: WER WILL SCHON NORMAL SEIN?
■ Die „Mutoid Waste Company“ über die „Mutoid Waste Company“
Wir haben keine Ideologie, wir machen keine Politik. Wir sagen nicht, alle Leute sollen so leben wie wir. Wir wollen den Leuten nur zeigen, was man mit Abfall machen kann. Es gibt Leute, die würden versuchen, mehr draus zu machen. Es als Hebel benutzen, politisch zum Beispiel. Das hängt davon ab, was dich motiviert. Ich will Spaß haben, eine gute Zeit. Es gibt verschiedene Auffassungen darüber in der Company. Viele sagen, sie machen mit, weil es zuviel Abfall in der Welt gibt. Aber wir sagen das nicht ausdrücklich. Wir sagen nicht: „Es gibt zuviel Abfall.“ Wir sagen: „Verwende ihn!“
Alles fing sehr klein an. Wir waren eine kleine Gruppe von Leuten, wir verkleideten uns sehr bizarr und gingen auf die Straßen, in Einkaufszentren und sowas. Die Leute würden nie in eine Kunstgalerie gehen, um das Zeug zu sehen, also gingen wir zu den Leuten. Das ist die Idee. Dann fingen wir mit Lastwagen an, mit Schrott, aber es gab keinen Plan, dahin zu gelangen, wo wir jetzt sind. Die Idee ist Mutation. Überall, wo du hingehst, gibt es jede Menge Abfall, den man mutieren kann.
Manchmal rennt einer mit einem Teil über den Platz und vier oder fünf hinter ihm her und schreien: „Ich will das haben!“. Wir spielen, und es kommen halt auch Skulpturen dabei raus. Wir sind keine Künstler. Wir haben bestimmte Fertigkeiten, aber es gehört nicht viel dazu außer Ideen, jeder könnte es, und wir sind auch nicht die einzigen, die so etwas machen. Wir lassen den Kram dann teilweise da, in Läden, Kneipen, verkaufen manches oder nehmen es mit, wenn wir weiterziehen.
Wir haben London verlassen, weil wir uns ziemlich schnell langweilen, weil wir die Idee unter die Leute bringen wollen, und außerdem hast du auf dieser kleinen Insel nie das Gefühl, richtig zu touren. Es ist leichter zu mutieren, wenn du nicht in deiner eigenen Umgebung bist. Man hat nicht immer Wohnwagen. Dann mußt du dir einen Platz zum Leben bauen. Und zwar in einem mutierten Stil. In Amsterdam hatte ich ein Boot. Ich baute darauf herum, und es war toll, bis es weggeschwemmt wurde. Es war weg, und das war auch gut. Wir sind ungeduldige Leute, wir langweilen uns sehr schnell. Du lebst da drei Wochen, und dann siehst du es verschwinden und sagst dir: „Ich kann was Neues machen.“ Wenn du zu lange am selben Ort bleibst, findest du immer wieder deinen eigenen Scheiß. Dann mußt du verschwinden.
Die DDR-Zöllner liebten uns. Sie lachten. Sie hatten mehr Humor als die holländischen Zöllner. Wir hatten Übles gehört und völlig anderes erwartet. Aber sie kamen alle raus und warfen einen Blick auf uns. Und es ist gut, wenn die Leute auf dich zeigen und sagen, die sind verrückt. Das macht wirklich Spaß. Wer will denn schon normal sein? Nur wer absolut keinen Sinn für Humor hat, wird böse werden. Selbst wenn Situationen ein bißchen kritisch werden, lösen sie sich doch ziemlich schnell von selbst. In England haben sie uns schon Lastwagen abgenommen, aber dann wieder zurückgegeben, weil jeder über sie lachte, wenn sie auf dem Polizeihof rumstanden.
Früher konnte ich kein Motorrad reparieren, heute baue ich mir eines. Wir lernen alle von den anderen. Du kannst mitmachen, wann und solange du willst. Wer reinpaßt, paßt rein. Jede Menge Leute, die dabei waren, machen jetzt anderen Kram, oder sie kommen auch wieder zurück. Veränderung ist alles und die Familienatmosphäre. Jeder liebt jeden, und jeder streitet mit jedem.
Die Leute kamen ins K.O.B., um Mutoid Waste zu sehen. Unsere Musikauftritte sind aber nur ein Teil von Mutoid Waste. Es ist der Geist, die Essenz von Mutoid Waste. Das Beste sind Auftritte in der Umgebung, die du selbst gebaut hast.
Es ist gut, von Land zu Land zu ziehen. Die Unterschiede in den Einstellungen, dem Humor kennenzulernen. Und natürlich auch der andere Schrott. Drei Jahre lang derselbe Toaster oder Hoover-Typ ist ziemlich langweilig. Hier hast du Autos mit anderen Formen, völlig anderen Schrott.
„Mad Max“. Ja den Film mögen wir. Aber „Mad Max“ ist postapokalyptisch. Wir aber sind präapokalyptisch, wir bauen auf. Wir bauen Autos, Lastwagen, Möbel, alles. Wir leben in und mit den Dingen, die wir bauen. Jetzt wollen wir ein Boot oder noch besser ein Flugzeug.
Es ist toll, für verrückt gehalten zu werden, niemand kann dir böse sein. Letzte Woche fuhren wir mit dem großen, grauen Lastwagen zum Auftritt im K.O.B., und die Bullen versperrten uns den Weg. Sie hatten die Pistolen im Anschlag und waren nicht sehr freundlich. Nach fünf Minuten waren alle am Lachen, klopften uns auf die Schultern und ließen uns weiterfahren. Sie sagten, wir seien verrückt, aber sie waren nett. Was kannst du gegen jemand haben, der einen Gummistiefel auf dem Kopf hat?
Wir benutzen, was verfügbar ist. Du kannst so überleben, und die Befriedigung, etwas erschaffen zu haben, ist sicher größer als die, von neun bis fünf in einem Büro zu sitzen, Geld zu kriegen und sich eine Stereoanlage zu kaufen. Wir haben die beste Zeit unseres Leben. Ist doch großartig, oder nicht?
Agent provocateur: Thomas Winkler
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen