: Wir lagen vor Brunsbüttel...
■ ... und hatten die Pest an Bord / Ein Bericht von der Bergung der Giftfässer der „Oostzee“
Am Samstag hat auf der Unterelbe das Verpacken der 4.000 Giftfässer begonnen. Das in ihnen enthaltene Epichlorhydrin (Hersteller: Dow Chemical) wird für die Produktion von Insektiziden und Lösungsmitteln verwendet. Gestern nachmittag waren erst zehn der vermutlich 20 leckgeschlagenen Fässer in gasdichte Überfässer verpackt worden. Die Bergungsarbeiten kommen, so der Hafenkapitän von Brunsbüttel, „wegen der äußerst gründlichen Sicherheitsvorkehrungen“ nur langsam voran.
„Jetzt kommt der Staatssekretär.“ - „Na, denn kann ja nichts mehr schiefgehen.“ Auf der „Dora av Raa“, dem 102 Jahre alten Gaffelschoner, der Greenpeace als Beobachtungsstation dient, nimmt man es schmunzelnd zur Kenntnis, als per Funk die Ankunft von Uwe Thomas, dem zweiten Mann im schleswig -holsteinischen Wirtschaftsministerium, im Schutzanzug auf der „Oostzee“ gemeldet wird. Von der „Dora av Raa“ aus versucht Greenpeace zu überwachen, was auf dem Giftfrachter an der Neufelder Reede auf der Unterelbe geschieht.
Doch zu sehen ist nicht allzuviel aus 300 bis 400 Metern Entfernung. Durchs Fernglas läßt sich erkennen, wie kleine orangefarbene Männchen den Schiffskran bedienen, mit dem ersteinmal jede Menge Quarzsand entladen werden muß, um Platz zum Umstapeln der Giftfässer zu schaffen.
In regelmäßigen Abständen verschwinden grüne und blaue Männchen mit schwarzen maskenbewehrten Gesichtern im Schiffsbauch, ab und zu holt ein Boot sie ab und bringt eine frische Mannschaft. Und alle sechs Stunden dreht sich die „Oostzee“ samt seitlich vertäutem Ponton, wenn die bis in die Elbe hineinwirkenden Gezeiten wechseln. Unterbrochen wird die Stille dieses unspektakulären Schauspiels nur von dem auf der „Dora av Raa“ abgehörten Funksprechverkehr.
Es ist vor allem das gute Wetter an diesem Sonnabend, das die Aktion so normal aussehen läßt. „Die haben ein unheimliches Schwein“, meint Skipper Matthias, der die Greenpeace-AktivistInnen auf seinem Schiff zu Gast hat.
Seemännischer
Schwachsinn
Auch so aber muß der Giftfrachter noch von einem Schlepper gehalten werden. Unter rein seemännischen Gesichtspunkten sei es natürlich Schwachsinn, ein Schiff nicht im Hafen zu entladen, fügt Matthias hinzu.
Nach rein seemänischen Sesichtspunkten jedoch hätte die gefährliche Ladung auch nicht so gestaut werden dürfen, daß sie beim ersten stärkeren Wind durch die Gegend purzelt. Nun muß das aus sicherer Entfernung so leicht aussehende Entladen rund vier Kilometer elbabwärts vom Brunsbüttler Hafen stattfinden, um die Gefährdung der Bevölkerung möglichst gering zu halten.
Doch nicht die BrunsbüttelerInnen haben darauf gedrungen, daß auf die Entladung in ihrem Hafen verzichtet und statt dessen die zeit- und kostenaufwendigere Methode auf der Neufelder Reede gewählt wurde. Das haben sie den Greenpeace -Leuten mit ihrem Regenbogen-T-shirt (Aufschrift: „You can't sink a Rainbow“) zu verdanken, die seit einer Woche vor Ort sind.
Und so wirkt denn auch die kleine Protestdemonstration, die am Sonnabend vormittag vom Marktplatz zur ersten Schleuse des Nord-Ostsee-Kanals zieht, eher wie eine Dankesprozession. Daß nur knapp 100 Menschen mitmachen, „ist typisch für Brunsbüttel“, meint die Reporterin des Lokalblattes: „Hier herrscht eine unheimliche Gleichgültigkeit.“
Offensichtlich halten es die meisten wie ihr mit soviel Vorschußlorbeeren ins Amt gehievter Umweltminister Berndt Heydemann, der in der vergangenen Woche kundtat, daß „der Standortvorteil an zwei Wasserstraßen“, an Elbe und Nord -Ostsee-Kanal, nun einmal auch mit gewissen Nachteilen verbunden sei.
Explosion in der Schleuse
Nicht nur im äußeren Stadtbild hat die rasche wirtschaftliche Entwicklung der vergangenen 15 Jahre - immer vorangetrieben mit dem Argument der neuen Arbeitsplätze ihre Spuren hinterlassen. Trotz Atomkaftwerk und Bayer -Chemiefabrik sitzt kein Grüner in der Ratsversammlung.
Selbst ein ohrenbetäubender Knall im vergangenen Jahr weckte die BürgerInnen nicht auf. Damals explodierte ein mit Ferro-Silizium beladenes Schiff in der eingangsschleuse zum Kanal. Die kleine Kneipe neben dem Schleusentor hat seitdem ein neues Dach, an der Schleuse selbst wird heute noch gebaut. Und daß bei der Explosion, die das auf dem Schiffsdeck stehende Auto des Kapitäns 20 Meter weit schleuderte, nur ein Toter zu beklagen war, grenzt an ein Wunder. Diese Schleuse hätte auch die „Oostzee“ längst passiert, wäre nicht den Seeleuten schlecht geworden.
Mit solchem Wäre und Hätte aber wollen die Brunsbütteler genausowenig zu tun haben wie die Bergungsarbeiter der Firma „Smit Tak“. Als die am Abend wieder an Land gehen, verbreiten sie eine Alles-easy-Stimmung. Die Elvis-Tolle eines Mittvierzigers sitzt tadellos. War es anstrengend? „Nöö, ein ganz normaler Arbeitstag“, kommt lächelnd die Antwort. Und die Pressesprecherin des Unternehmens ist auch mit dem geleisteten Pensum zufrieden: Gut zwei Drittel des Sandes sei draußen, morgen, am Sonntag, werde man damit fertig sein, und „dann kann mit den Fässern begonnen werden“.
Auch Staatssekretär Thomas, der heute alles begutachtet hat, weiß allerdings nicht, wie lange das dann dauern wird. Er kann höchstens mit dem Wettergott verhandeln, damit nicht stärkerer Wind und Regen die Bergungsaktion stoppen. Guter Hoffnung geht Thomas davon aus, daß sich der Krisenstab am Mittwoch wieder zusammensetzen wird, um das weitere Vorgehen nach der Bergung der etwa 120 demolierten Fäser zu beraten.
Davon, ob sich die Giftkonzentration im Schiff auf den gewünschten Wert von 3 ppm (drei Millionstel Anteil an der Luft) verringert hat, wird es abhängen, ob die „Oostzee“ den Hafen anlaufen kann, oder ob auf der Elbe noch weitergearbeit werden muß.
Kai Fabig
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