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WO DIE LIEBE HINFÄLLT

■ „Außer Atem“ von Jean Luc Godard wiederaufgeführt

Godard - Nouvelle Vague - Belmondo: das paßt zusammen wie ein gleichseitiges Dreieck der Filmtopoi am Ende der fünfziger Jahre. Während in unseren Filmlanden Sonja Ziemann den Silberförster Kurt Prack fand, haben die später weltweit renommierten französischen Jungfüchse der Filmkunst gerade ihre Debüts plaziert. Und wie: Chabrol begeisterte mit „Le beau serge“ (1957) und „Les Cousins“ (1958), Truffaut ließ mit „Sie küßten und sie schlugen ihn“ (1958) und „Schießen Sie auf den Pianisten“ (1959) aufhorchen. Jean-Luc Godard setzte mit seinem Erstling ein Sahnehäubchen drauf: „Au bout de souffle“ oder „Außer Atem“.

Belmondo, der junge Twen, Godards Lieblingsschauspieler der Frühphase bis zu dem Film „Pierrot le fou“, legt in „Außer Atem“ den Grundstock für seine späte Karriere. Bereits der Aufschneider, der 20 Jahre später den „Unverbesserlichen“ zum Lügenbaron stempelt, sprüht er vor schauspielerischem Tatendrang. Belmondo spielt den kleinen Tagedieb und notorischen Gelegenheitsgauner Michel Pocard, der im Paris der Cafes und Kneipen zwischen den Champs Elysees und Montparnasse sich die Zeit vertreibt, Autos klaut und Frauen nachläuft.

Doch die Filmstory beginnt auf einer Landstraße, die in Frankreich wohl alle nach Paris führen müssen. Mit geklautem Auto gerät er in die Verfolgung durch die Flics, der Fluchtwagen streikt, ein Schuß aus der Pistole fällt, ein Polizist ist ermordet. So lakonisch setzt Godard das auch filmisch um, mit einer Reihe von kurzen, sprunghaften Nahaufnahmen. Die ehedem ehernen Schauspielregeln sind bei ihm längst über Bord geworfen: Michel redet direkt in die Kamera und spricht über sich mit dem Zuschauer. Da werden Sätze formuliert, die wie Kommentare klingen. Schnittsprünge verzerren die Chronologie des Handlungsablaufs. Eine beschwingte Handkamera vermittelt den Eindruck allseitiger Präsenz. Das alles erinnert formal an Dokumentarfilme, doch wir befinden uns in einem lupenreinen Spielfilm. Viele Einstellungen scheinen wie zufällig improvisiert und passen doch als Einzelstückchen in die filmische Perlenkette der Erzählung.

Der Held wird also als Polizistenmörder verfolgt, gelangt nach Paris und klaut sich bei Freundinnen ein bißchen Geld zusammen. Und dieser kleine Gauner tagträumt vom Großen: nämlich Bogey. So steht Belmondo alias Pocard vor einem Kino und fixiert im Schaukasten ein Aushangfoto mit Humpty Dumpty Bogart. Den breitkrempigen Hut in den Nacken geschoben, die Fluppe lässig im Mundwinkel, fährt Michel sich mit dem Rücken des Daumennagels prüfend über die Oberlippe. Das wird zum stehenden Ritual wie Bogarts Griff an sein linkes Ohr. Das Original und die gute Kopie.

Ja, und dann trifft er Patricia alias Jean Seberg an den Champs Elysees. Boy meets girl, right in time. Der Handlungsstrang der Polizistenverfolgung hat erst mal Pause. Patty lebt als amerikanische Studentin in Paris und jobbt als Zeitungsverkäuferin der 'Herald Tribune‘. In ihrem Pensionszimmer folgt ein langes Gespräch über lebenswichtige Fragen („Kennst du William Faulkner?“ „Nein, aber warum ziehst du eine Schnute?“) und das existentielle Problem, ob man miteinander schläft. Mit solchen spartanischen Mitteln schafft es Godard, Situationen zu entkrampfen. Was den Film beim Zuschauer so amüsant leichtfüßig werden läßt, basiert auch auf dem bedenkenlosen Zusammenklauen von Versatzstücken und Dialogfetzen aus der Filmgeschichte. Figuren werden zu Klischees, Sätze zu Sentenzen mit musealer Halbwertszeit. Einige versäumte Lektionen aus der versäumten Filmgeschichte.

Ach ja, die Geschichte: Die Polizei ist auf der Spur geblieben. Der Kommissar ähnelt denen aus den Filmen der amerikanischen schwarzen Serie, doch tapst er wesentlich unbeholfener durch den Film. Ein zarter Hinweis auf die filmischen Denkmäler, die die Youngsters der Nouvelle vague beeindruckten. Letztendlich verrät Patricia Michel an die Polizei, weil ihr klargeworden ist, daß sie Michel doch nicht liebt. Wo die Liebe hinfällt, da wächst kein Gras mehr.

Das Filmende gerät zum selbstinszenierten Showdown wie aus einem schlechtgeträumten John-Ford-Western. Von einer Kugel aus der Polizeipistole getroffen, taumelt Michel theatralisch die lange Straße hinunter und bricht dann dramatisch zusammen. Der sterbende Michel grimassiert, Patricia im Angesicht, verständnisvolle Mundstellungen als Ausdruck unausgesprochener Übereinkunft. Da fängt Godard an, sich selbst zu zitieren. Dieser klassische Western-Showdown a la Nouvelle vague wurde seinerzeit später zweimal geklaut: In dem „Außer-Atem„-Remake „Atemlos“ (wie sinnig) und in Amos Poes New Yorker Heimatfilm „The Unmade Beds“.

Jean Seberg mit dem kurzen blonden Haarschnitt schaut ernüchtert in die Kamera und wendet sich abrupt von dem toten Michel ab. Der Film ist zu Ende. Das Gesicht bleibt als Vexierbild noch für Sekunden auf der schwarzen Leinwand stehen.

bel-mosch

„Außer Atem“ von J.-L. Godard ab heute täglich im Studio und im Sputnik als OmU-Fassung.

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