: SOUVENIRS
■ Feuersteine und Gipsfüße im Kutscherhaus
Lange Tage am Strand, stundenlang Muscheln sammeln, kleine Steine, rundgeschliffene farbige Glasstückchen, getrocknete Seesterne: in Zigarrenkisten, mit ein wenig Watte ausgelegt wurden die Schätze in die Pension geschleppt. Später, zuhause, nahmen die Souvenirs dann zunehmend das Aussehen von Schutt und Gerümpel an, um schließlich bei krampfartigen Aufräumaktionen ein trauriges Ende im Müll zu finden.
Verena von Hugo hat die Kunst ausgebildet, etwas von diesem kindlichen Vergnügen in ihr Erwachsenenleben hinüberzuretten und aus dem infantilen Sammeltrieb eine ästhetische Praxis zu gewinnen. In ihrer Installation „Weg nach Siwa“ gelten die unbearbeiteten Feuersteine, die sie auf der Reise zu einer Oase in der lybischen Wüste auflas als Zeugnis einer anderen Lebensform. Die Steine erinnern an Kessel über offenen Feuerstellen, an umherziehende Nomaden; sie scheinen dabei weniger als eine bunte Postkartenansicht der folkloristischen Verklärung zu dienen. Die mit rötlichem Staub gefärbte Wand im Kutscherhaus, auf der Verena von Hugo ihre Steine in einer doppelt geschwungenen Reihe angebracht hat, gleicht einer Landkarte. Der Weg aus Steinen liegt in der rötlichen Wüste wie das Skelett einer Riesenechse.
Erinnerungen an eine Reise anderer Art ruft Angelika Margull wach. Sie hat eines der großen, alten Stalltore im Hof des Kutscherhauses mit Spiegelglas verkleidet, in dem man den Himmel über dem Hof sieht. Doch in zwei Feldern der Tür glaubt man plötzlich Bilder zu erkennen, ähnlich den Reliefs auf einer Kirchentür: schon stehen ehemaligen Kunstgeschichtsstudenten und sonstigen Bildungsreisenden die Bronzereliefs von Ghiberti am Baptisterium in Florenz vor Augen. Ein Spuk, Einbildung, Gaukelei der Italiensehnsucht? Die Abbildungen sind so verwinkelt hinter den verglasten Türen angebracht, daß sie immer nur aus einer bestimmten Perspektive sichtbar werden, und der Eindruck flüchtig bleibt.
Die Zeiten sind vorbei, da die reisenden Künstler in ihren Skizzenbüchern ein Repertoire fremder Sinneseindrücke mitbrachten, von dem sie lange zehren konnten, um ihr nichtreisendes Publikum zu beeindrucken. Der Tourismus nahm ihnen ihr Privileg vom Fremden zu erzählen. Im Souvenir versucht jeder sich ein Fetzchen der anderen Sinneseindrücke mit in den heimischen Alltag zu nehmen. Unter den Reiseandenken hat sich eine heimliche Rangordnung eingeschlichen: der bewußte Reisende wählt Kunstpostkarten statt illuminierter Stadtansichten, kauft Olivenöl statt Kitsch und weiß überhaupt die Andenkenläden durch Geheimtips zu umgehen. Es gibt in diesem Geschäft die Suche nach dem Echten und Authentischen und die Angst, dem Klischee aufzusitzen: dem entspricht in der künstlerischen Praxis der behutsame Umgang mit den Fundstücken, die sparsamen Eingriffe in das Material. Verena von Hugo sucht die Annäherung an die fremde Landschaft über Einfachheit und sparsame Gesten des Verweisens. Sie versucht die Wahrnehmungsfähigkeit vom Schutt vorprojezierter Bilder zu reinigen, den Blick zu öffnen. Angelika Margull dagegen geht eher von der Ununterscheidbarkeit des Echten und der Illusion aus. Der Betrachter hat seine Bilder schon im Kopf, die er dann nur noch auf die geeignete Fläche projeziert.
Auch in ihrer zweiten Installation im Hof des Kutscherhauses verwischt Margull die Grenzen zwischen Kunst und Schaubudeneffekten. Diesmal geht der Ausflug in die Unterwelt. Eine Menge linker Füße stapeln sich unter einem Grubengitter. Ist dies das verschimmelte Lager eines Modellierers, der Orthopäden und Fußpflegern ihre Schaufensterdekorationen liefert? Ein wenig gruselig und abstrus erscheint diese Ansammlung von Körperteilen, die sich unter allen Gullideckeln und Lüftungsgittern der Stadt fortsetzen könnte, ganz Berlin unterwandernd. Abenteuerurlaub in der Kanalisation.
Von den beiden Künstlerinnen auf den Reisetrip gebracht, wurde ich vor den Bildern von Helmut Metzner und Wolfgang Rüppel, die ebenfalls im Kutscherhaus ausstellen, zu ungeduldig. Rüppels eliptische Körper erschienen mir da bloß als unidentified flying objects, während Metzner aus den Farbmassen Mauern baut.
Katrin Bettina Müller
Verena von Hugo, Angelika Margull, Helmut Metzner und Wolfgang Rüppel zeigen ihre neuesten Arbeiten im Kutscherhaus bis 23.August.
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