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Fünf mal zehn Meter Welt-Bild

■ Die "Buddhapredigt" - altchinesische Hofkunst im Völkerkundemuseum

Was verbindet 1989 die mitteleuropäische Kunstform Oper mit der altchinesischen Religion? Die indiskrete Weise der Annäherung an beide natürlich, oder, kurz und handgreiflich, das Opernglas. Im Dahlemer Museum für Völkerkunde, Abteilung Ostasien, liegen seit dem 9.August zwei Ferngläser aus zur gefälligen Benutzung für interessierte Kleinflächenforscher. Der Gegenstand potentieller Teleuntersuchungen ist allerdings ein maximales Kapitalstück Kunst und bildet zur Zeit Zentrum und Ausgangspunkt der soeben angelaufenen kleinen Ausstellung Wege der Götter und Menschen.

Die sage und schreibe 50Quadratmeter bemalten Papiers sind in der Tat kein schlechter Weg zur Annäherung an das, was Religion wohl im alten China gewesen sein mag. Das besagte Gemälde wird offiziell auf das Jahr 1770 datiert; wie es in den Keller des Museums geriet, bleibt wissenschaftlich allerdings ungeklärt. Angeblich soll es als deutsches Beutestück aus den Boxeraufständen Kaiser Wilhelm Zwo verehrt worden sein, der aber nicht recht wußte, was er mit dem ganzen Papier anfangen sollte, es also hübsch zusammenfaltete und dem Museum weiterreichte, wo es ganz nach unten wanderte. Bis man es wieder vorholte und, zwecks Restaurierung, zurück nach China schickte. Dortige Kunsthistoriker glaubten nun plötzlich, es handle sich um eine gute, teure, einheimische Kunstfälschung.

Beim zugeschriebenen Bildtitel „Buddhapredigt“ setzen sich die Schwierigkeiten fort. Denn Bekehrungspredigten im westlich-christlichen Sinn scheint es nach altchinesischem Verständnis gar nicht gegeben zu haben. Buddha hielt Lehrreden, und das ohne Anspruch auf alleinseligmachende Ausschließlichkeit. („Man kommt mit Nichts auf die Welt und man geht mit Nichts. Alles andere dazwischen ist Illusion.“ Buddha war Religionswissenschaftler und wohl einer der besten wie das Zitat zeigt, denn das ist das einzig Objektive, was es festzustellen gibt. - d.S.) Der Buddhismus war im ersten vorchristlichen Jahrhundert aus Indien nach China gelangt; zur Zeit der vermuteten Bildentstehung war aber der Konfuzianismus herrschende Staatsideologie - eine kunstvolle Mischung aus politischen und philosophisch -religiösen Anweisungen. Wenn also der Kaiser Quianlong tatsächlich um 1770 - wie eine Geschichte des Gemäldes überliefert - das Bild, Staatsstück im doppelten Sinne, seinem Hofmaler und Beamten Din Guanpeng in Auftrag gab, muß er nicht nur mit dem für westliche Sinne total konfu(z)s ahistorischen Sammelsurium von Gestalten und Anspielungen unterschiedlichster religiöser Provenienz gerechnet haben; es muß vielmehr eben diese anschauliche Mixtur gerade das Ziel des Auftrages gewesen sein: Ein buchstäbliches „Pantheon“, wie es im Katalog heißt, ein Vielgötterstück; Spiegel des altchinesischen Welt-, Glaubens- und Handlungsgefüges, in dem jeder und alles seinen Platz fand.

So wie jener Hofmaler offenbar selbstverständlich einesteils Stilmittel seiner Vorfahren aus dem 10.Jahrhundert einsetzte, andernteils aber auch Techniken und Motive (Perspektive und zum Beispiel die gemalte Fontäne im Zentrum der „Buddhapredigt“) europäischer Jesuitenmaler übernahm, die im 18.Jahrhundert ebenfalls bei Hofe wirkten ebenso „bedenkenlos“ versammelte er auf seinem über 200figurigen Gemälde Personen, Gegenstände, Embleme, Chiffren, Götter und Monstren allerverschiedenster Glaubensherkunft. Das Produkt, das Buddhismus und Daoismus, Konfuzianismus und Volksreligionen verband, dankbar weit entfernt mithin vom indisch-buddhistischen Götterdarstellungsverbot, war für europäisches Monokluturdenken in befremdlichen Maße synkretistisch: von allem das Beste! Und es fiel offenbar zur Zufriedenheit des Hofes aus. Der Maler, wenn er es wirklich war, wurde nämlich, wie alte Gehaltslisten belegen, anständig in Getreide-, Gold- und Silberwährung bezahlt. Allerdings war man nicht nur in puncto Religion ausgesprochen pragmatisch gesonnen, sondern auch was die Entlohung anbetrifft: Als der angesehene alte Maler später schwer erkrankte, ließ der Kaiser als erstes die Zahlungen heruntersetzen.

