelten „Außeninseln, wie Sumatra, Kalimantan oder Irian Jaya, umgesiedelt werden, ist ein Kernstück indonesischer Bevölkerungspolitik. „Transmigrasi“ ist seit Jahren ins Kreuzfeuer internationaler Kritik geraten, da die SiedlerInnen häufig nicht nur mit falschen Versprechungen weggelockt, sondern auch am Zielort mit unakzeptablen und für die auch völlig unbekannten Bedingungen konfrontiert werden.

So fanden die wenigen Familien aus Kedung Ombo, die sich überhaupt auf die Umsiedlung eingelassen hatten, die Häuser, Grundstücke und Grundnahrungsmittel, die von der Regierung zur Existenzgründung avisiert worden waren, überhaupt nicht oder in schlechtem Zustand vor. Viele kamen schnell wieder zurück und schreckten andere mit ihren Erzählungen ab.

Angesichts der unannehmbaren Alternativen begannen sich die Bewohner von Kedung Ombo gegen die Umsiedlung zu wehren. Sie besorgten sich Beistand bei Rechtshilfeorganisationen und verhandelten hart über die Entschädigungskonditionen. Die Regierung hatte auf diesen in Indonesien, wo nur selten Unmut öffentlich geäußert wird, unüblichen Widerstand nur eine Antwort: Zwangsmaßnahmen.

Militärischer Zwang zur Umsiedlung

Im Dezember 1987 wurden 50 Familien unter Aufsicht des Militärs mit all ihrer Habe in einen Bus gepfercht und nach Südsumatra verfrachtet. Neben dieser erzwungenen Transmigration mußten viele Dorfbewohner ebenfalls in Anwesenheit von Militärs - ihre Unterschriften unter die Entschädigungsverträge setzen. Bei diesen Aktionen flüchteten immer wieder ältere Menschen, Frauen und Kinder in die Wälder - aus Angst vor den Knüppeln und Stiefeln des Militärs.

Darüber hinaus griffen die Behörden zu einem weiteren Mittel, das in Indonesien zweieinhalb Jahrzehnte nach dem Militärputsch von 1965 und den anschließenden Massakern an Hunderttausenden von Menschen immer noch wirksam ist: Man stigmatisiert die Dorfbewohner als Kommunisten, um die Sympathie, die ihnen vielerorts entgegegebracht wurde, zu zerstreuen. Das Gebiet um Kedung Ombo, so der indonesische Präsident Suharto in einer Fernsehansprache vom 24. März, sei eine ehemalige Hochburg der PKI, der verbotenen Kommunistischen Partei, gewesen. Diese könne dort immer noch auf Anhänger zählen, die falsche Informationen verbreiteten und nur Unruhe stiften wollten.

Es blieb jedoch nicht bei diesen Verleumdungen. So gibt es mehrere Berichte darüber, daß einige Dorfbewohner zu den Behörden zitiert wurden, und man ihnen dort das berüchtigte ET (Ex-Tapol) oder das OT (Organisasi terlarang) in den Personalausweis stempelte, was sie als ehemalige politische Gefangene oder Mitglieder verbotener Organisationen disqualifiziert. Nachdem die Auseinandersetzungen um die Entschädigung sieben Jahre angedauert hatten, griff die Regierung Anfang dieses Jahres zur wirkungsvollsten Zwangsmaßnahme: Mit der Schließung der Schleusentore sollten die Forderungen der Menschen von Kedung Ombo ertränkt werden.

Inzwischen wird das Gebiet von vier Militäreinheiten bewacht. Zufahrtswege sind nur mit spezieller Genehmigung der Regierung zu passieren. Hilfs- und Solidaritätsaktionen werden schnell untergraben.

Hilferuf aus Kedung Ombo

Einer, der dennoch besonderen Mut beweist, ist der Jesuitenpater Mangun Wijayah, der in Indonesien auch als Schriftsteller und Journalist bekannt ist. Der Jesuit startete ein Hilfsprogramm für die 3.500 im Überflutungsgebiet lebenden Kinder, das prompt von der Provinzregierung in Zentraljava untersagt wurde. Wenn der für sein Engagement geschätzte Jesuit Sozialarbeit leisten wolle, so könne er das anderen Ortes tun, so beschied der Gouverneur. Pater Mangunhat hat bislang jedoch nicht aufgegeben. Er bat in einem öffentlichen Aufruf um Unterstützung im In- und Ausland.

Auch im Ausland gibt es Ansätze, die Bewohner von Kedung Ombo in ihrem Kampf um gerechte Entschädigung für ihr von den Vorfahren ererbtes Land zu unterstützen. So wandte sich die britische Menschenrechtsorganisation mit dem indonesischen Namen „Tahanan Politik - British Campaign for human rights in Indonesia“ zusammen mit anderen Organisationen in einem Protestschreiben mit ihrer Kritik vor allem an den Hauptfinanzier des Projekts: die Weltbank, die 75 Prozent der Kosten trägt. Wieder einmal, so heißt es in einem Brief an Präsident Barbner Conable, sei die Bank in einem Großprojekt ihrer Verantwortung gegenüber Menschen und Natur nicht nachgekommen. Probleme, wie Umsiedlung, Entschädigung und Umweltbelange, die vor der Darlehnesgewährung gelöst werden sollten, seien in den fünf Jahren, in denen die Bank mit Kedung Ombo zu tun habe, immer noch ungeklärt.

Im Bundestag hat Ende Mai die Fraktion der Grünen in einer Kleinen Anfrage die Bundesregierung ebenfalls an ihre Verantwortung erinnert. Denn im Jahre 1985 hatte der deutsche Exekutivdirektor der Weltbank der Beteiligung am Projekt Kedung Ombo auf Geheiß der Bundesregierung zugestimmt. „Welche Möglichkeiten“, so heißt es in der Anfrage, „sieht die Bundesregierung, auf Weltbank und indonesische Regierung einzuwirken, um den betroffenen Menschen schnell zu helfen und angemessene Entschädigungen zu zahlen?“ Desweiteren fragen die Grünen auch nach der Beteiligung deutscher Firmen an Planung oder Bau des indonesischen Staudamms. Die Antwort der Bundesregierung lag bei Redaktionsschluß noch nicht vor.

Anfang April wartete die Provinzregierung mit einem neuen Schachzug auf. Sie stellt neues Ersatzland in der Nähe des Dammes in Aussicht und versprach, für die notwendige Infrastruktur zu sorgen. Was in den letzten Wochen in der indonesischen Presse als Lösung des Problems gefeiert wurde, hat jedoch mehrere Haken: Erstens handelt es sich um Land der staatlichen Forstgesellschaft Perhutani, auf das die Provinzregierung eigentlich keinen Zugriff hat. Dies könnte bedeuten, daß die Siedler der Gefahr einer neuerlichen Vertreibung ausgesetzt wären. Zweitens kommt nur ein Teil der Umzusiedelnden in den Genuß des neuen Landes, und zwar diejenigen, die bisher noch keine Entschädigung erhalten haben. Beobachter befürchten hier eine Spaltungspolitik gegenüber denjenigen, die schon entschädigt wurden, aber noch Angst vor den Alternativen haben.

Denn die Bindung der Bewohner von Kedung Ombo und vieler anderer Menschen in Indonesien an ihr Land ist eng. Sie trotzen dem Wasser und dem Militär und folgen einem altenm Sprichwort: „Auch wenn es nur die Größe einer Stirn und die Länge eines Fingers hat, so verteidigen wir unser Land bis zum Tode.“

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