: STRAPSHARRY IST BESSER
■ Die sogenannte „Rocky Horror Picture Show“ in der Freien Volksbühne
Vor mir holt Frank Schmeichel, in Lederjeans mit Hosenträgern, seine Karten ab, und sein schmalbärtig-blasses Gesicht sieht aus wie das eines magenkranken Sozialdemokraten in Opposition. Er hat die schönste Schwulenstimme, die man sich vorstellen kann, noch besser als in seiner Telefonsexsendung, und es ist so phantastisch, weil mir ständig Leute begegnen, die als Hofnarren in der Öffentlichkeit arbeiten wie zum Beispiel Didi Hallervorden, neulich in Harrys New York Bar, der in Pantoffeln sich selbst ununterbrochen debile Witze erzählte und dabei seiner Begleiterin, einem mordsblonden Berliner Teenager, der alle halbe Stunde was erwiderte, ab und an übers Knie strich oder Ilja Richter vor dem Hansa-Theater... Also: Sie, die Schauspieler, sind genauso wie im Fernsehen.
Und genauso wie im Film - der Rocky Horror Picture Show - wollen seit zwölf Jahren auch dessen Zuschauer sein, das heißt so crazy, sexy und ausgeflippt, und machen deshalb alles nach, was sie vorher schon wissen, was passieren wird
-zum Beispiel mit Reis werfen oder mit Wasser spritzen oder Wunderkerzen anzünden. Aber das ist alles schon ein paar Jahre her und war damals schon konformer Niedergang blöder Hippies, Studentenulk sagt man in Burschenschaften dazu. Und mit Reis werfen oder Feuerzeuge anzünden darf man im Theater nicht, „sonst müssen wir die Vorstellung unterbrechen“, sonst geht nämlich die teure Lasershowtechnik kaputt.
Nehmen ließen es sich die paar Leute in den ersten Reihen trotzdem nicht, und interessant daran ist, daß Reis und Wasser von den ersten Reihen nach hinten flogen, von den Plätzen also, die zwischen 48 und 56 Mark kosten; die Fans sind gelderwerbsmäßig also vermutlich angekommen und repräsentieren, hört man die Gespräche, sieht man in die Gesichter, Berliner Führungsschicht: „Darf ich Ihnen Herrn Turner vorstellen?“
Die Story: Brad und Janet, frisch verlobt, werden auf ein Schloß verschlagen, auf dem Außerirdische unter dem Kommando von Frank'n Furter Strapspartys feiern. Frank baut sich währenddessen einen Menschen zum Liebhaben und muß dazu einen anderen, den lieben Rocker Eddie, totmachen. Am Ende nehmen vermeintliche Diener, Riff Raff und Magenta, das Kommando in die Hand, töten Frank und seinen Kunstmenschen und verschwinden auf Nimmerwiedersehen.
Die Rocky Horror Show, wie sie zuerst hieß - denn zuerst gab's das Stück (1973) -, beruht ausnahmslos auf dem Prinzip der Mimesis: Strapse als Uniform der Außerirdischen nehmen dem Sex seinen Schrecken und machen ihn austauschbar. Man zieht sich so an, wie man denkt, daß Sex aussieht. Auf dem lustigen Sexmarkt („outta time and outta space“) sind Brad und Janet, das triebsublimierte Paar in dem Moment, in dem sie Ort und Kleidung gewechselt haben. Frank'n Furter (Jonathan Kiley), einer, dem wir den sexsprühenden Transvestiten abnehmen sollen, weil er so lange Beine hat, die darüber hinaus noch mit 1,2 Millionen Dollar versichert sind - das Programm will uns weismachen, das seien die teuersten Beine der Welt, als ob es Madonna nicht gäbe -, Frank'n Furter muß sterben am Ende, weil er vergessen hat, sich umzuziehen. Denn am Ende sind Strapse nicht mehr angesagt, und Riff Raff und Magenta übernehmen in Weltraumuniformen das Kommando und zeigen uns, daß die anderen Leute also nicht nur mit Geschlechtsverkehr beschäftigt sind (eine These, die Michael Rutschky begeistert verficht), sondern auch mit Macht und Mord und so. Das mimetische Prinzip wird vervielfältigt - am Ende der Vorstellung kommt ein Medley der Songs, danach werden die Zuschauer aufgefordert, den Time Warp mitzutanzen.
Schon vor der Show sind diese ZuschauerInnen so unwahrscheinlich merkwürdig, in ihrer Peinlichkeit fast erhaben angezogen mit Sternchenverzierungen, Reis in der Greisenhand, zerfetzten Jeans unter dem Blähbauch. Und dann gab's noch eine Premierenfeier - „don't dream it, be it“ -, und eine kaffeebraune Schönheit pappte einem leuchtende Sternchen an die Wange, und es gab edelsten Sekt und, gekauft oder nicht, tanzten andere noch einmal zur Plattenaufnahme, und es ging mit Roastbeefhäppchen, Sekt und eisgekühltem Bommerlunder augenscheinlich darum, das ausgewählte Publikum dahin zu bringen, danach noch mal wild rumzuficken und dann eine enthusiastische Kritik zu schreiben. Nix da!
Jonathan Kiley (Frank'n Furter) singt zwar klasse, aber lange dünne Beine sind nun mal kein Maß erotischer Ausstrahlung, und die Sauberkeit, die mehr oder minder alle Protagonisten - gerade die Männer - ausstrahlen, ist mehr oder minder enterotisierend. Das mag Marc Seymour (Dr. Scott Eddie - nur wo Eddie darauf steht, ist Eddie drin, „I'm Eddie!„) noch so überzeugend haraldmäßig gestikulieren, mögen Samantha Carr (Columbia) und Allison Pollard (Magenta) noch so hysterisch quietschend die Beine spreizen, Adam Caine (Rocky, der Kunstmensch) kann so hünenhaft dumpf sein, wie er will, kein Funke springt und nix pasiert. Und die „spectacular laser show“ - was das wohl wieder kosten mag - kann vielleicht uterussüchtige Technikfreunde zufriedenstellen, den Bühnenraum, der nie ausgenutzt wurde, ersetzt sie nicht.
Zwei Witze gab's noch: Zeitgemäß streift Brad, nachdem er versehentlich mit Frank'n Furter gefickt hatte, ein Kondom ab, und bei der Premierenparty gewann gerade der unsäglich schlechteste Tänzer, ein Jungyuppie namens Helmut, eine Reise nach New York...
Detlef Kuhlbrodt
„Die heißeste, verrückteste, ausgeflippteste Musical Show“ läuft bis 9.Juli täglich um 20.30 Uhr in der Freien Volksbühne.
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