: Der holde Wahn vom tollen Job
Gar aussichtsreich ist der Arbeitsmarkt für die gelehrte Magistra / Wie wär's mit Aktenablegen im Büro? Oder Tickets reservieren? Eine authentische Geschichte aus dem Kapitalismus / Über Hackordnungen, vergebliche Unterwerfungen und die abgestürzten Träume ■ Von Mariam Dessaive
Manchmal wundere ich mich nur noch. Warum wird so wenig bekannt über die Berufsbiografien der vielen Geisteswissenschaftlerinnen, die die Uni alljährlich entläßt? Alle weggeheiratet, umgeschult, arbeitslos, gut aufgehoben bei langjährigen Doktorarbeiten oder, wie ich, auf Dauerarbeitssuche? Klar war mir ja schon vor dem Examen (das ich dann aber trotzdem machte): Wer aus schierer böser Lust ein brotloses Fach wie etwa Germanistik studiert hat, darf sich über den eisigen Empfang auf dem Arbeitsmarkt nicht wundern. Auf eine Extrawurst hat frau auch mit gutem Abschluß keinen Anspruch, wenn die nötigen Verbindungen, der nötige Heroismus oder einfach das nötige Glück fehlen. Im Gegenteil: bald war ich in einen zähen Kampf verwickelt, überhaupt ein besoldetes Arbeitsverhältnis zu finden, reduziert auf meine „natürlichen“ Fähigkeiten sowie Lesen, Schreiben, notfalls Rechnen. Das eröffnete mir ganz neue Perspektiven auf die Vielfalt des Arbeitslebens: auf Jobs bei „Zeitarbeitsfirmen“, auf Teilzeitbeschäftigung mit halbem Lohn, auf die „schwarzen“ Arbeitsverhältnisse - bei den unterschiedlichsten Arten von Arbeitgebern.
Keine auch noch so blasse Verbindung zu den Themen, die mir früher den Kopf rauchen machten. Doch selbst bei heftigen Entzugserscheinungen bleibt es ein holder Wahn, nach Feierabend Fähigkeiten weiterzuentwickeln, die in einem Job bestenfalls dekorative Funktion haben. „Was, die Neue von Manpower will uns beibringen, wo die Kommas hinkommen? Der werden wir mal zeigen, wo's langgeht!“ Und schon ist frau abonniert auf die Ablagen der letzten Jahrzehnte, wird auf die Suche geschickt nach Akten, die wahrscheinlich schon längst im Reißwolf verendet sind und kann sich noch glücklich preisen, nicht zum Putzen abgeordnet zu werden. Die Lust geht allmählich flöten, statt dessen gibt's immer mehr Frust, Erschöpfung, Verblödung, Streit mit den Lieben, Kaufräusche, die die Wirtschaft in Gang halten und einen zwingen, die Zähne zusammenzubeißen, durchzuhalten oder von neuem auf die Suche nach einem neuen, vermeintlich besseren Job zu gehen. Unnütz die zunehmende Routine, zumal in Bewerbungen und Vorstellungsgesprächen. Im Gegenteil rührt der immer wiederkehrende, sicherlich gutgemeinte Rat, es mal in einem Verlag zu versuchen, mich inzwischen zu Tränen. Schlichte Gedankenlosigkeit vermutlich auch die freundliche Empfehlung, einen reichen Mann zu heiraten und Kinder zu kriegen. Die weite Welt
Da gratuliere ich mir selber, als mich vor einigen Monaten eine kanadische Fluggesellschaft vertrauensvoll anheuerte, ganz richtig einstellte als Ticketing- und Reservierungsagentin. Der Duft der großen weiten Welt lockte, die Aussicht auf eine selbständige Arbeit, weniger das Gehalt, das mäßig war wie in den meisten Berufen, in denen überwiegend Frauen arbeiten. Der Monsieur Manager, der sich an diesem sonnigen Tag wahrscheinlich von meiner urlaubsfrischen Bräune beeindrucken ließ, versäumte nicht, mich nach meiner Leistungsbereitschaft zu befragen, was ich denn von Überstunden und Streß hielte, ob ich verheiratet sei und Kinder habe, ob ich mit einem Sechs-Wochen-Lehrgang in Kanada einverstanden sei. Er konnte zum Glück meine Horrorgedanken nicht lesen, schamlos schwor ich alle Eide und allem ab, was mit meiner anrüchigen Germanistenvergangenheit zusammenhing, es hätte dennoch fast nicht geklappt.
