: Europäer bleiben Europäer
■ „BAP övver China“ - eine Reportage
Kanton, das bezeichnet nicht nur einen schweizer Bundesstaat, sondern auch eine Millionenstadt im Süden der Volksrepublik China. Soweit war das den Musikern von BAP schon klar, als sie auf ihrer Tournee durch China nach Schanghai und Peking auf der letzten Etappe ihrer Tour eintrafen. Nicht klar war ihnen - neben vielem anderen -, wie es auf einem chinesischen Wochenmarkt zugeht.
Und wie es dort zugeht, das kann man nun - ebenfalls neben vielem anderen - in dem Buch von Gerhard Hirschfeld (Text) und Jasko Sander (Fotos) erfahren. Die beiden Journalisten hatten die Kölner Rockgruppe 1987 auf ihrer Tournee durch das Reich der Mitte begleitet und legen jetzt ein Buch vor, das zum einen ein Buch für BAP-Fans, zum anderen aber auch ein anregendes Chinabuch für Einsteiger und spätere Hinreisende ist.
Doch kehren wir zurück zum Wochenmarkt von Kanton und lesen, was die Kölner Musiker dort so erstaunlich anders fanden als auf ihrem heimischen Markt im fernen Rheinland. Zum Beispiel der Fischeinkauf: Die Fische - Frische muß sein - sind noch nicht geschlachtet und warten, in einer Plastikwanne schwimmend, auf Kundschaft. Die trifft auch bald ein, und da die Kundin keinen ganzen Fisch, sondern nur ein Filet möchte, schneidet der Verkäufer ihr ein entsprechendes Stück aus dem lebenden Tier heraus. Wer dagegen lieber Katze ißt, der kauft sie im - bei uns sprichwörtlichen - Sack, kräftige Schläge auf den Sack beenden das lästige Zappeln und erleichtern dem Käufer das Nachhausetragen.
Ob nun auf dem Wochenmarkt oder bei der Fahrt durch die Danxia-Berge oder eben beim Konzert, beeindruckend war die Reise für die Kölner allemal, davon zeugen die in den Text eingebauten Statements der Musiker. Mayor, der Gitarrist, war begeistert von den Danxia-Bergen und der Bootsfahrt über den Perlfluß - Sanders hervorragende Fotos lassen die Begeisterung verständlich werden. Wolfgang Niedecken, Texter, Liedsänger und Maler in einer Person, besuchte in Schanghai die Plakatmaler. Eine Berufsgruppe, die von der wirtschaftlichen Öffnung des Landes mit am meisten profitiert, denn vor dem Konsum kommt die Werbung, und die wird handgemacht. Unter den Malern, die tagsüber riesige Werbeplakate für Cola und Gesichtscreme malen, fand Niedecken auch solche, die am Feierabend nicht den Pinsel, wohl aber das Vorlagenbuch ihrer Werbeagentur aus der Hand legen. Die handwerklich hochperfektionierten Maler machen dann Kunst.
Ihre Versuche, sich vom tradierten chinesischen Genrebild zu entfernen, sind dabei oft noch sehr zaghaft. Wen wundert's, daß diese Werke dem entsprechen, was Europa unter moderner Kunst versteht. Gewundert hat es jedoch die Künstler aus Köln, die einem fast hätten leid tun können, so sehr litten sie. Sie litten darunter, daß die Chinesen nichts unter moderner Kunst verstünden, wobei sie - die Deutschen - darunter das verstanden, was die Europäer dafür halten: „Irgendwann wird man auch müde, da immer wieder alles ganz von vorne zu erklären“, lautete die Kölner Klage. Groß war auch das Erstaunen über die Studenten der Pekinger Fremdsprachenschule, die nicht wußten, was Rockmusik ist. Entsprechend hielt Mayor den chinesischen Studenten einen ermüdenden Vortrag.
Wie gesagt, „fast“ leid tun konnten einem, angesichts so viel Unverständnisses, die Musiker aus Köln, wenn einen da nicht über so viel dozierte westliche Gelehrsamkeit eine Trauer überkommen wäre. Trauer darüber, daß es selbst aufgeklärten selbstkritischen europäischen Künstlern nur schwer oder meistens nicht gelingt, aus dem Magnetfeld des Eurozentrismus herauszutreten.
Daher ist das Buch mit seinen sehr guten Fotos und interessanten Reisebeschreibungen nicht nur interessant für Leute, die China kennenlernen wollen, interessant ist es für Leute, die Europa kennenlernen wollen, ebenso.
Gerhard Hirschfeld/Jesko Sander: BAP övver China, 207 Seiten, über 200 Fotos, Vorwärts-Verlag, Bonn 1989
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