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Prima Leben unterm Stiefel

Montagsexperten kommen zu Wort: Enno Bohlmann  ■ Ü B E R L E B E N S B Ö R S E '8 9

Es geht ein Geschwätz um in der BRD: die multikulturelle Gesellschaft. Im August '89 ist es schließlich auch beim 'Wiener‘ gelandet, der den Multikulturpamp auf seine Weise versaftet hat: in einem Essay über „Cross Culture“. Ein gewisser Roger Thiede versucht sich in genetischer Welterprobung. Mit einem kühnen Schritt läßt er die kuschelig-alternative Multimiteinanderutopie weit hinter sich und stellt 'Wiener'-mäßig die Frage nach den Eltern: „Wem gehört die Welt von morgen?“ Hilfsgenetiker Thiede weiß es: den „Cross-Culture-People“. Cross-Culture-People sind Kinder von Eltern, die „unterschiedlichen Rassen zugehören“. Das a priori dummbeutelige Gebrabbel von der „multikulturellen Gesellschaft“ wird von Thiede so richtig biologisch-rassistisch auf Vordermann gebracht.

Zum Beweis führt er ein Cross-Culture-Exemplar vor: Die „schöne Ayin“ (Vater: Orientale, Mutter: Deutsche), verbindet „die bestern Erbanlagen Südwestasiens mit denen Mitteleuropas“ - daß die besten Erbanlagen Mitteleuropas in Deutschland beheimatet sind, ist so neu auch wieder nicht, aber die Zuchtstuten und -hengste vom Lebensborn werden es dankbar vernehmen. Das derart erzeugte genetische Top -Produkt ist unverkennbar, vor allem durch das Gesicht: „Es ist wunderbar: nicht bloß deutsch und nicht bloß orientalisch.“ Thiede ist nicht bloß deutsch, sondern unverkennbar durchgeknallt: „Mit Cross-Culture sorgt die Natur dafür, daß die Fehlentwicklungen einander entfernter Stämme wieder aufgehoben werden.“ Die Fehlentwicklungen des poetisierenden Rassisten Thiede hat die Natur unbarmherzigerweise in ihren ärgsten Ausformungen belassen. Jetzt, wo er sich so richtig warmgeschrieben hat und ihn nichts mehr hindern kann, verrät er auch den Zweck des großangelegten genetischen Reparaturunternehmens „Cross -Culture“: „Das über alle Welt verstreute Erbgut wird im Sinn menschlicher Ganzheitlichkeit wieder zusammengeführt.“ Da wird Antje Vollmer schön angeschmiert aus der Wäsche gucken: Multikultur, Ganzheitlichkeit und Menschlichkeit in einem Satz verbraten und als Schmankerl noch die jüdische Diaspora mitnehmen. Das visionäre Toben hat Thiede vollends ergriffen, und mit fiebriger Ganzheitlichkeit stammelt er von einer „transrassischen Dynamik“, der er es zuschreibt, daß eine Deutsche und ein Orientale miteinander geschlechteln.

Eine ganz andere Dynamik hingegen treibt unseren Gen -Crossisten um: Er wird zum Künder des neuen Menschen: „Im Transfer des Mischlings haben sich alle europäischen bzw. orientalischen/afrikanischen Herkömmlichkeiten weggekürzt und Platz für den Kopf eines Menschen von morgen gemacht.“ Zugegeben ein Satz, dem eine leichte Debilität nicht abzusprechen ist - ein Mischling ist bestenfalls eine Synthese, aber bestimmt kein Transfer. Immerhin ahnen wir, was der Dichter meinen möchte, und wieso sollte er die Grammatik beherrschen, wo er doch schon so virtuos mit der Genetik zu hantieren versteht.

Kein 'Wiener'-Artikel ohne karrierefördernde Tips für die abstiegswillige Leserschaft, wenn auch grammatikalisch wieder voll neben der Kappe: „Der Mensch von morgen, die kommenden Eliten, haben die Gelegenheit zur kulturübergreifenden Familienbildung.“ Der Essayist von heute hat die Gelegenheit idiotenübergreifender Satzbildung. Aber was kümmert das Roger Thiede schon bei so viel Karrieregeilheit: „Cross-Culture ist das Erfolgsrezept fürs dritte Jahrtausend.“ Also schnell ein Cross-Culture-Kid gemendelt, damit man zu der Elite der multikulturellen Zukunftsgesellschaft gehört und weiter den 'Wiener‘ gelesen

-das Käseblatt für durchgestylten Rassismus.

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