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Verfolgungsjagden auf illegale Kleinhändler

Seit dem Verbot des polnischen Marktes in West-Berlin werden polnische Touristen von Zoll und Polizei gescheucht / Über 1.300 Personen wurden bisher ausgewiesen / Eine deutsch-polnische Kommission soll das Verbot noch einmal überdenken  ■  Von Andrea Böhm

Berlin (taz) - Krzysztof Nowak vom „Polnischen Sozialrat“ hat seine Zweifel am Traum vom europäischen Haus. „Wir Polen fühlten uns immer in der Mitte Europas.“ Seit Wochen kümmert sich der Rat um Landsleute, die von Westberliner Behörden festgenommen worden sind. Seitdem fühlt er sich nicht in der Mitte, sondern in der Zange Europas.

„An den Polen geht Berlin nicht zugrunde.“ Diesen denkwürdigen Satz prägte im April dieses Jahres der Chef der Berliner Senatskanzlei, Dieter Schröder. Er meinte jene Touristen, die vor allem an Wochenenden mit prallen Reisetaschen und Plastiktüten polnische Kristallvasen, Fahrradketten, Krakauer und Wodka gegen ein paar harte Devisen eintauschten und sich damit ihren Monatslohn teilweise verdoppeln konnten. Was sich da abspielte, war Ost -West-Handel im wahrsten Sinne des Wortes. Die einen bestaunten den polnischen Markt als stadtspezifisches multikulturelles Ereignis, die anderen schimpften über die Billigkonkurrenz aus Warschau, Posnan, und Wroclaw und über Müllberge und mangelnde Hygienevorschriften. Damals, im April, sah Dieter Schröder keine Veranlassung zu restriktiven Maßnahmen. „Entemotionalisieren“ wolle man das Ganze. Schließlich jähre sich am 1. September 1989 der deutsche Überfall auf Polen, und diesen Tag wolle der Senat würdiger begehen als bisher. Acht Wochen später war der polnische Markt verboten - die Oberfinanzdirektion hatte die zollrechtliche Begründung geliefert, Industrie- und Handelskammer und CDU den politischen Druck.

Seitdem wird in Berlin kontrolliert, beschlagnahmt, ausgewiesen, abgeschoben - und natürlich weitergehandelt. Wer bei der Einreise nach West-Berlin nach Auffassung des Zolls zuviel dabei hat, wird zurückgeschickt; an den S -Bahnhöfen stehen Beamte und verlangen Einblick in Taschen, Rucksäcke und Tüten; Zivilbeamte greifen sich Kleinhändler in den Seitenstraßen und Parks; Einsatzfahrzeuge fahren jedes Wochenende an den einschlägigen Handelsplätzen Streife. Wer erwischt wird, verliert nicht nur seine Waren, sondern für ein Jahr das Recht auf Wiedereinreise in die Bundesrepublik und West-Berlin. Über 1.300 polnische Touristen sind mit einer solchen „Ausweisungsverfügung“ seit Juni nach Hause geschickt worden. Härter trifft es Polen, die in Abschiebehaft genommen werden - z.B. vier Frauen, die bei einer Razzia unter dem Verdacht der Prostitution festgenommen worden waren. Alle waren als Touristinnen eingereist. Sie schmorten drei Wochen lang in der Zelle, bevor sie abgeschoben wurden - zur Abschreckung, wie ihr Anwalt vermutet. Ihnen bleibt nun die Einreise ihr Leben lang verwehrt.

In der Berliner Ausländerbehörde stöhnt man indessen über den plötzlichen Arbeitsanfall: Für jeden ausgewiesenen oder abgeschobenen polnischen Touristen wird eine Akte angelegt, die Daten werden gespeichert und landen schließlich im Zentralregister für Ausländer in Köln. Was sich für die eifrigen Beamten als behördlicher Gang der Dinge darstellt, ist für den „Polnischen Sozialrat“ eine Erfassungs- und Überprüfungswelle, um die Einreise von Polen nach Berlin einzuschränken. Wenn man die polnischen Touristen dank einer Alliierten-Verordnung schon nicht durch Visum und Zwangsumtausch daran hindern kann, nach West-Berlin einzureisen, dann kann man durch Ausweisungsverfügungen zumindest dafür sorgen, daß sie so schnell nicht wiederkommen.

Ein bißchen Verbitterung angesichts soviel Heuchelei ist Krzysztof Nowak, Mitglied des „Polnischen Sozialrats“, schon anzumerken. „Jetzt dürfen die Polen seit Beginn des Jahres reisen und haben die Freizügigkeit, die der Westen immer haben will, und was passiert: die Grenzen sind zu.“ 70 Dollar pro Tag muß jeder polnische Tourist vorweisen, wenn er nach Großbritannien einreisen will, Frankreich öffnet für 60 Dollar die Grenze, die Bundesregierung hatte im April einen Zwangsumtausch von 50 Mark am Tag festgesetzt: „50 Mark entspricht ungefähr 150.000 Zloty“, rechnet Nowak vor. Das seien zwei durchschnittliche Monatsgehälter in Polen. „Ihr könnt auch eine zweite Mauer bauen - und das wird die Leute nicht abhalten.“ 30.000 waren es, die letztes Wochenende nach Berlin einreisten. Nicht alle handeln, aber die meisten. Und ihnen bleibt angesichts der wirtschaftlichen Situation in Polen gar nichts anderes übrig als auf dem Schwarzmarkt ein paar Westmark zu machen.

Im „Polnischen Sozialrat“, einer 1982 gegründeten Organisation von Polen in West-Berlin, haben die polnischen Kleinhändler nun einen politischen Fürsprecher gefunden. Seit Wochen bemühen sich seine Mitglieder um Landsleute in Abschiebehaft, fungieren als Dolmetscher und vermitteln Rechtsanwälte. Nachdem sich der rot-grüne Senat weiterhin hinter dem Zollrecht verschanzt und eine Legalisierung des polnischen Marktes ablehnt, will der „Sozialrat“ mit Unterstützung der Alternativen Liste zumindest eine deutsch -polnische Kommission, die sich des Themas noch einmal annimmt. Patentrezepte hat keiner, aber die Verfolgungsjagden gegen ihre Landsleute wollen die Mitarbeiter nicht länger hinnehmen. Nowak kann sich als Alternative zum Beispiel eine regelmäßige Kulturveranstaltung mit polnischem Trödelmarkt in Berlin vorstellen.

Eine für diesen Senat offenbar zu unkonventionelle Lösungsmöglichkeit entwickelte der Berliner Rechtsanwalt Peter Meyer. Die Alliierten-Anordnung aus dem Jahre 1967, die unter anderem polnischen Touristen die Einreise nach West-Berlin ohne Visum ermöglicht, bezieht sich ausdrücklich auch auf Personen, deren Aufenthalt mit einer „bestimmten Veranstaltung zur Förderung des internationalen Handels zusammenhängt“. Was, wenn nicht der polnische Markt, fördere den internationalen Handel, fragt Meyer. „Wenn man mit der Kriminalisierung endlich aufhört und den Markt richtig organisiert, dann ist die Grüne Woche dagegen ein Klacks.

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