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PFLICHTERFÜLLUNG OHNE LEIDENSCHAFT

■ 40 Jahre bundesrepublikanische Kunst in der Kunsthalle Berlin

Die Bundesregierung regte die Ausstellung an, der Bundesverband Bildender Künstler meldete sich zur Erfüllung der Hausaufgaben: „40 Jahre Kunst in der Bundesrepublik Deutschland“. Doch die Schilderung der „Republik als Kunstlandschaft“ - so Dierk Engelken, Bundesvorsitzender und Sprecher des Bundesverbandes Bildender Künstler im Grußwort

-ist reichlich konzeptions- und lustlos ausgefallen und scheint oft mehr durch Zufalls- und Verlegenheitslösungen gestaltet als durch Überlegung. Der Staatsmacht, die für ihre Geschichte eine identitätsstiftende Rückversicherung in der Kunst zu finden hoffte, gönnt man fast diese Schlappe. Selten fiel der von Dr. Horst Waffenschmidt (Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern) im Grußwort beschworene Dialog zwischen Kunst und Gesellschaft so nichtssagend aus. Die Künstler aber, die sich hier oft weder mit ihren stärksten Werken noch mit Arbeiten, die wichtige Umbrüche signalisieren, aneinandergereiht wiederfinden, hätten eine spannendere Ausstellung allemal verdient.

Im Vorwort des Kataloges erhebt Dieter Ruckhaberle, Leiter des Projektbüros Berlin zwecks Organisation der Retrospektive, den Anspruch, „Kunstgeschichte als Geschichte der künstlerischen Produktion“ vorzustellen, in der entgegen der „Kunstgeschichte als Geschichte der Theorien“ die Künstler einmal nicht in Schubladen gepreßt werden. Er verspricht, im Reigen der bekannten und unbekannten Namen die Stärke ästhetischer Erfindungen zu vermitteln, die sich gegenüber „Geld, Bürokratie, Feuilleton und Verbandsdisziplin“ als individuelle Formulierungen behauptet haben. Schön wär's. Doch genau von diesem Festhalten an Positionen quer zu den gängigen Kategorien erzählt die Ausstellung nichts.

Neben einer vagen Chronologie scheint die einzige inszenatorische Idee gewesen zu sein, die Wände der Kunsthalle möglichst flächendeckend mit Leinwänden zu bepflastern. Selbst noch über einer Tür hängt ein Bild, sinnvollerweise Gernot Bubeniks Pictogramm „Aus der Heraldik des 20.Jahrhunderts“, gleich neben dem Hinweisschild zum Damenklosett (Schöpfer anonym, aber sicher auch bundesdeutsch).

Der Mythos von der „Stunde Null“ suggeriert oft einen naturwüchsigen Neuanfang, gleichsam das Geborenwerden eines Staates inklusive seiner Kultur aus einem unschuldigen Ei. Daß mit der Gründung der Bundesrepublik 1949 nicht zugleich eine neue und von allen Lasten der Vergangenheit befreite Kunst aus dem Trümmerschutt erwachsen konnte, ist banale Selbstverständlichkeit und doch zugleich eine schwer darstellbare Erkenntnis. Visualisiert werden müßte ein Mangel, ein Hunger nach Bildern, aber auch der Dunst des Ideologie-Verdachts, in den Kunst im Kalten Krieg so schnell geriet. Wen darf man aus den ersten Nachkriegsjahren überhaupt als bundesrepublikanischen Maler vereinnahmen? Die im Exil saßen, George Grosz, Max Beckmann, Josef Albers, Max Ernst? Allein die Beschränkung auf die im Lande Gebliebenen und in die innere Emigration Zurückgezogenen wie Hanna Höch oder Otto Dix fällt schwer, weil die Ausdruckskraft ihrer Produktion im Vergleich zu ihren Werken der Vorkriegszeit verblaßt.

So gerät der chronologische Rückblick gleich im ersten Abschnitt zwischen 1945 und 1955 in ein Dilemma. Man stoppelte Bilder aus Vorkriegszeiten an, um zum Beispiel Adolf Hölzel und Max Pechstein gerecht zu werden, und zeigte von anderen repräsentative, erst Jahrzehnte später entstandene Bilder. Willi Baumeister, der sich beinahe als einziger auch während Faschismus und Krieg kontinuierlich fortentwickelte, taucht entsprechend seiner öffentlichen Zurkenntnisnahme erst in einer späteren Abteilung auf. Doch dieses Auffüllen wirkt wie das ungeschickte Laborieren an einer Wunde, die visuell noch einmal nachvollziehbar zu machen ein Ziel der Ausstellung hätte sein können. Weder lassen sich so die Zerstörungen fassen, die viele Künstlerbiographien prägten, noch die Strategien künstlerischen Überlebens, wie sie Baumeister oder beispielsweise Max Ernst übten. Nur mit einem kleinen Bildchen wird Max Ernst einbezogen, das zudem noch ungenügend seinen vergnüglichen erfinderischen und narrativen Reichtum transportiert; fast könnte man diese Vernachlässigung als eine Strafe für seine 1958 angenommene französische Staatsbürgerschaft interpretieren. Auch die Vorsicht, die beinahe betuliche Harmonie, das Heraushalten der Kunst aus gesellschaftlichen Zusammenhängen und der Rückzug auf das rein Malerische, den man gut an Schmidt -Rottluff, Max Kaus und anderen hier vertretenen Malern festmachen könnte, wird durch deren verstreute Hängung nicht zum Thema. So bleiben nur die Werke von Karl Hofer, über denen die Trübnis und Dumpfheit einer zerbombten und schuldgeplagten Nation wie ein Geier schwebt, und die bedrohlichen surrealen Landschaften Richard Oelzes als einprägsame Positionen übrig.

