Wohngebiete vor Asylbewerbern „geschützt“

Verwaltungsgerichtshof entscheidet: keine Flüchtlinge in „reine “ Wohngebiete / Weil die Unterbringung von Flüchtlingen nicht als Wohnen bezeichnet werden kann, dürfen sie in Wohngebieten auch nicht wohnen / Gericht plädiert für „Nachbarschutz“  ■  Von Wolfgang Gast

Berlin (taz) - Gemeinschaftsunterkünfte für Flüchtlinge in „reinen Wohngebieten“ können juristisch untersagt werden. Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (VGH) hat der Beschwerde von Anwohnern stattgegeben und einer Stuttgarter Baufirma untersagt, in einem geplanten Neubau sechs von zwölf Mietwohnungen als Sammelunterkunft für AsylbewerberInnen auszubauen. In erster Instanz hatte das Verwaltungsgericht Stuttgart das Bauvorhaben am 16. Januar aber gebilligt.

Bei den sechs Mietwohnungen, in den bis zu 49 Flüchtlinge eingepfercht werden sollten, „dürfte es sich um eine Anlage für soziale Zwecke handeln, die zwar in einem allgemeinen nicht aber in einem reinen - Wohngebiet allgemein zulässig ist“, erklärte der Achte Senat des VGH in seiner jetzt veröffentlichten achtseitigen Begründung zu einem Urteil vom 19. Mai.

So formal das Urteil abgefaßt ist, so zynisch beschreibt es die Lebensumstände von Asylsuchenden. Völlig korrekt errechneten die Richter über die geplante Gemeinschaftsunterkunft, daß auf jeden der Asylbeweber nach den Bauplänen insgesamt nur eine Fläche von knapp acht Quadratmetern entfalle. „Angesichts der beschriebenen räumliche Enge wird ein 'Wohnen‘ ... schon objektiv nicht möglich sein.“ Bei der im Neubau vorgesehen Nutzung müsse daher eher von einer „Unterbringung“ als von einem „Wohnen“ die Rede sein. Und weil im genannten Sinn kein Wohnen möglich ist, dürfen in „reinen Wohngebieten“ keine Asylbewerber wohnen, folgert das Gericht.

In der Urteilsbegründung heißt es unter Verweis auf das Asylverfahrensgesetz weiter, „die Verhältnise sind dabei so, daß ein Asylbewerber neben seinem Bett noch einen Stuhl oder ein Schrankteil beanspruchen kann“. Daraus folgert der VGH, daß es sich bei einer Sammelunterkunft auch „nicht um Anlagen, die zum dauernden Wohnen geeignet und bestimmt sind“ handeln könne. Wohnen setze nach der Bauordnung für den einzelnen oder eine Familie „eine auf Dauer gerichtete Haushaltsführung“ voraus. Und weil Flüchtlinge prinzipiell von den Behörden in die Sammellager und Gemeinschaftsbehausungen eingewiesen werden, fehle es darüber hinaus auch „an der für die Begründung eines Wohnverhältnisses kennzeichnenden Freiwilligkeit“.

Die drei Richter haben unter dem Aktenzeichen „8 S 555/89“ auch nicht versäumt darauf hinzuweisen, daß „die Vorschriften über die zulässige Nutzung im reinen Wohngebiet nachbarschützenden Charakter haben“. Gemeinschaftsunterkünfte mit einer hohen Belegungsdichte wiesen dagegen „tatsächliche und rechtliche Eigentümlichkeiten auf, die im Rahmen des Planungsrechts nicht vernachlässigt werden dürfen“. Die „Zusammensetzung aus verschiedenen Nationalitäten, Religionen und Kulturkreisen birgt Konfliktpotential in sich, das durch die extreme räumliche Enge und die teilweise zwangsauferlegten Lebensumstände noch erhöht wird, und sich durchaus in Auseinandersetzungen entladen kann, die nach außen sichtbar und hörbar werden“.

Die bundesweite Arbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge „Pro Asyl“ kommentierte entsetzt den Spruch des Verwaltungsgerichtshofes: „Ein Urteil, das sich selbst und die Asylpolitik richtet.“ Der Mannheimer Urteilspruch mache die weithin praktizierte Unterbringung von Asylbewerber fernab von Wohngebieten hoffähig und leiste damit allen rechtsextremen und fremdenfeindlichen Einstellungen in der Bevölkerung Vorschub. Es mache „sich die prinzipielle Diskriminierung und Deklassierung von Menschen zu eigen“, erklärte ihr Sprecher Herbert Leuninger. Angesichts der unwürdigen Lebensbedingungen von Flüchtlingen, wie sie auch im Urteil beschrieben würden, hätte es nahegelegen, „diese Praxis als unmenschlich anzuprangern, statt sie als rechtens vorauszusetzen“.

Die CDU-Sozialausschüsse (CDA) kündigten für den Fall, daß sich das Mannheimer Urteil zwingend aus dem Baugesetz ableiten lasse, an, umgehend eine Gesetzesnovelle anstreben zu wollen. Die Konsequenz einer durchgängigen Rechtssprechung, wie sie der Mannheimer Verwaltungsgerichtshof vorgezeichnet hat, wäre „eine Gettoisierung von Minderheiten in unserer Gesellschaft. Ein Stück Apartheid, die Menschen in zwei Klassen einteilt: Leistungsfähige und Hilfsbedürftige.“ Der CDA -Hauptgeschäftsführer Heinz-Adolf Hörsken nannte das Mannheimer Urteil kurz und bündig eine „Schande für den Rechtsstaat“.

Der selbe Senat hatte schon Anfang Juli ein Urteil gefällt, das für negative Schlagzeilen und massive Kritik sorgte. Mit einer ähnlichen Argumentation hatten die Richter entschieden, daß Altenpflegeheime in reinen Wohngebieten störend wirken könnten.

In einer Pressemitteilung der Arbeiterwohlfahrt hieß es, die öffentliche Empörung sei „kaum darüber verraucht, daß ältere pflegebedürftige Menschen nichts in Wohngebieten zu suchen haben, da trifft eine ähnliche Gerichtsentscheidung Flüchtlinge und politisch Verfolgte“. Die Bundesrepublik sei in ihrem 40. Jahr „auf dem Wege zu einem reinen Wohngebiet“. Es mache deshalb wenig Sinn, Kläger oder Richter zu schelten. Auf die Anklagebank gehörten diejenigen, die sich an der Not anderer eine goldene Nase verdienen wollten.