Dann kam der erste Arbeitstag und die gute Botschaft, daß es noch eine „Neue“ gab, die optisch und akustisch einen interessanten Gegensatz zu mir abgab. War es mehr dem Zufall oder Monsieur Managers Spieltrieb zu verdanken, daß die Konstellation wie eine Versuchsanordnung zur optimalen Stellenbesetzung aussah? Ich staunte, doch er war für mich nicht zu sprechen. Dann wurden wir gleich wieder heimgeschickt für eine Woche, auf unbezahlten Urlaub, da der Kurs später anfing als vorgesehen. Unsere Verträge wurden schlicht umdatiert. Ich staunte wieder, ohne Effekt jedoch, keine der jungen Kolleginnen und auch die andere „Neue“ konnten anscheinend begreifen, was ich wollte. Es war der erste Arbeitstag, also fügte ich mich, schwer beeindruckt von der Lautstärke und Freimütigkeit, mit der einige der Kolleginnen ihre Kompetenzprobleme, Rivalitäten oder einfach ihre schlechte Laune miteinander austrugen, trotz (oder wegen) des neuen Publikums. Das Mädcheninternat
Wir duzten uns vom ersten Tag an, das erleichterte den menschlichen Austausch ganz ungemein. Schon in der ersten Arbeitswoche war klar, daß ich mit meiner Gruppe Probleme haben würde: Über zehn Jahre älter als die meisten der Frauen, nicht mehr bereit, mich mit den Idealen der gängigen Frauenzeitschriften zu identifizieren, denen hier treulich gefolgt wurde, keine „richtige“ Einheimische und zu allem Übel „studiert“. Studentinnen waren hier hauptsächlich als Aushilfen für den Arbeitsabfall bekannt, der mich dann auch zunächst beschäftigte. Mir schwante, daß mein Traumjob keiner war. Aber ich wollte es noch genauer haben. Und die Gelegenheit, mal Kanada zu besichtigen, lockte.
Aber von Kanada sah ich erst mal wochenlang nur die Ansichtskarten im Hotelkiosk, wildgeschmückte Indianer vor strahlend blauem Himmel, dafür jeden Tag ab sieben Uhr früh die Reservierungszentrale am Flughafen. Der Kurs war mit Ge und Verboten gespickt und gekrönt von der Drohung, aus der Firma zu fliegen, wenn frau bei einer der wöchentlichen Prüfungen versagte. Dabei war die Kursmaterie - die Reservierung von Flügen und dem Drumherum in einem besonders unpraktischen Computersystem - erstaunlich kompliziert. Gleichzeitig wurden wir in die sublimen Untiefen der Verkaufskunst eingeführt und obendrein wie damals im katholischen Mädcheninternat mit Benimm- und Kleidungsvorschriften erfreut: keine Jeans, keine Decolletes, keep smiling in jeder Lebenslage. Im Internat, das ist aber gut 20 Jahre her, war es uns eine Ehre, uns zu wehren. Hier war klar, daß sich alle möglichst klein machten und mit bewundernswertem Eifer dem Unterricht folgten. Wochenlang wagte niemand, während des Unterrichts auszutreten, Fragen, dumm oder nicht, waren verpönt, das überraschende Verschwinden zweier Frauen aus dem Unterricht in der ersten Kurswoche wurde dezent verschwiegen - es handelte sich zufällig (?) um zwei Nichtweiße. Dabei war der Lohn der Mühe von eher fragwürdigem Wert: Das Gehalt entsprach bei den kanadischen Kolleginnen etwa dem von Mac -Donalds-Aushilfen, die landesüblichen zwei Wochen Jahresurlaub gestatteten kaum, die verbilligten Flugscheine angemessen zu würdigen. Jederzeit waren wir kündbar, wenn etwa „the right attitude“ zu wünschen übrig ließ; trübselige Arbeitsbedingungen also und Kontrollmaßnahmen, die in Deutschland einfach illegal wären. Eine besonders perfide Zumutung war die zur Geschlechts- und Altersbezeichnung der Passagiere verwendete Differenzierung Ms./Mrs. - in Nordamerika schon längst abgeschafft -, wonach eine Frau von der Wiege bis zur Bahre eine Miss bleibt, wenn sie nicht einem Mann angehört; während ein Junge bis zum zwölften Lebensjahr Master ist und danach, wenn er voll bezahlen muß, automatisch zum Mister avanciert. Das erregte aber in der Gruppe gar keinen Anstoß, wozu auch: Der Profit ging sowieso, wie üblich, an den Mister Besitzer, dessen Tellerwäscheraufstieg uns als Teil des Unterrichts wie eine verfilmte Heiligenlegende serviert wurde; Karriere machen vorrangig die Männer, die sich in diese Branche verirren. Die Hackordnung
