: „Wir wollen ein Mitspracherecht in der Umweltpolitik“
Matthias Voigt, Vertreter des Grünen Netzwerks Arche in der evangelischen Kirche der DDR zum Reichelt-Besuch in der Bundesrepublik / „Ein erster kleiner Schritt“ ■ I N T E R V I E W
taz: DDR-Umweltminister Reichelt wird bei seinem Besuch in der Bundesrepublik sechs deutsch-deutsche Umweltprojekte mit einem Gesamtvolumen von 200 Millionen Mark vereinbaren. Haltet ihr dieses Paket angesichts der Umweltprobleme in der DDR für angemessen?
Matthias Voigt: Wir finden es überhaupt erst mal positiv, daß diese Begegnung zustande kommt, nachdem ein Treffen im März abgesagt wurde. Allerdings ist der Umfang der vereinbarten Projekte bestenfalls ein erster Schritt. Allein die Elbsanierung würde ja schon 15 bis 20 Milliarden verschlingen. Was für uns als engagierte Ökologen sehr schade ist, ist, daß wir, wie auch die gesamte Bevölkerung der DDR, über dieses Treffen und die in Aussicht gestellten Projekte durch unsere eigenen Medien überhaupt noch nicht informiert wurden. Wir werden weder darüber informiert noch haben wir ein Mitspracherecht bei solchen Projekten. Das wünschen wir uns in Zukunft.
Wie sähe denn euer Verhandlungspaket aus?
Wir würden uns auf diejenigen Probleme konzentrieren, die beide Staaten unmittelbar betreffen. Wir würden in erster Linie auf die Sanierung der Deponien für Westmüll, Vorketzin, Deetz, Schöneiche drängen. Denn der deutsch -deutsche Mülltransfer hat steigende Tendenz. Außerdem stünde ganz oben in unserem Katalog die Erneuerung der völlig unzureichenden Kläranlagen in den Chemiekombinaten Bitterfeld und Wolfen. Ein Teil der Abwässer fließt in die Elbe und damit in die Nordsee. Davon ist die Bundesrepublik direkt betroffen. Es läge ja auch in ihrem Interesse, da verstärkte technologische und finanzielle Hilfe anzubieten. Auch bei der Rauchgasreinigung - etwa für die Kraftwerke Boxberg oder Schwarze Pumpe darf es nicht bei kleinen Pilotprojekten bleiben.
Du argumentierst mit dem Interesse der Bundesrepublik. Siehst du sie auch in der Pflicht?
Dort, wo Umweltprobleme durch den Westen erzeugt werden, sehe ich sie in der Pflicht - das heißt eine funktionstüchtige Entschwefelung von Buschhaus genauso wie die Sanierung der Deponien.
Warum glaubt ihr, daß diese Punkte im offiziellen Dialog bisher ausgeklammert wurden oder effektive Problemlösungen in weiter Ferne liegen?
Erstens würden die einen Finanzrahmen etwa von 200 Millionen einfach spengen. Zum anderen wird die Bevölkerung weiterhin über Gefahren im unklaren gehalten, so daß die Regierung diese Probleme noch immer ausklammern kann. Außerdem sind natürlich beide Seiten daran interessiert, daß der Mülltourismus von West nach Ost ruhig weitergeht. Allerdings kann ich mir kaum vorstellen, daß die DDR auf längere Sicht ohne die Forderung nach Sanierung der vom Westen genutzten Deponien auskommt. Das wäre einfach selbstzerstörerisch. Für die DDR geht es natürlich um die Devisen, die im Gegenzug zum Müll ins Land kommen. Anders ist einfach nicht zu erklären, warum sich die DDR zum Klo für Westdeutschland machen läßt.
Ihr habt in der Vergangenheit immer wieder versucht, euch mit offenen Briefen an westliche Politiker in den deutsch -deutschen Umweltdialog einzuklinken - mit mäßigem Erfolg. Wie sieht eure Perspektive für eine zukünftige Umweltkooperation aus?
Wir fordern, daß das nicht auf solche Spitzenzusammenkünfte beschränkt bleibt, sondern daß die ökologische Basis genauso an Problemlösungen beteiligt wird. Wir wollen ungehindert Erfahrungsaustausch mit westdeutschen Gruppen führen, ohne Reiseverbote für uns und Einreiseverbote für westdeutsche Umweltschützer. Wir versuchen verstärkt unsere Informationen über die Medien, die uns offenstehen in die Bevölkerung zu bringen. Wir streben Umweltpartnerschaften zwischen Gruppen in der Bundesrepublik und der DDR an. Auch von der Regierungsbeteiligung der AL in West-Berlin erhoffen wir uns einen engeren Dialog und die Durchsetzung konkreter Projekte, etwa ein grenzübergreifendes Smogwarnsystem.
Tretet ihr denn der AL jetzt mehr auf die Füße, seitdem sie in der Regierung sitzt?
Wir glauben schon, daß die AL jetzt mehr Möglichkeiten hat. Auf unsere Forderungen nach Sanierung von Schöneiche haben wir allerdings noch keine positive Antwort bekommen. Unsere Gesprächspartner engagieren sich zwar, verweisen aber gleichzeitig darauf, daß vieles aufgrund der Mehrheitsverhältnisse nicht durchsetzbar sei. Wir hoffen, daß das nicht nur ein Vorwand ist. Frau Schreyer, die ja für die AL im Senat sitzt, hat unsere erste Einladung nicht angenommen. Wir hoffen, daß es nicht bei dieser Ablehnung bleibt.
Nach Westen hofft ihr also auf Intensivierung des Dialogs und konkretere Formen der Zusammenarbeit. Habt ihr denn auch Hoffnung, daß sich euer Einfluß in der DDR verändert?
Es deutet sich an, daß unser Protest auch von der Regierung ernster genommen wird. Wir hatten auch ein erstes Gespräch mit einem Vertreter des Umweltministeriums. Außerdem gibt es Kontakte zum Kulturbund. Das könnte bedeuten, daß wir nicht mehr als Staatsfeinde wahrgenommen werden, sondern als Interessensvertreter unserer gemeinsamen Umwelt.
interview: biberkopf
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen