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Das Krähen des Ur-Hahns

■ Lina Wertmüllers „Mimi“ kommt nach 18 Jahren in die Kinos

Mimi, Metallarbeiter, in seiner Ehre gekränkt. Solche Filmtitel in Bandwurmlänge sind genauso zum Markenzeichen der Lina Wertmüller geworden wie ihre weiße Brille. Was die Kompliziertheit ihrer Filmtitel betrifft, gab es nur eine Ausnahme: ihren ersten Film Die Basilisken von 1963, aber das war auch kein richtiger Wertmüller-Film, sondern ein eher müder Neorealismus-Nachklapp, den prompt niemand sehen wollte. Dieser Mißerfolg erklärt auch die lange Zeitspanne, bis sie ihr nächstes Projekt verwirklichen konnte. Und 1972 war nichts mehr wie früher: Italien hatte sich endgültig von einer Agrar- zu einer Industriegesellschaft gewandelt, allerdings waren die Hoffnungen auf einen revolutionären Umsturz zum Kommunismus der dritten Art im Bombenterror der Neofaschisten untergegangen. Ein Teil der Linken radikalisierte sich im bewaffneten Kampf, die braven Kommunisten warteten auf den Machtwechsel mittels demokratischer Wahlen, und viele zogen sich ins Privatleben und in den Wohlstand zurück.

1972 leckte jeder seine Wunden, und da kam Lina Wertmüller mit der großen Kanne, um ordentlich Öl nachzugießen: Mimi

-in seiner Ehre gekränkt begründete das unverwechselbare Genre der Wertmüller, das vor keinem Stil und keinem Stilbruch zurückschreckte: Mit ihrem Prototyp Mimi traf sie eine Marktlücke auf einen Nerv, wie sich Politisches mit Persönlichem verbinden ließ: Man nehme die „commedia all'italiana“, dazu eine Menge Klischees - von rechts bis links, von vatikanisch bis libertinär -, und garantiert fühlt jeder sich auf die Füße getreten.

Mimi, jung verheiratet, macht in seinem sizilianischen Dorf auf rebellisch und wählt die Kommunisten, was der Mafia nicht verborgen bleibt. Mimi muß allein nach Turin fliehen, wo er es zum angesehenen Metallarbeiter sowie Gewerkschafts und Parteimitglied bringt. Fehlt nur noch die ewig strickende Trotzkistin Fiore als Geliebte - und fertig ist das revolutionär geläuterte Subjekt, das bis vor kurzem noch der Bauerndepp aus dem tiefen Süden war. Man ahnt schon, daß es damit nicht weit her sein kann: Als die Mafia ihn in seine Heimat zurückbeordert, wird aus dem Bilderbuchrevolutionär erst der Pascha, dann der blindwütige Macho, der die ramponierte Familienehre wieder herstellen muß, weil sich seine Frau von einem anderen hat schwängern lassen. Ebenso rapide wandelt sich sein politisches Bewußtsein: Wie ein Padrone kommandiert er seine Untergebenen, am Ende kollaboriert er mit den Neofaschisten: Zurück bleibt Mimi, ein feiges, armseliges Würstchen.

Giancarlo Giannini ist der ideale Schauspieler für diesen Typ des unterdrückten, armen Süditalieners, der politische Veränderungen nur herbeiredet und soziale Benachteiligungen durch familiäre Tyrannei ausgleicht. Giannini spielt alle Facetten dieses Machos so komisch, daß er fast an Charlie Chaplin erinnert. Und das gleiche Glück hatte Lina Wertmüller mit Mariangela Melato, die die Emanzipierte spielt und doch eigentlich nur auf den richtigen Mann wartet.

Wie immer ist Wertmüller nicht zimperlich: Kein Fettnäpfchen und keine Geschmacklosigkeit, keine Vulgarität und keine Plattheit läßt sie aus, um ihre Lebensphilosophie rüberzubringen: Schlicht denken, mit dem Schlimmsten rechnen: Sozialkritik als Comic und Operette in einem.

Lange ist's her: Mittlerweile ist Lina Wertmüller dicke Freundin von Bettino Craxi, und in ihren Filmen haut sie immer noch schwer daneben, bloß trifft sie nichts mehr, und ihre Gags von heute haben mit ihrem anarchistischen Witz von damals noch so viel zu tun wie Craxis Politik mit dem Sozialismus.

Lutz Ehrlich

Lina Wertmüller: Mimi - in seiner Ehre gekränkt. Mit Giancarlo Giannini, Mariangela Melato, Elena Fiore, Turi Ferro. Italien 1972, 112 Min.

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