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„Wirtschaftsboykott wäre eine Katastrophe“

■ Ein Plädoyer gegen Sanktionen gegen China / Ein Getreideembargo trifft mit Sicherheit die falschen, meint China-Wirtschaftsspezialist Bernd Scharf / Das Land ist weltgrößter Getreideimporteur / BRD mit 5 % am chinesischen Außenhandel beteiligt

Berlin (taz) -China muß 1,1 Milliarden Menschen ernähren. Nur zehn Prozent des gesamten Bodens sind für den Ackerbau geeignet. Die Anbaufläche pro Kopf der Bevölkerung beträgt ein Drittel des Weltdurchschnitts. Den niederschlagsreichen, küstennahen Gebieten des Ostens stehen niederschlagsarme im Westen gegenüber, so daß der Gradient zwischen den Regionen mit den höchsten und jenen mit den niedrigsten Getreideerträgen rund 60:1 beträgt. die Armenhäuser Chinas, die Nordwest-, West - und Südwestprovinzen, sind auf Getreidezuteilungen der Zentrale angewiesen. Rund 60 Millionen Menschen sind ständig vom Hunger bedroht (darunter auch die Provinz Guizhou).

Getreideproduktion sinkt

80 Prozent der Bevölkerung Chinas leben auf dem Lande. Hier herrschen auch heute noch Tradition und auch Aberglauben. Das Schicksal der Dynastien des alten China war immer eng mit dem der Bauern verbunden. Der Himmelssohn hatte das Mandat des Himmels immer nur so lange, wie die Bauern erträglich leben konnten. Ansonsten wurde ihm das Mandat entzogen (lies: er wurde von Bauernaufständen weggefegt). „Die Bauern müssen zuerst reich werden“, hieß der Slogan nach dem Ende der Kulturrevolution. Im Zuge der chinesischen Agrarreformen seit Ende der Siebziger ist die Lage des größeren Teils der Bauern so gut wie nie in der chinesischen Geschichte. Ihre Einkommen haben sich seit Beginn der Reformpolitik vervielfacht (1980 waren es 191 Yuan, 1988: 545 Yuan), Ernährung und Kleidung ist einigermaßen gesichert. Dennoch: Getreide ist weiterhin Dreh- und Angelpunkt. Die Getreideproduktion sinkt seit einigen Jahren und liegt derzeit mit 360 Kilogramm pro Kopf unter dem Niveau des Jahres 1983.

In der Ostprovinz Zhejiang beträgt die Wohnfläche der Bauern pro Kopf 16 Quadratmeter; zum Vergleich: Stadtbewohner in Peking oder Schanghai haben nur vier bis fünf Quadratmeter pro Kopf. Die Intellektuellen sind bislang die eindeutigen Verlierer und Vergessenen der chinesischen Modernisierungspolitik; ihre Einkommen bewegen sich am unteren Rand der Lohnskala: Jeder Limonaden-Verkäufer, der als Privatunternehmer auf eigene Rechnung arbeitet, verdient ein vielfaches, ganz zu schweigen von denen, die als Touristenführer - durch den Umgang mit den Ausländern Zugang zu Importwaren haben, oder zu den Privatkapitalisten, die zum Teil mehrere hundert Arbeiter beschäftigen. Kein Wunder, daß Anlaß für die StudentInnenproteste von 1986 vor allem die miserable wirtschaftliche Lage der zukünftigen Akademiker war.

Japan liegt vorn

Wie überall ist auch dem chinesischen Bauern das Hemd näher als der Rock. Sein Hauptaugenmerk gilt der Ernährung. Von Begriffen wie Freiheit oder Demokratie (beide Begriffe existierten im alten China nicht) weiß er wenig, sie interessieren ihn auch nicht. Ohne die Beteiligung und Unterstützung des Großteils der chinesischen Bevölkerung, der Bauern, sind radikale Änderungen aber nicht durchführbar. China ist im vergangenen Jahr zum weltgrößten Getreideimporteur avanciert. 15 Millionen Tonnen werden derzeit pro Jahr eingeführt, dringend benötigt, um die Bewohner der abgelegenen Provinzen mit den notwendigen Grundnahrungsmitteln zu versorgen. 1988 wurden für 9,1 Milliarden US-Dollar chemische Erzeugnisse importiert, neben Kunststofffasern in erster Linie Dünger, Pestizide und Insektizide für die chinesische Landwirtschaft. Selbstverständlich nehmen auch Luxusgüter und Hightech -Produkte einen großen Raum ein.

Am gesamten Außenhandel nimmt die BRD, entgegen landläufiger Meinung, einen nur nachgeordneten Rang ein. Wichtigster Partner ist Hongkong (39%), gefolgt von Japan (19%). Die USA sind mit 10%, die BRD mit 5% beteiligt. Von den derzeit bestehenden 16.000 chinesisch-ausländischen Gemeinschaftsunternehmen sind drei Viertel mit Partnern aus Hongkong abgeschlossen, nur 30 mit der Bundesrepublik.

Appell an die Regierungen

Das Ausland hat auf das Massaker am Platz des Himmnlischen Friedens und den nachfolgenden Terror mit Abscheu reagiert. Die Reaktionen reichen vom Abbruch diplomatischer Beziehungen auf mittlerer Ebene bis zum Einfrieren der Finanzhilfen, Sperrung von Krediten, Absage von Regierungsbesuchen und selektivem Wirtschaftsboykott. Die chinesische Regierung ist weltweit geächtet. Mehr wird in dieser Richtung nicht passieren. Ein Wirtschaftsboykott wäre, ließe er sich denn durchsetzen, eine Katastrophe in erster Linie für die chinesische Bevölkerung. Ein Getreideembargo, wie von dem chinesischen Dissidenten Liu Binyan in der 'Wirtschaftswoche‘ gefordert, trifft mit Sicherheit die falschen. Dennoch: Auch jetzt schon sind die Folgen katastrophal für China. Eine Mitgliedschaft im Gatt sowie Lockerungen der CoCom-Bestimmungen rücken in weite Ferne. Die Niederschlagung der Demokratiebewegung wird jeden Funken von Enthusiasmus für die Wirtschaftsreformen unterdrücken - ohne Beteiligung der Menschen aber ist die Wirtschaftskrise vorprogrammiert. Wirtschaftsreformen ohne politische Reformen sind, das ist der größte Fehler der Deng -Clique, zum Scheitern verurteitl.

Wir im Westen sind gefordert, die Kontakte auf jeder nur möglichen nichtwirtschaftlichen Ebene weiterzutreiben. Der selbstgewählten Isolation Chinas bis Ende der Siebziger darf jetzt nicht eine Isolation durch den Westen Ende der Achtziger folgen. Die Regierungen bleiben aufgefordert, den Terror der Deng-Regierung bei jeder Gelegenheit von Kontakten deutlich anzusprechen.

Bernd Schaft

Der Autor ist Mitherausgeber der Zeitschrift 'China-Handel

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