Wir aus Deutschland trösteten uns damit, daß bei uns ja alles anders sei, den Kurs schafften wir locker im Gegensatz zu einigen der kanadischen Kolleginnen. Andernfalls hätte die Firma wahrscheinlich arbeitsrechtliche Probleme gehabt, uns ebenso umgehend zu feuern. Dennoch streßte mich jede der Prüfungen aufs neue. Eingeweckt in dem luftdichten Hotelbunker neben dem Flughafen von Toronto, abgeschnitten von meiner Welt, in wachsenden Zweifeln und ohne Rückflugticket. Mein Liebster und ich gaben in dieser Zeit eine Summe fürs Telefonieren aus, die etwa der Hälfte meines Gehalts entsprach, aber danach waren wir uns ganz besonders gut, und immerhin kann ich nun bei jeder passenden Gelegenheit erwähnen, daß die Niagarafälle wirklich so pompös sind wie auf den Kartenspielen trotz der vielen Hamburger- und Souvenirbuden: So viele Japaner können nicht irren!
Endlich wieder daheim, hatte ich aber noch längst nicht ausgelernt: Die Mit-Neue setzte sich listig einfach auf den für die Stelle vorgesehenen Stuhl und blieb dort, anerkannt von den Kolleginnen. Monsieur Manager billigte durch Schweigen. Ich landete trotz meines fortgeschrittenen Alters und inzwischen verbriefter beruflicher Kompetenz auf dem Stuhl, der wohl für den Stift gedacht war, und beerdigte endgültig die schöne Idee von der quasi naturwüchsigen Frauensolidarität. Ich hatte alle Hände voll zu tun, den Fluten von Ablage auszuweichen und den alltäglichen kleinen Seitenhieben der Kolleginnen, die nach den Regeln einer altbewährten Hackordnung ihre durch längere Firmenangehörigkeit erworbene Berechtigung zu Streßabfuhr an mir geltend machen wollten. Alle Versuche zu vernünftigen Diskussionen endeten in Geschrei, zu der in meinem Vertrag bezeichneten Arbeit kam ich gar nicht, aber Monsieur Manager ging jedesmal auf Tauchstation, wenn ich mich näherte.
Da half nur noch Dramatik: Eines schönen Tages bekam ich so etwas wie einen Nervenzusammenbruch und erstürmte das Chefzimmer: Sire, meine Entlassung, da ich mir eine Kündigung nicht leisten kann. Worauf die erwartbare Antwort kam: Jetzt haben wir doch ausgebildet, jetzt mußt du uns dienen! Nimm dich zusammen, beherrsch dich gefälligst! Der reitende Bote
Also Flucht in die Krankheit, es gibt ja Ärzte, die psychosomatische Störungen ernst nehmen. Dagegen können sich besonders eifrige Arbeitgeber mittels der Krankenkasse wehren, doch meine Vorladung zur amtsärztlichen Untersuchung, die fünf Minuten dauerte, ging mir wiederum so auf die Nerven, daß der Amtsarzt mich noch länger krankschrieb.
Diese Pattsituation hätte sich zu einem endlosen Wechselgang ausweiten können, wenn nicht im letzten Augenblick ein reitender Bote eingegriffen hätte, der alle Schmierenkomödienschlüsse weit in den Schatten stellte: eine Pressemitteilung, daß die Firma klammheimlich übers Wochenende an die Konkurrenz verscherbelt worden war. Nun sieht das ganze Büro der Auflösung entgegen, ich hab‘ meine Entlassung endlich und bereite mich auf das Arbeitsamt vor.
In Toronto amüsierten wir uns damit, den Computer zu fragen: „Can I go home?“ Worauf der regelmäßig antwortete: „$-amount missing“, als ginge es um eine Rechenoperation. Etwas fehlt, aber was fehlt, ist mir in meiner bisherigen Erwerbskarriere noch nicht begegnet.
Und nun, sprach das Huhn, Suppentopf, Grill oder doch lieber Nuggets? Ein Freund von mir sagt ja immer: Kalaschnikow!
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