Im nächsten Jahrzehnt überrascht die Einbeziehung von Josef Albers, Amerikaner seit 1939, mit drei Versionen seines „Homage to the square“. Doch deutlich wird an dieser Ausnahme, daß eine geografische oder an der Staatszugehörigkeit orientierte Grenzziehung für den Blick auf die Kunst unsinnig ist. Eine bundesrepublikanische Kunstszene, die allein im eigenen Saft schmort, ist weder wünschenswert, noch entspräche dieses Bild der Realität der letzten Jahrzehnte - allein diese Retrospektive hat sich dieses nationale Konstrukt als Rahmen auferlegt. Zwar werden der in Berlin lebende Iraner Akbar Behkalam und Lazlo Lakner, der aus Budapest stammt, mit einbezogen, doch nach welchen Kriterien gerade sie als Ausnahme gelten, bleibt wiederum Geheimnis.

Während die Präsentation der informellen, abstrakten und skripturalen Malerei (Baumeister, Thieler, Meistermann, Götz, Schumacher) wenigstens durch die Qualität der ausgewählten Bilder als musealer Überblick gelungen ist, werden Mack, Piene und Uecker, die 1963 die Gruppe Zero mitgründeten, in einem Kabinettchen eher kaltgestellt. Wenig verraten ihre Werke so vom Ausbruch aus der Leinwand, von der Sprengung der Gattungsgrenzen Malerei und Skulptur, in denen die Kunst der Bundesrepublik sich nach der Auffassung der Ausstellungsmacher gefälligst abzuspielen hatte.

Um einen müden und pflichtschuldigen Hinweis auf die Existenz von Konzeptkunst oder Performances kam der BBK dennoch nicht herum, da nun mal die Existenz von Beuys schlecht verleugnet werden konnte. Allein man beschränkte sich auf zwei Filzmäntel in einer Vitrine, und deren Plazierung vor den großformatigen und narrativen Berliner Realisten Diehl, Petrick und Sorge garantiert, daß keine falsche Neugierde für diesen Verräter der Leinwände aufkommt.

Den Holzschneider HAP Grieshaber mit seinen exakten Konturen und elementaren Figuren gemeinsam mit den in Farbschwemmen versaufenden Malern Walter Stöhrer und Horst Antes zu präsentieren, die er beide unterrichtete, hätte eine spannende Region im Entwurf einer Kunstlandschaft werden können. Doch man nahm HAP Grieshaber als Schutzheiligen für den Leger-Epigonen Walter Wörn und Manfred Henninger, dessen grobgetupfte Waldidyllen aus den achtziger Jahren sonst nirgends so recht hinpaßten.

Um eine Analyse deutscher Kunstgeschichte jenseits der gängigen Gruppierungen einzuleiten, taugt diese Wanderausstellung nicht. Sie reproduziert auch das Vorurteil von der Künstlerin als seltene Ausnahme: hier die einsame Collagistin Hanna Höch, Jahrzehnte später dann Sabine Franek -Koch. Wenn man Adolf Hölzel einbezog, warum dann nicht Ida Kerkovius; wenn Rainer Fetting in den Olymp aufgenommen wird, warum nicht Elvira Bach; wenn Staeck mit seinen Collagen dabei ist, warum fehlt dann Sarah Schumann? Bei aller Einsicht in die Notwendigkeit einer Selektion und die Zwangsläufigkeit des Unvollständigen wurden Künstlerinnen offensichtlich leichthändig aussortiert. Dafür spendiert man ein Trostpflästerchen: drei Malerinnen - Heike Ruschmeyer, Stefanie Vogel und Gerdi Sternberg - dürfen für die Kunst der Gegenwart, der man sich noch zu nahe wähnt, um schon Anteilscheine am Ruhm zu verteilen, als Platzhalterinnen einspringen.

Katrin Bettina Müller

„40 Jahre Kunst in der Bundesrepublik Deutschland“, Staatliche Kunsthalle Berlin, bis 3.September

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