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Historiker opfern am Altar der Revolution

Historikerkongreß an der Sorbonne zum 200.Jahrestag der Französischen Revolution / Mitterand ist auf dem radikalen Flügel der Zunft zu finden / Das französische Revolutionsmodell wurde zum Exportschlager, die Wirkung seiner angelsächsischen Vorläufer blieb begrenzt  ■  Aus Paris Georg Blume

„Wenn über die Revolution noch gestritten wird, dann bedeutet das, daß einige sie immer noch fürchten.“ Der spricht ist Fran?ois Mitterrand. Mit einer feinen, offensichtlich harmlosen Lippenbewegung fügt er hinzu: „Für mich ist das eher ein Anlaß zur Freude.“ Das hört das Publikum gerne. Zumal, wenn es sich aus 400 aus der ganzen Welt angereisten Historikern zusammensetzt, die alle in die ehrwürdige Sorbonne-Universität nach Paris gekommen sind, um einmal - wenn auch nur 15 Minuten lang - am berühmtesten Altar der Revolutionslehre zu stehen und kurz die eigenen Gedanken vorzutragen.

Nicht ohne Prunk und Pauken begrüßte der französische Staatspräsident die auserwählten Revolutionsgeistigen am vergangenen Donnerstag im großen Amphitheater der Sorbonne, wo der „Weltkongreß über das Bild der Französischen Revolution“ heute, nach siebentägigen Diskussionen seinen Abschluß findet. So erreichte das Revolutionsjubiläum seinen intellektuellen Höhepunkt, noch bevor Staatsgrößen aus aller Welt ihr Bestes zum Thema geben. Da von dieser Seite das Schlimmste in dieser Woche noch zu erwarten ist, lohnte es sich allemal, im voraus den Historikern Gehör zu schenken.

Die Revolutionsforschung befände sich auf dem besten Wege der „Internationalisierung“, meint Michel Vovelle, der Leiter des Instituts für die Geschichte der Französischen Revolution an der Sorbonne, auf den Idee und Verwirklichung des Weltkongresses zurückgehen. Er selbst besuchte über 40 Länder im Vorfeld des Kongresses, um klarzumachen, daß die Revolution von 1789 keine „rein französische Angelegenheit mehr ist und heute nationale Grenzen durchbricht, die noch beim hundertjährigen Jubiläum dominierten“. Vovelle spielt damit auf den kolonialen Anspruch des republikanischen Gedankens vor hundert Jahren an, der wohl auch heute noch bewirkt, daß Teilnehmer aus arabischen und afrikanischen Staaten in Paris nicht anzutreffen waren.

Um so lieber verweist Vovelle auf das chinesische Beispiel. Erst kürzlich hatte er mit chinesischen Kollegen in Schanghai den Einfluß der erst ins Deutsche, dann ins Japanische und von dort schließlich ins Chinesische übersetzten französischen Revolutionsschriften auf die frühe Revolutionsbewegung um Sun Yat Sen festgestellt. Zwar ist den chinesischen Historikern der Weg nach Paris nun verbaut, doch weiß auch Volvelle, daß die chinesischen Studenten in Kanton unlängst mit den Bildnissen Sun Yat Sens demonstrierten.

Der irische Revolutionsforscher Hugh Gough vom Dubliner Univerity-College zog seine ganz persönliche Bilanz des Kongresses: „Nie zuvor ist mir so klar geworden, daß in Ländern angelsächsischer Kultur oder angelsächsischer Dominanz der Einfluß der Französischen Revolution relativ gering ist. In diesen Ländern gab es bereits eine öffentliche politische Kultur. Für andere Länder aber zählt die Französische Revolution als Ausgangspunkt. Sie wirkte dabei mühelos über die unterschiedlichsten Grenzen hinweg, im Gegensatz zum englischen Modell.“ Hugh Gough ist einer von vielen, die in Paris aus Sicht des eigenen Landes neue, belebende Aspekte der Revolutionsforschung vortrugen. Wohl niemals zuvor wurde eine solch breite Palette revolutionärer Wahrnehmung von Robespierre, Danton und Co. zusammengestellt.

Im Zeitalter der historischen Überprüfung vormals als feststehend betrachteter Revolutionsmechanismen glänzten freilich deutsche Historiker in starrer Unbeweglichkeit. „Die Professoren aus der DDR beteuern immer noch die Schwäche des deutschen Bürgertums. Und die Westdeutschen suchen weiterhin nach der politischen Revolution im eigenen Land“, kommentierte ein Spezialist der Sache, der französische Germanist Lu?ien Calvie den ewig-deutschen Revolutionsstreit. In einer kleinen, am Rande des Kongresses neu erschienenen Arbeit über die Französische Revolution und die deutschen Intellektuellen fertigte Calvie zudem eine wunderschöne wissenschaftliche Fabel an. Calvie vergleicht die deutschen Intellektuellen bis Marx mit dem Fuchs, der die reifen Trauben sieht (hier: die Frz. Revolution), sie aber nicht erreichen kann, sich deshalb abdreht und sie für unreif befindet. Auf diesem Umweg, so Calvie, mußte Marx auf den Gedanken der sozialistischen Revolution kommen (Lucien Calvie, Der Fuchs und die Trauben, Paris, E.D.I. 1989 ISBN: 2-85139-094-5).

Einen großen Abwesenden gab es indes auf dem Weltkongress ebenfalls: Fran?ois Furet, den manche schon den „König der Revolution“ nannten, weil sich seine historischen Bücher in diesem Jahr so gut verkaufen. Mit seiner These, daß die Revolution beendet sei, gilt Furet als großer Gegner Vovelles im französischen Historikerstreit. Der im Gegensatz zu seinem Gegner nur wenig medienwirksame Vovelle fand jetzt Trost. Freuen konnte er sich vor allem über Fran?ois Mitterrand. Der gab erstmals wieder zu erkennen, daß er noch an die alte republikanische These Clemen?eaus glaubt. Daß nämlich die Revolution nur im ganzen, von 1789 bis 1794 zu betrachten sei - Saint-Just und Robespierre mit eingeschlossen.

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