: Wachablösung im Blätterwald
Polen-Serie, Teil IX / Neue Zeitungen allerorten / Kaum hat die Betonfraktion der Partei ihr Blatt dichtgemacht, schließen reaktionäre Katholiken die Lücke ■ Aus Warschau Klaus Bachmann
Zeichen der Zeit: Rechtzeitig zum Ende des runden Tisches stellte 'Rzeczywistosc‘ (Wirklichkeit), das Wochenblatt der Parteikreise um die 'Patriotische Vereinigung Grunwald‘, die Produktion ein. In der reformnahen Monatszeitschrift 'Polityka‘ erschien ein wenig schmeichelhafter Nachruf auf das Blatt der extremen Reformgegner: Antisemitismus, Minderheitenfeindlichkeit, Intoleranz gehörten zur Charakteristik des Blattes. Die Parteizeitung 'Trybuna Ludu‘ sprach dem Blatt das Recht ab, sich „links zu nennen“. Zum Schluß hatte kaum noch jemand unter eigenem Namen für das Blatt schreiben wollen, das 1981 von Parteirechtsaußen Stefan Olschowski gegründet worden war.
Die Leser von 'Rzeczywistosc‘ können jetzt zur katholischen Konkurrenz wechseln. Jene Gruppe nationalistischer Katholiken um Primas-Berater Maciej Giertych, der letztes Jahr mit der Eintagsfliege 'Gazeta Warszawska‘ (die taz berichtete) Aufsehen erregt hatte, bringt nun ein entsprechendes Monatsheft heraus: 'Slowo Narodowe‘, das 'Nationale Wort‘. „Das Wort kennen wir bereits“, kommentierte eine liberale katholische Zeitung die Neuerscheinung. „Beim Gedanken an die Taten läuft es einem kalt den Rücken herunter.“ Von Antisemitismus über extremen Nationalismus bis zu Haß auf die demokratische Opposition ist darin alles vertreten. Allerdings besteht die Chance, daß das Heftchen in der allgemeinen Flut der Neuerscheinungen an Polens Kiosken untergeht. Kaum ein Monat vergeht, an dem nicht eine neue Redaktion ihr Blatt vorstellt.
Vor allem sind es Gewerkschafts- und Wirtschaftsblätter, die sich zu Wort melden. Nach dem Wiedererscheinen des 1981 geschlossenen 'Tygodnik Solidarnosc‘, der eher ein Intellektuellenblatt denn eine Gewerkschaftszeitung ist, sind auch in der Provinz im Laufe des Wahlkampfes regionale Solidarnosc-Zeitungen entstanden, in denen viele jener Journalisten Aufnahme gefunden haben, die infolge der Säuberung 1982 ihre Arbeit verloren hatten. Konkurrenz gibt's inzwischen auch für die oppositionelle 'Bankzeitung‘ ('Gazeta Bankowa‘).
'Rondo‘, eine neue Wirtschaftszeitung, wendet sich besonders an die Kreise der Unternehmer und Wirtschaftsberater. 'Zmiany‘ (Veränderungen) dagegen hofft, dem Inhalt nach zu schließen, besonders unter Aktiven der Selbstverwaltungsbewegung auf Leser. Einen ganz besonderen Leserkreis hat sich indessen 'Kontakt‘ erschlossen, das vor allem an der Grenze zur DDR viel verkauft wird: Ganz im Stil eines westlichen Anzeigenblatts gibt es dort Werbung und Kleinanzeigen - von Westberliner Second-Hand-Läden, alle selbstverständlich auf polnisch.
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