Gelassene Distanz und praktisches Nutzdenken regelten auch den höheren Verkehr. Der Kaiser als „Sohn des Himmels“ erfüllte diese „Auftrag“ unter anderem, indem er einen solchen weitergab an seinen Hofmaler, der Himmel, Erde und Hölle, Kaiser und Buddha vielgestaltig, aber in der Bildfläche konfliktlos zusammenmalte. In der Erfüllung des Auftrages wiederum erfüllte sich der Sinn des Bildes, die Ehrung des (aller)höchsten Auftraggebers. Zum Angesehenwerden, beziehungsweise zur Kunstbetrachtung waren solche Monumentalwerke nämlich offenbar nicht gedacht, da sie, in schmalen dunklen Gängen aufgehängt und nur unten mit Lampen und Kerzen beleuchtet, der Über-Sicht entzogen waren.

Womit wir wieder bei den heterodoxen Operngläsern wären. Gegen eine derartig instrumentalisierten „bösen“ Blick hat sich das Bild allerdings selbst gefeit: Ganz rechts und ganz links unten ist das Dämonenabwehrpaar der „Heng- und Ha -Generäle“ hingemalt. Im Volksbrauchtum waren sie, mit ihren gräßlichen Abschreckfratzen, die Hüter der Toreinfahrten. „Der eine schnaubt den Laut (Heng) durch die Nase, der andere lacht laut (Ha) mit offenem Mund.“ (Katalog)

Jene bezahlten Maler müssen übrigens respektable Kunst/Handwerker gewesen sein und Auftragsmaler nur insofern, als sie von ihrer Kunst lebten. Nicht nur der Hof engagierte sie, sondern auch reiche Familien, die ihre kostbaren Gemäldesammlungen erweitern wollten. Man lud dann wohl einen Maler ein, und der brachte ein durchaus mit seinem geachteten Autornamen versehenes „Gastgeschenk“ mit. Daneben gab es in jenen Zeiten Maler, die hauptberuflich Beamte waren, das heißt gut bezahlt, und nebenbei ihren Neigungen nachgingen. Zum Ideal des rundum gebildeten chinesischen Gelehrten gehörte eben, daß er auch malen konnte. Des Pinsels mächtig waren diese Oberschichten ohnehin, da die Grenzen von Schrift und Bild im Chinesischen wahrhaft „fließend“ sind.

Und noch eine kleine Fußnote zur Auftragsmalerei und chinesischem Pragmatismus. In der Ausstellung sind, neben allen anderen hier nicht erwähnten Exponaten, auch drei Portraitvorlagen aus dem 19.Jahrhundert anzuschauen. „Spezialisierte Berufsmaler porträtierten Auftraggeber zu deren Lebzeiten und legten Porträtalben an. Nach dem Tode schnitt man das Portrait des Vorstorbenen aus dem Album, klebte es auf eine Unterlage und ließ es von einem anderen Maler durch das entsprechende, den Beamtenrang manifestierendes Gewand ergänzen.“ Heute hält man bei uns im Westen stattdessen, als Auftragsklageweib sozusagen, die Nachrufe noch lebender Berühmtheiten auf Vorrat im Zettelkasten, beziehungsweise auf Diskette bereit.

Christel Dormagen

Wege der Götter und Menschen, Religionen im traditionellen China, Museum für Völkerkunde, Lansstr.8, 1/33, bis 22.Oktober, Di bis Fr 9 bis 17Uhr, Sa und So 10 bis 17Uhr, Eintritt frei, Katalog 30Mark.

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