: Bundesrichter stoppen Töpfer
Im Clinch um Atomanlagen kann der Bund die Länder nicht mehr so einfach an die Kette legen ■ Von Gerd Rosenkranz
Berlin (taz) - Die Bundesregierung wird es künftig schwer haben, wenn sie im Streit um Atomanlagen störrische Landesregierungen zur Raison bringen will. Das Bundesverwaltungsgericht in Berlin hat jetzt Bundesweisungen über die Errichtung oder Stillegung von atomaren Anlagen an kategorische Auflagen gekoppelt. Mit dem Joker der Bundesweisung will Bonn - wie im Fall des Schnellen Brüters in Kalkar - strittige atomrechtliche Genehmigungsentscheidungen der Länderbehörden korrigieren.
In der höchstrichterlichen „Äußerung“ des 7. Revisionssenats des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. April (AZ: BVerw G 7 ER 505.88) nehmen die Berliner Richter Stellung zum laufenden Verfassungsstreit über den Schnellen Brüter zwischen Bundesreaktorminister Töpfer und der Düsseldorfer SPD-Regierung. Das Bundesverfassungsgericht hatte die Stellungnahme als „Amtshilfe“ angefordert. Kernaussage des der taz vorliegenden sechseitigen Papiers: „An die Bewertung von Risiken und des dagegen erforderlichen Schutzes sind seitens der obersten Bundesbehörde (d.h. des Bundesumweltministeriums, d.Red.) dieselben Maßstäbe anzulegen, die sonst für die Genehmigungsbehörde (der Länder, d.Red.) gelten.“
Auf deutsch: Wenn Bonn mit einer Weisung intervenieren will, muß es einen erheblichen Aufwand leisten, selbst detaillierte Gutachten in Auftrag geben und praktisch eine eigene Genehmigungsprozedur in Gang setzen. Bei der Risikobewertung muß die Bundesregierung nach Auffassung der Berliner Richter auch solche „Schadensmöglichkeiten“ berücksichtigen, bei denen „nur ein Gefahrenverdacht oder ein Besorgnispotential“ bestehe. Auch dürfe sich Bonn „nicht auf die 'herrschende Meinung‘ verlassen“, sondern müsse „alle vertretbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse in Erwägung ziehen“, bevor es ein Land per Weisung zu atomarem Wohlverhalten zwingen könne.
Damit könnte die Düsseldorfer Landesregierung im Dauerstreit um den Schnellen Brüter in Kalkar einen wichtigen Etappensieg errungen haben. Bei der Auseinandersetzung geht es vorrangig um ein Gutachten, mit dem Düsseldorf klären lassen will, ob das Sicherheitskonzept des Brüters auch nach Kenntnis des Unfallablaufs in Tschernobyl noch gültig ist. Töpfer hatte die Vergabe des Gutachtens im Mai 1988 mit einer sogenannten „verfahrensleitenden Weisung“ torpediert und den Verzicht auf die Studie verlangt. Die Rau-Regierung wehrte sich gegen dieses „Prüfverbot“ mit einer Feststellungsklage in Karlsuhe.
Dazu schreibt der 7. Revisionssenat unter dem Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Professor Horst Sendler: Das Gericht könne zwar die Frage inhaltlich nicht entscheiden, „ob zwischen einzelnen Fortsetzung Seite 2
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Komponenten des Reaktortyps von Tschernobyl und von Kalkar in bezug auf Risikofaktoren Ähnlichkeiten bestehen“. Aber dann heißt es unmißverständlich: „Entstehen durch bestimmte Ereignisse wie das der Kernschmelze des Reaktors in Tschernobyl Zweifel daran, ob eine bereits teilweise genehmigte und errichtete Anlage nach dem ihr bisher zugrundeliegenden Konzept sicher betrieben werden kann, so darf eine weitere Teilgenehmigung nicht erteilt werden, bevor nicht die Zweifel ausgeräumt sind.“
Ausgesprochen reserviert äußert sich das Bundesverwaltungsgericht zu einer Stellungnahme der Reaktorsicherheitskommission (RSK), die seinerzeit jede Rückwirkung der Tschernobyl-Katastrophe auf das Sicherheitskonzept des Kalkar-Brüters verneint hatte. Reaktorminister Töpfer hatte sich bei seiner Weisung ausschließlich auf diese Position gestützt. Zwar sei der RSK -Stel
lungnahme eine „gewisse indizielle Bedeutung“ nicht abzusprechen, schreiben die Berliner Richter: „Andererseits ist ein - möglicherweise aufgrund eines Mehrheitsbeschlusses - abgegebenes Votum der Reaktorsicherheitskommission als solches nicht in der Lage, ohne weiteres Zweifel, die aufgrund vertretbarer wissenschaftlicher Erkenntnis bestehen und möglicherweise auch schon geäußert worden sind, auszuräumen.“
Massive Zweifel an der nur 17 Textseiten umfassenden RSK -Stelge (s. taz vom 13.2.89) bestehen nicht nur in der Düsseldorfer Genehmigungsbehörde. Die Bremer Brüter-Experten um den Diplom-Physiker Richard Donderer hatten das RSK -Papier bereits im vergangenen Herbst gewürdigt. Ergebnis: Die Stellungnahme sei in weiten Teilen „falsch und irreführend“, Töpfers Prüfverbot entbehre daher einer seriösen, wissenschaftlichen Grundlage.
Donderers „Forschungs- und Informationsbüro Bremen“ hat in dem Streit eine Schlüsselstellung. Sollte die Tschernobyl -Studie nach einem entsprechenden Beschluß des Bundesverfassungsgerichts doch noch zustande kommen, wären die Bremer Physiker als Gutachter vorgesehen. Die Karlsruher Richter wollen noch in diesem Jahr über die Klage aus Düsseldorf entscheiden.
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