: Deutsche Hilfe für den Giftgastod im Golfkrieg?
Düsseldorfer Firma soll dem Iran ein Vorprodukt für Senfgas vermittelt haben / Wieder kam der Tip aus Washington / Iranischer Diplomat mußte Bonn verlassen ■ Von Scheuer und Gottschlich
Berlin (taz) - Die Serie bundesdeutscher Exportskandale wuchert weiter: Die Düsseldorfer Handelsfirma Rheineisen Chemical Products GmbH steht in dem Verdacht, dem Iran mehrere hundert Tonnen Thionylchlorid, eines der Vorprodukte bei der Herstellung des Nervenkampfstoffes Senfgas, vermittelt zu haben.
Bereits am Mittwoch voriger Woche war Bundesaußenminister Genscher während seines USA-Besuchs mit Staatssekretär Baker über entsprechende Hinweise der US-Geheimdienste unterrichtet worden. Am Samstag kabelten die Amis dann konkrete Details nach Bonn, unter anderem den Namen der Düsseldorfer Firma. Deren Manager sollen laut US-Quellen als „Broker“, also als Vermittler bei dem Chemikaliendeal, gewirkt haben. Daß es sich bei dem Herstellerland des Stoffes um Indien handele, ist bislang nur eine Vermutung der US-Behörden. Thionylchlorid werde nur in den USA, Japan, der BRD (hier angeblich nur von der HoechstAG) und Indien hergestellt. Da in den drei erstgenannten Staaten die Produktion angeblich scharf überwacht wird, tippt man in Washington eben auf Indien. Ein Umstand, den Bonn gleich erleichternd als Entlastung wertete: Es seien keine heiklen Substanzen aus der Bundesrepublik nach Persien exportiert worden, hieß es in Bonn.
Gleichwohl scheint es sich bei der Düsseldorfer Brokerfirma um einen Knotenpunkt eines weitverzweigten iranischen Beschaffungsnetzes zu handeln. Eine Schlüsselfigur im aktuellen Fall ist nämlich der iranische Diplomatenpaßträger Said Kharim Ali Sobhani, der bislang als Botschaftsattache in Bonn wirkte und offenbar vor wenigen Tagen auf Betreiben Washingtons von Genschers Ministerialen klammheimlich aus der Bundeshauptstadt komplimentiert wurde. Eben dieser Sobhani fädelte auch einen Chemikaliendeal ein, der seit wenigen Monaten vor einem US-Gericht in Baltimore aufgerollt wird und in der bundesdeutschen Presse bisher unverdient wenig Resonanz fand: Wieder ging es um einen Grundstoff für Senfgas, dieses Mal Thiodiglycol, wieder waren deutsche Firmen und Kaufleute zwischengeschaltet.
Partner des Beschaffungsdiplomaten Sobhani waren in jenem Fall die Exportfirma Chemco, ebenfalls mit Sitz in Düsseldorf (im Handelsregister mittlerweile gelöscht), Ableger einer Colimex GmbH. Schlüsselfigur auf deutscher Seite war der Geschäftsmann Peter Walaschek. Insgesamt 90 Tonnen Thiodiglycol kaufte Walaschek bei der US-Firma Alcolac. Nach zwei Lieferungen im März und im Juni 1987 füllten US-Zollfahnder die insgesamt 400 Fässer eines dritten Transports im April 1988 mit Leitungswasser und observierten deren Weg. Der führte via Singapur und Karatschi nach Bandar Abbas im Iran. Dort waren auch die ersten beiden Sendungen, eine via Singapur, die andere via Athen, gelandet. Peter Walaschek wurde in Baltimore verhaftet. Er erklärte sich zunächst bereit, als Agent provocateur mit der US-Justiz zusammenzuarbeiten, setzte sich im Dezember 1988 aber wieder in die Bundesrepublik ab. Fortsetzung auf Seite 2
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Die Firma Rheineisen will seit drei Jahren nichts mehr in den Iran geliefert haben, davor nur harmloses Zeugs wie Kunststoffe und Weichmacher. Grundstoffe für Giftgase habe man nie geliefert. „Für uns kam die ganze Sache überraschend“, erklärte gestern ein Firmenangehöriger der taz mit deutlich fremdländischem Akzent. Auch der Firmeneintrag im Düsseldorfer Handelsregister weist vorwiegend orientalisch klingende Namen auf. Seinen eige
nen Namen, geschweige denn seine Nationalität, wollte der Gesprächspartner der taz nicht anvertrauen. Auch nicht, ob er Kontakt mit Peter Walaschek habe. Dementieren wollte er es gleichwohl auch nicht. „Das kann ich Ihnen jetzt nicht sagen“, hieß es nur mehrmals.
Düsseldorf ist für die iranischen Waffenaufkäufer seit langem eine wichtige Drehscheibe. Wie mehrfach berichtet, residiert dort das „DIO-Contactoffice“, eine Waffenbeschaffungszentrale, die ebenfalls zur Chemco Kontakt hatte. Anfang 1988 geriet bereits einmal eine deutsche Firma in den Verdacht, den
Iranern bei der Herstellung von Giftgas unter die Arme zu greifen. Die Hoechst-Tochter Lurgi hatte einen Vertrag für den Bau einer Chemiefabrik im Iran unterzeichnet, in der Pestizide produziert werden sollten. Daß diese Fabrik auch für die Chemiewaffenproduktion genutzt werden könnte, wurde von Lurgi mit dem Argument, die Firma läge dazu viel zu nahe bei Teheran, bestritten. Unstrittig aber ist, daß Iran Ende 1986 und Anfang 1987 gegen den Irak Giftgas eingesetzt hat. Im Dezember 1987 gab der damalige iranische Regierungschef Mussavi öffentlich zu, daß sein Land begonnen
hätte, „komplizierte chemische Offensivwaffen“ herzustellen.
Die Düsseldorfer Staatsanwaltschaft mochte bis gestern keinen Grund für Ermittlungen sehen. Oberfinanzdirektion und Zollfahndungsamt verwiesen Auskunftssuchende gegenseitig auf sich und letztlich nach Bonn. Letzteres soll den Amis eine Außenwirtschaftsprüfung bei der Firma zugesagt haben. Die US -Regierung, so berichten amerikanische Zeitungen, sehe in der Behandlung des Rheineisen-Deals einen Testfall für die von Bonn nach der Libyenaffäre proklamierte neue Exportpolitik.
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