Jaruzelski tritt doch an

■ Am Mittwoch soll Polens Präsident gewählt werden / Wird ein Solidarnosc-Vertreter Regierungschef?

Berlin (dpa/taz) - Der polnische Parteichef Woijech Jaruszelski wird nun doch für das Amt des Staatspräsidenten kandidieren. Dies verlautete aus Kreisen von Solidarnosc in Warschau. Senatspräsident Stelmachowski sagte am Montag, Jaruzelski habe ihm schon letzten Donnerstag erklärt, wegen der eindeutigen Unterstützung von Partei und Armee sowie unter Berücksichtigung außenpolitischer Aspekte den Verzicht auf die Kandidatur rückgängig zu machen. Die Nationalversammlung wird am Mittwoch zur Wahl zusammentreten.

Gestern nachmittag stellte sich Jaruzelski unter Ausschluß der Presse Fragen von Abgeordneten und Senatoren von Solidarnosc, die von Jaruzelski seine Einschätzung des Sinns, Verlaufs und der Ergebnisse des Kriegsrechts „unter Einbeziehung der ethischen Aspekte“ wissen wollten. Außerdem verlangte Solidarnosc von Jaruzelski eine Bewertung des traditionellen stalinistischen Systems der Verwaltung der Wirtschaft und des Staates und einen Zeitplan für die Einführung der Demokratie. Damit sind genaue Vorstellungen über freie Wahlen zum Parlament und die Direktwahl des Staatspräsidenten gemeint.

Die Abgeordneten und Senatoren von Solidarnosc beschlossen weiter, daß die Abstimmung in der Nationalversammlung bei der Wahl des Präsidenten offen und namentlich geschehen soll und daß die Vertreter der Fraktionen das Recht erhalten, zu Beginn Erklärungen abzugeben und dem Kandidaten Fragen zu stellen. Als möglicher Ministerpräsident ist der für Wirtschaftsfragen zuständige ZK-Sekretär Wladyslaw Baka im Gespräch.

Am Freitag letzter Woche hatte Lech Walesa mit einer Erklärung, „er werde mit jedem gewählten Präsidenten zusammenarbeiten“, einen deutlichen Wink für eine Kandidatur Jaruzelskis gegeben. Der gilt vor allem im Ausland nach wie vor als bester Garant nationaler Stabilität auf Polens Reformweg. Dem Vernehmen nach haben US-Präsident Bush und andere westliche Spitzenpolitiker Walesa gedrängt, sich für Jaruzelski zu erklären.

In politischen Kreisen Warschaus wird immer noch darüber spekuliert, ob Jaruzelski möglicherweise einen Solidarnosc -Vertreter zum Regierungschef vorschlägt. Eine derartige Kombination hatte erstmals am 4.Juli der Solidarnosc-Berater und Herausgeber der Wahlkampfzeitung, Adam Michnik, ins Gespräch gebracht. Walesa und andere prominente Solidarnosc -Mitglieder spielten den Vorschlag herunter: damit werde nur „die Regierung auf Kosten von Solidarnosc glaubwürdiger“. Andererseits ist Solidarnosc auch klar, daß die einschneidenden wirtschaftlichen Maßnahmen, die zur Rettung der Reformpolitik notwendig sein werden, ohne eine vertrauenswürdige Regierung bei der Bevölkerung nicht durchzusetzen sind.

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