piwik no script img

Rekordgewinne für British Steel

Nach Halbierung der Stahlkapazitäten und Einführung eines Konkurrenzsystems innerhalb der Belegschaft hat sich die Produktivität von British Steel verdreifacht / Jetzt Wasserwerke vor der Privatisierung  ■  Von Ralf Sotscheck

Die Konzentration auf dem britischen Stahlsektor läßt sich nicht mehr steigern: Nach der Verstaatlichung aller Stahlwerke im Jahre 1967 durch die Labour-Regierung gibt es nur noch einen Hersteller: British Steel. Der Zug der Zeit ist allerdings auch an diesem Riesen nicht vorübergegangen, denn Stahlwerksbesitzer gibt es jetzt in Großbritannien so viele wie nie zuvor. Mit der Privatisierung im letzten November haben 500.000 kleine und größere Anleger die Anteilscheine gezeichnet. Sie sind's zufrieden: British Steel, dessen Überleben noch vor vier Jahren am seidenen Faden hing, hat sich zu einem der profitabelsten Stahlproduzenten der Welt entwickelt. Das Unternehmen konnte das Geschäftsjahr 1988/89 mit einem Gewinn von 593 Millionen Pfund abschließen. Das ist eine Steigerung von 42 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, mit der auch kühne Optimisten nicht gerechnet hatten.

Bis 1985 hatte British Steel Verluste von sieben Milliarden Pfund angehäuft. Die Gründe dafür lagen in einer verfehlten Investitionspolitik. British Steel hatte in den siebziger Jahren 2,6 Milliarden Pfund in die Schaffung rückständiger Überkapazitäten investiert, anstatt das Geld in technologischer Modernisierung anzulegen. Als Folge davon mußten noch vor zehn Jahren 14,5 Mannstunden pro Tonne Flüssigstahl veranschlagt werden, während die kontinentaleuropäische Konkurrenz schon bei unter zehn angekommen war - und bereits begann, sich auf die profitablere Veredelung und Oberflächenbehandlung von Stahl zu konzentrieren. 1979 beauftragte die britische Regierung den US-amerikanischen Manager Ian MacGregor, British Steel zu sanieren.

Um das Ziel zu erreichen, den Stahlproduzenten von staatlichen Subventionen unabhängig zu machen, mußte MacGregor keine Rücksicht auf regionale Interessen oder die Erhaltung von Arbeitsplätzen nehmen. Zunächst sorgte er dafür, daß die Kapazitäten von 21 auf zwölf Millionen Tonnen abgebaut wurden. Von den 28 Anlagen zur Stahlerzeugung im Jahr 1967 sind heute nur noch fünf übrig. 134.000 Arbeiter verloren ihre Jobs, so daß der Anteil der Löhne an den Gesamtkosten von 31 auf 23 Prozent reduziert wurde. Zudem führte MacGregor ein Lohnsystem ein, das die Konkurrenz zwischen den Belegschaften der fünf Stahlanlagen anheizte. Die Tariferhöhungen deckten nämlich gerade den Inflationsausgleich ab, während sich ein Reallohnzuwachs nur durch Leistungsprämien erreichen ließ. Dadurch war dafür gesorgt, daß die Belegschaften um den Titel der „produktivsten Anlage“ wetteiferten. Die Mannstunden zur Herstellung einer Tonne Flüssigstahl konnten daher auf fünf gesenkt werden.

Während ihn die entlassenen Stahlarbeiter mit dem Spitznamen „Mackie Messer - der Jobschlächter“ bedachten, wurde MacGregor von der englischen Königin für seine „Erfolge“ geadelt. Schließlich hatte er das Unternehmen für die Privatisierung auf Vordermann gebracht - die 2,5 Milliarden Pfund in die Staatskasse spülte.

British Steel gilt als Testfall für die in naher Zukunft geplante Überführung der Wasser- und Elektrizitätswerke in Privatbesitz. Die Profite des Stahlproduzenten scheinen vorerst gesichert. Das Unternehmen hat auf die Marktlage reagiert und produziert nicht mehr länger lediglich Rohstahl, sondern farb- und kunststoffbeschichteten Bandstahl, der in der Auto- und Bauindustrie, bei der Herstellung von Haushaltsgeräten und im Maschinenbau Verwendung findet. Die Nachfrage nach britischem Stahl liegt zehn Prozent über dem europäischen Durchschnitt. So glaubt Sir Robert Scholey, der Vorsitzende von British Steel, daß sich seinem Unternehmen Chancen eröffnen, die einmalig in Europa sind. Ewan Fraser, ein Analytiker der Stahlindustrie, gibt ihm Recht: „Zwar gibt es in ganz Europa Überkapazitäten, vor allem bei der Produktion nahtloser Rohre, aber es gibt überall auch Bereiche, zum Beispiel bei beschichtetem Stahl, wo bis zur Kapazitätsgrenze gearbeitet wird und wo neue Kapazitäten geschaffen werden müssen, um die unglaubliche Nachfrage befriedigen zu können.“

Darüber hinaus hat sich der Stahlindustrie ein neuer Absatzmarkt eröffnet: In den Docklands östlich der Londoner Innenstadt wird zur Zeit eine Bürostadt für 50.000 Menschen hochgezogen. Das Gerüst und die Außenverkleidung der Büropaläste bestehen aus Stahl, und auch im Innenausbau haben die High-Tech-Architekten Stahlkonstruktionen eingesetzt.

Während sich die Unternehmensleitung und die Aktionäre über wachsende Profite freuen, müssen die noch verbliebenen 52.000 Stahlarbeiter weiterhin um ihre Jobs bangen. Bereits im letzten Jahr tönte das Management von British Steel, daß das schottische Stahl- und Walzwerk Ravenscraig überflüssig sei. Der Standortnachteil und der fehlende Hafenanschluß schienen das Schicksal des Werks besiegelt zu haben. Doch seit Anfang des Jahres ist Ravenscraig voll ausgelastet, so daß dem Stahlwerk eine Gnadenfrist von mindestens acht Monaten eingeräumt wurde. Sir Robert Scholey dämpft jedoch längerfristige Hoffnungen: „Es kommt auf die ökonomische Lage und die Entwicklung der Inflation in Großbritannien an. Kursschwankungen können schnell zu Nachteilen in der internationalen Wettbewerbsfähigkeit führen. Die Frage der Wirtschaftlichkeit steht auch bei Ravenscraig nach wie vor im Vordergrund.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen